Der Herbst war schon oft die Krisen-Phase des FC Bayern. Der Klub entließ zum Beispiel Welttrainer Carlo Ancelotti und Niko Kovač in dieser Jahreszeit. In diesem Herbst aber ist alles anders. Der deutsche Fußball-Rekordmeister ist so stabil, spielfreudig und souverän wie selten. Und enorm erfolgreich. Er feiert seinen Trainer Vincent Kompany. Zu Recht.

Mit dem 3:0 (0:0) beim Tabellenletzten Borussia Mönchengladbach bauten die Münchner am Samstagnachmittag ihre imposante Siegesserie aus – 13 Erfolge zum Saisonstart waren in Europas Topligen zuvor einzig der AC Mailand (1992/93) gelungen.

Die Gründe für den Erfolg sind vielfältig. Eine Woche vor seiner Jahreshauptversammlung geht es in dem Verein so ruhig und harmonisch zu wie lange nicht. Es war eine Woche, die erneut zeigte, wie die Bayern derzeit rollen und im Flow sind: 4:0 gegen den FC Brügge in der Champions League, dazu am Wochenende ein weiterer Sieg in der Liga. Zuvor hatte die Mannschaft Härtetests gegen den FC Chelsea (3:1) und Borussia Dortmund (2:1) bestanden.

In Lennart Karl spielt ein 17-jähriges Talent groß auf, erzielte in dieser Woche sein erstes Tor in der Champions League sowie in Mönchengladbach in der Bundesliga. Karl erfüllt die Sehnsucht des Klubs nach Spielern aus dem eigenen Nachwuchs, die den Profis helfen.

Die Achse der Mannschaft – Manuel Neuer, Dayot Upamecano, Joshua Kimmich, Harry Kane – funktioniert hervorragend. Und drumherum glänzen andere im Rotationsprinzip. Gegen Gladbach traf Raphaël Guerreiro, sogar der oft gescholtene Sacha Boey spielt in diesen Wochen solide bis gut.

All das ist der Verdienst Vincent Kompanys. In den ersten Wochen der Saison bestätigt er das, was in seiner ersten Spielzeit in München bereits deutlich wurde – der Belgier passt sehr gut zu dem Klub. Und leistet außerordentliche Arbeit. 30 Tore in acht Ligaspielen, kein Unentschieden, keine Niederlage. Dazu Tabellenerster in der Champions League mit Paris St. Germain. Vor dem Zweitrunden-Spiel im DFB-Pokal beim 1. FC Köln am Mittwoch (20.45 Uhr, ARD und Sky) ist die Stimmung bei den Bayern entsprechend gut.

„Dass wir jetzt 13 Pflichtspielsiege zum Saisonstart haben, ist kein Zufall. Das ist die Belohnung für harte Arbeit, konsequentes Training und eine klare Struktur in der Mannschaft“, sagte Mittelfeldchef Joshua Kimmich Samstagabend nach dem Sieg bei der Borussia. „Wir haben eine richtig gute Truppe, und man sieht, dass auch die Jungs, die reinkommen, sofort da sind. Das ist extrem wichtig. Jeder freut sich für den anderen, wenn er trifft oder eine Vorlage macht. Es ist eine sehr homogene Mannschaft, ohne dass alles nur ‚Friede, Freude, Eierkuchen‘ ist. Es gibt ein Leistungsprinzip, jeder will sich durchsetzen – aber alle tun es fürs Team.“

Der FC Bayern ist Kompanys erster Weltklub als Trainer. Er schreibt hier eine Erfolgsgeschichte, die nicht vorhersehbar war. Vor Beginn seiner Amtszeit war nicht abzusehen, wie er in dem Klub voller Egos, Erwartungen und Stars zurechtkommen würde. Kompany war als Trainer mit dem FC Burnley aus der Premier League abgestiegen. Er galt nach der langen Trainersuche von Sportvorstand Max Eberl mitunter als „fünfte Wahl.“ Und jetzt deutet vieles darauf hin, dass er das „Perfect fit“ für die Bayern ist.

Noch hat er keinen internationalen Titel gewonnen mit den Münchnern. Am Abschneiden in der Champions League wird ein Coach beim Rekordmeister vor allem gemessen, in der Vorsaison schied Kompany im Viertelfinale gegen Inter Mailand aus. Doch die Art und Weise, wie er das große Amt des Bayern-Trainers mit gerade mal 39 Jahren ausfüllt, ist beeindruckend.

Die Spieler schwärmen von ihm. Er baut Talente wie Karl ein und gab Leon Goretzka, der ausgebootet war, nach starken Trainingsleistungen wieder eine Chance. Das Leistungsprinzip bei ihm wird gelebt – und gleichzeitig geht er sensibel und empathisch vor. Er zeichnet sich durch Klarheit und Ehrlichkeit aus. In Sachen Spielsystem hat er eindeutige Vorstellungen und Prinzipien, ist aber auch flexibel und passt immer wieder etwas an. Kompany steht für eine klare Idee und klare Werte.

