Florian Kohfeldt ist als Senkrechtstarter von Werder Bremen schon der "Jürgen Klopp 2.0", ehe er ziemlich in der Versenkung verschwindet. Beim SV Darmstadt 98 gelingt dem Trainer der Neustart. Der 42-Jährige fühlt sich wieder richtig wohl, hat Erfolg - und bekommt viel Lob.
Es gibt diese Orte, wo Leute nach einem Tief wieder aufblühen. Das Stadion am Böllenfalltor ist anscheinend so ein Ort. Passend, dass dort die Lilien spielen, der SV Darmstadt 98. Sandro Wagner ging es dort vor zehn Jahren so. Der einstige Stürmer, der 2009 U21-Europameister geworden war und im Finale zwei Tore schoss, der sich beim FC Bayern aber nicht hatte durchsetzen können, beim MSV Duisburg für Höheres auserkoren war, bei Werder Bremen, dem 1. FC Kaiserslautern und Hertha BSC aber nie ganz groß herauskam. Er startete in Darmstadt neu durch, wechselte zur TSG Hoffenheim und wurde für acht Spiele zum Nationalspieler.
Sandro Wagner, er geht seinen Weg, auch wenn er als Cheftrainer des FC Augsburg wegen fehlendem Erfolg gerade arg in die Kritik geraten ist. In Darmstadt hat er einen Trainerkollegen, der nun ebenfalls vom Standort profitiert: Florian Kohfeldt. Auch er findet in der hessischen Stadt zurück zu sich. Und mehr noch: "Eine solch emotionale Verbundenheit habe ich seit der Zeit in Bremen nicht mehr gespürt. Darmstadt ist ein Herzensverein für mich geworden", sagte er Mitte September, ein Jahr nach seiner Ankunft. Im Interview mit RTL/ntv legte er nun nach: "Ich mag die Kultur, ich mag die Menschen, wie sie miteinander umgehen. Es ist neben Bremen die lebenswerteste Region, in der ich bisher gelebt habe." Auch sportlich ist der Jubel grenzenlos. Mit einem 4:0 gegen die Überflieger von Schalke 04 gelang in dieser Woche im DFB-Pokal nach einigen sieglosen Partien in der Liga ein echter Befreiungsschlag.
Riesenhype um "Jürgen Klopp 2.0"
Was war einst um Kohfeldt für ein Hype entstanden. Selbst bei Werder Bremen gespielt, aber früh die Karriere beendet. Im Jahr 2009 als 26-Jähriger Co-Trainer der U17 geworden, über Werder II schließlich Co-Trainer der Profis - immer mit Viktor Skrypnyk als Chef. Nach dessen Abgang Cheftrainer von Werder II, dann ab November 2017 nach der Entlassung von Alexander Nouri selbst zum Cheftrainer des Bundesliga-Teams ernannt. Bei dem Verein, von dem er immer Fan war. Eine Trainerkarriere als Märchen. Dazu 2015 auch noch Jahrgangsbester in der DFB-Trainerakademie zum Fußballlehrer.
Es ist nicht genug: Kohfeldt wird auch noch als "Trainer des Jahres 2018" vom DFB ausgezeichnet, nur ein Jahr nach dem ebenfalls gehypten Julian Nagelsmann. Die Erwartungen sind riesig, Kohfeldt wird schon als "Jürgen Klopp 2.0" Richtung Borussia Dortmund gejubelt. Denn der Trainer besteht nicht nur die Prüfungen an der Seitenlinie, sondern ist auch eloquent.
Doch der Hype flacht ab, Werder gerät in den Abstiegskampf, kann sich in der Saison 2019/20 erst am letzten Spieltag auf den Relegationsplatz retten und hält die Klasse in den Spielen gegen den FC Heidenheim nur aufgrund der damals noch geltenden Auswärtstorregel (0:0, 2:2). Frischer Schwung fehlt, in der Saison 2020/21 wird Kohfeldt vor dem letzten Spieltag freigestellt - für ihn endet sein Werder-Märchen nach 142 Spielen auf dem Relegationsplatz im Albtraum.
Wolfsburg und Eupen - zum Abhaken
Fünf Monate lang dauert seine Auszeit, ehe es da wieder einen Klub gibt mit einem Logo in Grün mit W: VfL Wolfsburg. Nur 28 Spiele bleibt Kohfeldt in Niedersachsen, es ist eine wenig berauschende Stippvisite. Der Ausflug in die Champions League ist niederschmetternd, nach dem frühen Aus stolpert er mit dem nächsten Klub in den Bundesliga-Abstiegskampf. Kurz nach dem Saisonende ist im Mai 2022 wieder Schluss. Ein Kapitel zum Vergessen.
