Drei Spiele, drei Siege – so liest sich die makellose Europapokal-Bilanz der türkischen Vertreter in der vergangenen Woche. Galatasaray? 3:1 in der Champions League gegen Norwegens Meister Bodø/Glimt. Fenerbahçe? 1:0 in der Europa League gegen den deutschen Pokalsieger Stuttgart. Samsunspor? 3:0 gegen den ukrainischen Meister Dynamo Kiew. Insgesamt gewannen die Teams sechs von acht Spielen der Liga-Phase bisher.
Ergebnisse, die die wohl markigste Ansage des Fußball-Sommers mit Leben füllen. „Es wird ab jetzt sechs große Ligen in Europa geben – und die Türkei wird dazugehören. Dann können Galatasaray, Fenerbahçe und Besiktas auch die Champions League gewinnen.“ Das sagte Erden Timur, ehemaliger Fußballchef von Meister Gala im Sommer mit Blick auf die XXL-Attacke der Süper Lig.
349 Millionen Euro gaben die 18 Vereine zusammen für Ablösen aus. Bestwert hinter den großen fünf Ligen (Premier League, Serie A, Bundesliga, LaLiga, Ligue 1) und gut 50 Prozent mehr als im Vorjahr. Dabei machten alle Klubs ein Ablöse-Minus von zusammen 173 Millionen Euro – in Europa war nur der Transfersaldo der Premier League schlechter.
Die fünf ligaweit teuersten Einkäufe aller Zeiten sind aus der abgelaufenen Wechsel-Periode. Allen voran der 75-Millionen-Euro-Blockbuster-Transfer von Stürmer Victor Osimhen, der nach seiner Leihe fest von Italien-Meister Neapel zu Galatasaray ging. Weitere Beispiele: Besiktas kaufte Orkun Kökcü für 30 Mio. von Benfica. Von dort ging Linksaußen Kerem Aktürkoglu für 22,5 Mio. zu Fenerbahçe.
Gala verpflichtete zudem die DFB-Stars Leroy Sané (von Bayern) und Ilkay Gündogan (von Man City), beide waren ablösefrei. Brasiliens Nationalkeeper Ederson hält jetzt statt für Man City für Fenerbahçe. Außerhalb der Top-5-Ligen haben inzwischen nur noch der FC Porto, Sporting und Benfica einen größeren Kader-Marktwert als Galatasaray (305 Mio.) und Fenerbahçe (292 Mio.).
Lob von Tedesco
„Das Niveau der türkischen Liga ist wirklich gut, das zeigen ja auch die letzten Ergebnisse der türkischen Teams in den internationalen Wettbewerben. Die Mannschaften sind taktisch und technisch gut ausgebildet“, sagt Domenico Tedesco (40) zu „Sport Bild“. Er muss es wissen. Seit September ist er Trainer von Fenerbahçe.
Das Besondere am türkischen Transfer-Angriff: Im Vergleich zu früheren Jahren kommen weniger alternde Stars – so wie einst Brasilien-Weltmeister Roberto Carlos, der 2007 mit 34 zu Fener ging. Oder Neapel-Legende Dries Mertens, der 2022 mit 35 zu Gala wechselte. Osimhen, Kökcü oder Sané sind alle noch in ihren Zwanzigern. Die Folgen der alten Kader-Politik spüren die Klubs noch heute. Galatasaray und Fenerbahçe hätten in der Bundesliga das zweit- bzw. drittälteste Team.
Doch was zieht Stars in die Liga, die laut Uefa-Fünf-Jahres-Wertung nur die zehntstärkste Europas ist? Ein Faktor sind die guten Gehälter. Sturmstar Osimhen (41 Tore in der Vorsaison) kassiert mehr als 20 Millionen Euro im Jahr, bei Sané sind es bis zu 15. Die Steuern sind niedrig, gerade für Ausländer gilt fast brutto gleich netto. Gezahlt wird gerne in Euro und nicht in der an Wert verlierenden Türkischen Lira.
