Mit weiter Trainingshose und einer besonderen Trophäe in den Händen kam Lennart Karl gegen Mitternacht aus der Kabine des Münchner Stadions. Nach dem 4:0 (3:0) am Mittwochabend gegen den FC Brügge wurde das Talent des FC Bayern zum Spieler der Partie ausgezeichnet. Sein Smartphone war da bereits voller Nachrichten und Glückwünsche von Familie und Freunden, der befreundete Rapstar Capital Bra gratulierte euphorisch auf Instagram. Es war in der noch so jungen Karriere des Lennart Karl der bislang größte Tag. Ein magischer Abend für den Teenager.

Erste Partie als Startelf-Spieler in der Champions League. Erstes Tor in der Königsklasse, nach nur vier Minuten. Und dann gleich Spieler des Spiels. „Mit 17 Jahren Player of the Match zu sein, bedeutet mir sehr viel“, sagte Karl. Er sei „sehr glücklich“. Glücklich über sein Traumtor, über seine Leistung, über den Sieg – und über einen Rekord.

Mit 17 Jahren und 242 Tagen schaffte es Karl, sich zum jüngsten Torschützen des FC Bayern in der Königsklasse zu küren. Er löste Nationalspieler Jamal Musiala ab, der bei seiner Tor-Premiere vor über vier Jahren auch noch 17 war, aber schon ein paar Monate älter. Am Donnerstagmorgen, am Tag nach dem Spiel, gehörte „Wer ist Lennart Karl?“ zu den am meisten gesuchten Fragen bei Google. Seit Mittwoch wissen sehr viele Fans, wer das ist. Millionen Menschen aus aller Welt sahen, was dieses Talent kann.

Für Karl war es das neunte Pflichtspiel für die Bayern. Und sein 1:0 gegen Brügge „ein wichtiges Tor“, sagte Sportchef Christoph Freund. Der 1,68 Meter große Karl ließ nach einem Pass von Jonathan Tah vier gegnerische Spieler stehen und schloss mit seinem starken linken Fuß ab. Auf der Zehner-Position überzeugte er, hätte noch ein Tor erzielen können und leitete viele Angriffe ein. Bei seinen vorherigen Profieinsätzen hatte Karl auf dem Flügel gespielt. Wettbewerbsübergreifend war es Karls dritter Startelf-Einsatz, Musiala und Serge Gnabry fehlen derzeit verletzt.

Karls Selbstvertrauen wird auf dem Rasen und außerhalb deutlich. „Ich weiß nicht, ob ich jetzt Angst haben soll vor den Gegenspielern. Ich brauche keine Angst haben vor den Gegenspielern. Deswegen ziehe ich immer mein Ding durch und deswegen war er dann drin“, sagte er. Seinen Schuss bezeichnete er selbst als „perfekt“.

Beim Erklingen der Champions-League-Hymne vor dem Anpfiff habe er Gänsehaut gehabt. Wie früher, als er noch Zuschauer auf der Tribüne war, sagte er: „Es ist ein Traum, dort unten zu stehen.“ Als sein Trainer Vincent Kompany ihn in der Endphase auswechselte, verabschiedete das Publikum Karl mit Standing Ovations.

Karl, der vor seinem Wechsel zu den Bayern für Viktoria Aschaffenburg und Eintracht Frankfurt spielte, ist erst seit diesem Sommer bei den Profis der Bayern dabei. Und doch wird er spätestens seit Mittwochabend als Kandidat für die Nationalmannschaft gehandelt. Bundestrainer Julian Nagelsmann hat immer wieder betont, dass das Leistungsprinzip unter ihm entscheidend ist. Und beruft immer mal wieder junge Spieler, um sie an die Nationalmannschaft heranzuführen. Karls Unbekümmertheit und Abschlussstärke beeindrucken viele.

Die nächsten WM-Qualifikationsspiele gegen Luxemburg und die Slowakei steigen bereits Mitte November. Wird Karl also noch dieses Jahr A-Nationalspieler?

Deutschland sehnt sich nach dribbelstarken, jungen Offensivspielern. Auch deswegen kommt nun sogar die Frage auf, ob Karl es in den WM-Kader für das Turnier in den USA, Kanada und Mexiko im Sommer 2026 schaffen kann. Bayerns Superstar Harry Kane hat schon mit vielen jungen Spielern trainiert und gespielt. Und traut Karl die WM zu.

Harry Kane schwärmt von Lennart Karl

„Er ist ein fantastischer Spieler“, sagte der englische Nationalstürmer. „Er hat keine Angst zu dribbeln. Er muss weiter hart arbeiten, dann hat er eine tolle Zukunft vor sich. Und wer weiß: wenn er von jetzt an ein bisschen mehr spielt und so wie gegen Brügge – dann hat er eine Chance! Aber er muss sich erst mal auf jedes Spiel konzentrieren und sein Bestes geben.“

Und Torwart Manuel Neuer, der mit Deutschland 2014 Weltmeister wurde, sagte: „Es ist auf jeden Fall noch ein Weg für ihn zu gehen. Aber grundsätzlich steht ihm die Zukunft offen, diese Richtung einzuschlagen.“ Sportchef Christoph Freund sagte, man sehe Karls Qualitäten jeden Tag im Training. „Es ist sehr schön, dass wir so ein Toptalent bei uns haben.“

Im Klub sind sie von Karls Entwicklung begeistert. „Er hat seine Chance genutzt“, sagte Trainer Kompany, das sei „auf diesem Level“ nicht unbedingt normal. Er sprach von „einer soliden Leistung“ Karls sprach, was wohl als bewusstes Understatement war.

„Euer Job ist es, ihn jetzt ganz großzumachen“

Denn Kompany weiß, dass jetzt viel über Karl gesprochen wird. Und ein Hype entstehen kann. In der Pressekonferenz nach dem Spiel wurde der Belgier gefragt, ob Karl nun zum Kandidaten für die Nationalmannschaft und den deutschen WM-Kader 2026 werden könnte. „Euer Job ist es, ihn jetzt ganz großzumachen, zu hypen“, sagte Kompany zu den Journalisten. Aber er sei Trainer. „Und ich bin kein Fan von Hype, sondern von Ausbildung und Ruhe.“

Karl selbst hält sich in Sachen Nationalelf ebenfalls zurück. Am Ende der Saison stehe ja ein Großereignis an, sagte ein Reporter nach dem 4:0 gegen Brügge zu ihm. Karl runzelte die Stirn und fragte: „Was ist denn da?“ Na, die WM, sagte der Reporter. Da lächelte Karl. Er wolle sich bei Bayern Einsatzminuten erarbeiten. Über die WM könne er noch nicht nachdenken. Er müsse erst mal für die U20 und U21 spielen, dann können wir darüber nachdenken.

Wie auch immer Nagelsmann entscheidet: Karl verspricht, bodenständig zu bleiben: „Jetzt schauen viele auf mich“, sagte das Talent, das sich von dem einstigen Nationalelf-Kapitän Michael Ballack beraten lässt, „jetzt darf ich nicht aufhören, weil ich ein Tor gemacht habe.“

Sein magischer Abend in München soll nur der Anfang gewesen sein.

Julien Wolff ist Sportredakteur im Sportkompetenzcenter. Er berichtet für WELT seit vielen Jahren aus München über den FC Bayern und die Nationalmannschaft sowie über Fitness-Themen. Beim Spiel gegen Brügge war er im Stadion.

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