Wobei das nicht so einfach ist, denn Kohfeldt hat mit dieser Amtszeit nicht gerade Werbung für sich gemacht, kein Klub reißt sich um ihn. Mehr als ein Jahr ist Kohfeldt ohne Verein, ehe er beim belgischen Erstligisten KAS Eupen anheuert. Als auch dieser Klub in den Abstiegskampf gerät, zieht der Coach die Reißleine und tritt im März zurück.
Dreimal bei einem Erstligisten im Abstiegskampf geendet. Fast folgerichtig, dass der nächste Klub kein Erstligist ist. Es wird der SV Darmstadt 98. Am 7. September 2024 tritt Kohfeldt die Nachfolge von Torsten Lieberknecht an. Dieser war mit dem Klub in die Bundesliga auf- und direkt wieder abgestiegen. Der Start in der 2. Liga dann begann mit drei Pleiten und einem Unentschieden - schon am vierten Spieltag kam auf Platz 17 liegend das Aus.
Kohfeldt startet seinen neuen Job mit viel guter Laune. Er lobt das Team, den Klub, das Umfeld. Und gewinnt damit. Vertrauen und Spiele. Auf Platz zwölf endet die Saison für Darmstadt. Wirklich Mittelmaß, aber auch eine Basis für mehr. Ein zartes Pflänzchen ist gesät und blüht zu Beginn dieser Saison richtig auf. Zum Auftakt gibt es in sieben Spielen fünf Siege, ein Unentschieden und eine Niederlage - Darmstadt ist Tabellenführer.
"Total auf den Verein und die Stadt eingelassen"
"Es war wichtig, dass Flo erstmals eine komplette Vorbereitung mit der Mannschaft absolvieren konnte und diese größtenteils zusammengeblieben ist", sagte Sportdirektor Paul Fernie der dpa. "Das Team weiß nun noch besser, was es braucht, um unsere Spielidee auf den Platz zu bringen." Fernie war es, der an Kohfeldt glaubte und ihn unbedingt als Nachfolger von Lieberknecht wollte: "Ich habe von Beginn an gemerkt, dass wir auf einer Welle liegen."
Er setzte Anfang Oktober regelrecht zu einer Lobeshymne an: "Flo ist sehr strukturiert und inhaltlich stark. In meinen Augen ein kompletter Trainer, weil er viele verschiedene Perspektiven betrachtet und mit seiner Arbeit ein breites Spektrum abdeckt." Der inzwischen 42-Jährige sei ein "Teamplayer". Was auch so gut ankomme: "Er hat sich zusammen mit seiner Familie total auf den Verein und die Stadt eingelassen."
Kohfeldt ist so in Darmstadt angekommen, dass auch die zwei Unentschieden gegen Kiel und Magdeburg sowie die Niederlage gegen Schalke zuletzt in der Liga nicht sofort wieder Misstrauen wecken. Obwohl der Klub etwas abgerutscht ist auf Platz sechs und der Relegationsrang vier Punkte entfernt ist: Das ist kein Grund für eine Krise in der Liga. Es ist eben auch so, dass Topstürmer Isac Lidberg zuletzt gegen Schalke erkrankt pausieren musste. Der 27-Jährige hat in den neun Partien zuvor acht Tore geschossen und eins vorbereitet. Im DFB-Pokal gegen die Königsblauen kehrte er zurück - zwar ohne eigenen Treffer, dafür jedoch mit einem wichtigen Assist zum 1:0.
Nun geht es gegen Aufsteiger Arminia Bielefeld (20.30 Uhr/live bei NITRO und RTL+ sowie im ntv.de-Liveticker). Lidberg dürfte erneut dabei sein. Und auch wenn Kohfeldt über seinen Stürmer witzelt: "Ich habe zu unserem Trainerteam gesagt: Zwischen den Toren muss man manchmal eben auch mal die Augen zumachen, denn da ist nicht alles Gold, was glänzt." Aber Gold, das wäre ja am Böllenfalltor auch fehl am Platze. Der richtige Riecher ist für aufblühende Lilien eh viel passender. Und aufblühen, das kann man in Darmstadt offenbar ganz ordentlich.
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