Dazu kommt die Zuneigung der Anhänger. Kaum ein Star, dem nicht bei der Ankunft am Flughafen oder einer Extra-Präsentation im Stadion Tausende Fans zujubeln – egal, zu welcher Tageszeit. „Die Liebe der Fans zum Fußball ist unglaublich“, sagt Tedesco: „Ich mag es, wenn es große Emotionen gibt. Das zeigt, dass den Menschen der Verein nicht egal ist, dass sie mitfiebern.“ Er berichtet: „Die Menschen hier sind alle extrem herzlich und haben es uns wirklich leicht gemacht, uns vom ersten Moment an sehr wohlzufühlen.“
Lukrativer TV-Deal
Woher kommt das Geld für den Angriff? Noch vor wenigen Jahren drückten die türkischen Top-Klubs Schuldenberge von zusammen mehr als einer Milliarde Euro an Wert. Eine Maßnahme sind Kapitalerhöhungen der an der Börse gehandelten Klubs. Durch die Ausgabe neuer Aktien nahm Gala rund 51 Millionen Euro netto ein. Fener rechnet bei einer ähnlichen Maßnahme mit rund 20 Millionen Euro, Besiktas hofft durch Umschichtungen auf Investitions-Spielräume von mehr als 300 Mio. Euro.
Dazu kommt ein lukrativer neuer TV-Deal mit dem katarischen Sender BeIN Sports, der 168 Millionen pro Jahr bringt – auch das ist schon Platz sechs in Europa. Die Einnahmen aus Ticketing und Merchandising sprudeln. Entscheidend dabei: Auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise 2018 hielten die Klubs die Preise für Karten und Fanartikel niedrig, banden so die Anhänger an sich. Während der leichten Konjunktur-Entspannung zogen die Preise an – doch die Fans blieben, und die Stadien sind weiter voll. Und das bis in unterklassige Ligen. Zu Traditionsklub Bursaspor (Fünfter der Ewigen Tabelle) kommen zu Drittliga-Partien im Schnitt knapp 40.000 Zuschauer.
Und: Entgegen aller Klischees beweisen die Klubs mehr Geduld als früher. Beispiel Tedesco: Bei Vorgänger José Mourinho (inzwischen bei Benfica) setzte man noch auf einen großen Namen, um zum ersten Mal seit 2014 Meister zu werden. Der Deutsche wurde dagegen durch ein mehrstufiges Auswahlverfahren mit Blick auf Training und Taktik sowie den persönlichen Umgang gefunden.
Als er dann kurz nach Amtsübernahme drei Spiele sieglos blieb und ein neuer Präsident gewählt wurde, passierte – nichts. Erstaunlicherweise. Würde in solchen Szenarien sonst der Trainer als Erstes fliegen, blieb Neu-Boss Sadettin Saran ruhig und hielt nach Gesprächen mit dem Team am Ex-Schalke-Coach fest. Der dankte mit fünf Siegen in den folgenden sechs Partien.
Auch Verbands-Vorstand Hamit Altintop sprach sich in einer Zeitungskolumne für mehr Geduld in Vorstands-Etagen aus. Vorbild ist Galatasaray, wo Coach Okan Buruk in seine vierte Saison geht. Nach Krisenjahren mit Tabellenplatz 13 in der Saison 21/22 als Tiefpunkt, führte er die „Löwen“ zu drei Meistertiteln in Folge. „Wir haben den besten Kader in der Geschichte von Galatasaray zusammengestellt“, findet Buruk, dem im Sommer u.a. auch Verteidiger Wilfried Singo (von Monaco) und Keeper Ugurcan Cakir (von Trabzon) für knapp 60 Millionen Euro gekauft wurden.
WM im Visier
Sein Klub hat besonders viel Kohle, weil er mit dem Verkauf seines alten Trainingsgeländes im Villenviertel Florya bis zu 300 Millionen Euro einnehmen kann, von denen Teile schon geflossen sind. Nächstes Ziel ist jetzt die K.-o.-Phase der Champions League, die der Verein aus dem europäischen Teil von Istanbul seit 2013 nicht mehr erreicht hat. Dieser Schritt wird intern als entscheidend für die Weiterentwicklung angesehen.
Demnächst wollen auch Fenerbahçe und Besiktas dorthin, gerade nach den Investitionen in neue Stars. Zu denen zählen bei Fener auch Stürmer Jhon Durán (geliehen von Al-Nassr), Ex-BVB-Kandidat Edson Álvarez (von West Ham) oder Ex-PSG-Verteidiger Milan Skriniar. Besiktas konnte sich Premier-League-Star Wilfred Ndidi (von Leicester) angeln. Und selbst Trabzonspor, traditionell vierte Kraft hinter den Istanbuler Klubs, landete mit der Leihe von Keeper André Onana (von Manchester United) einen Coup.
Und noch einen Effekt hat die Türkei-Attacke: die Nationalelf. Nach klaren Siegen gegen Bulgarien und Georgien stehen die WM-Play-offs in Aussicht. Es wäre die erste WM-Teilnahme seit mehr als 20 Jahren.
Der Artikel wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, „BILD“, „SPORT BILD“) erstellt und zuerst in der „SPORT BILD“ veröffentlicht.
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