Vincent Kompany versteht den FC Bayern

Jeder Spieler kennt genau seine Rolle. Die Mannschaft zeigt jedes Wochenende, dass sie eine echte Einheit ist. Öffentlich vertritt er den Klub ebenfalls souverän, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Er ist ein idealer Repräsentant des Klubs. Und beeindruckt auch die Granden Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge – beides bei den Bayern sehr wichtige Faktoren. Kompany versteht den FC Bayern.

Führungsspieler Joshua Kimmich sagte kürzlich ganz offen, wie gut es der Mannschaft tut, dass nach vielen Trainerwechseln in den vergangenen Jahren nun Konstanz auf dieser so wichtigen Position herrscht, dass man endlich mit demselben Trainer in die zweite Saison infolge geht.

In Anbetracht der Entwicklung des Klubs unter Kompany müsste mancher, der die Entscheidung pro Kompany damals kritisierte, eigentlich Abbitte leisten. Bei Kompany und Eberl. Und was wurde vor der Saison nicht alles diskutiert: Ist der Kader der Bayern zu klein? Wurden die richtigen Zugänge verpflichtet? Lagen die Bayern bei den Abgängen richtig? Eberl stand im Fokus. Und darf sich nun sehr bestätigt fühlen in seinen Entscheidungen, die er mit Sportchef Christoph Freund traf.

Ein Reporter fragte Eberl in dieser Woche, ob er jetzt Genugtuung verspüre. „Ich bin einfach extrem glücklich und happy, dass das, von dem wir im Sommer überzeugt waren, jetzt gerade so perfekt aufgeht. Das muss man ehrlicherweise sagen“, antwortete der Sportvorstand. „Wir haben das Gefühl, dass wir so gute Entscheidungen getroffen haben, dass wir jetzt sehr stabil dastehen. Wir gehen einen Weg gerade mit einem jungen Trainer, der eine unfassbare Entwicklung macht, unfassbare Schritte macht, Bayern München ein Stück weit befriedet mit seiner Art und seiner Kommunikation und trotzdem eine Klarheit auf dem Platz und neben dem Platz hat.“

Insofern ist es folgerichtig, dass die Bayern nach gerade mal gut einem Jahr Zusammenarbeit mit Kompany dessen Vertrag vor einigen Tagen bereits verlängerten. Zumal es heißt, Manchester City hätte seinen einstigen Spieler Kompany gern als Trainer. Nun ist der Coach bis 2029 an den Deutschen Meister gebunden. Die Verlängerung ist ein deutliches Signal. Ein Vertrauensausspruch, den sich Kompany verdient hat. Beide Seiten, Kompany und der Klub, senden die Botschaft: Wir glauben daran, dass wir gemeinsam eine Ära prägen können.

Eberl sagte, Kompany habe nun 16, 17 Monate durchweg mit dem Team arbeiten können, man habe „Puzzleteile gefunden, die sehr gut in unseren Kader passen“ und mit Blick auf den Nachwuchs-Campus „strategische Entscheidungen“ getroffen, die offenbar Früchte tragen. „Und das fühlt sich einfach gut an, dass man sagen kann: ‚Okay, das, was wir uns vorgenommen haben, funktioniert.‘“ Man werde sich aber nicht zufriedengeben. „Dass das, stand heute, zu so einem guten Resultat führt, freut uns sehr – aber wir sind hungrig und wollen mehr.“

Von der Idee der Vertragsverlängerung bis zum Vollzug vergingen nur wenige Tage. Auch das spricht für die Bayern und Kompany. Sie setzen in diesen Tagen auf klare, schnelle Entscheidungen und Prozesse. So drang auch vorab nichts nach draußen – was beim FC Bayern selten passiert.

Vom „FC Hollywood“ ist der Klub – anders als unter Kompanys Vorgänger Thomas Tuchel – zumindest aktuell weit entfernt. Die Atmosphäre im Verein ist über die Kabine hinaus deutlich besser als in den vergangenen Jahren. Vorstandschef Jan-Christian Dreesen traf es auf den Punkt, als er gerade sagte: „Vincent Kompany hat den Spaß zurückgebracht beim FC Bayern.“

In den kommenden Wochen kann Kompany beweisen, dass seine Mannschaft mit ihm das Potenzial hat, beim FC Bayern eine goldene Ära zu prägen. In der Champions League treten die Bayern bei Paris St. Germain und dem FC Arsenal in London an.

Noch liegt ein weiter Weg vor ihm, Eberl und der Mannschaft. Doch die Basis stimmt. Das können in diesen Herbstwochen alle sehen und spüren.

Julien Wolff ist Sportredakteur im Sportkompetenzcenter. Er berichtet für WELT seit vielen Jahren aus München über den FC Bayern und die Nationalmannschaft sowie über Fitness-Themen.

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