Weit nach dem Abpfiff ging die Arbeit weiter. Ein lauer Wind wehte in dieser warmen Dienstagnacht in die Katakomben des Alphamega-Stadions in Limassol auf Zypern, und Harry Kane und seine Kollegen waren enorm gefordert. Im Anschluss an das 5:1 (4:1) bei Paphos FC in der Champions League wollten sehr viele Menschen rund um das Team der Zyprer ein Selfie mit Joshua Kimmich oder das Trikot von Kane. Gefühlt kamen gegen Mitternacht auch noch der Nachbar vom Co-Trainer des Co-Trainers, der Schwager vom Platzwart und der beste Freund vom Klubmaskottchen an und fragten nach einem Andenken. Die Bayern erfüllten viele Wünsche höflich und geduldig, obwohl der Motor ihres Mannschaftsbusses bereits gestartet war.
Ein Reporter aus Zypern fragte Kane zum Schluss, ob er wie der brasilianische Altstar David Luiz am Ende seiner Karriere zu Paphos wechseln wird. „Ich kann nichts versprechen“, antwortete Kane lächelnd: „Aber das Wetter hier hat mir auf jeden Fall gefallen.“
Irgendwo nicht verwunderlich, dass das Interesse an den Bayern an diesem in Limassol bis zu 29 Grad warmen Tag so groß war. Von der Form dieser Münchner sind viele sehr beeindruckt. Gegen die überforderten Profis von Paphos war es ein Pflichtsieg. Doch einer, der den Bayern Spaß machte. Und durchaus Erkenntnisse brachte. Ihre Rotation funktioniert. Kane kann auch als „Zehner“, als Spielgestalter glänzen. Und in Sachen Spielfluss und Spielfreude entwickelt es sich sehr zur Zufriedenheit aller.
„Wir haben dieses Momentum“
Kimmich kam vor der Abfahrt in Richtung Bankett in Badeschlappen zum Interview. Und lobte die Spieler, „die in dieser Saison bislang noch nicht so viel gespielt hatten“. Er meinte unter anderem Minjae Kim und Raphaël Guerreiro, die Trainer Vincent Kompany auf Zypern von Anfang an hatte spielen lassen. Auch der 24-jährige Zugang Nicolas Jackson überzeugte und traf in seinem insgesamt fünften Einsatz für die Bayern erstmals für die Münchner in der Königsklasse.
Am 1. September, dem sogenannten „Deadline-Day“ der Transferphase, hatten ihn die Bayern für ein Jahr für beachtliche 16,5 Millionen Euro vom FC Chelsea geliehen. Am letzten September-Tag lieferte Jackson nun erstmals, spielte in der Spitze vor Kane. Die Bayern haben eine Kaufoption für ihn – Jackson würde allerdings 65 Millionen Euro kosten.
„Nico war fantastisch: ein Tor, ein Assist, und am Ende noch fast ein weiteres Tor. Ich freue mich sehr für ihn“, sagte Kane: „Wir werden ihn die ganze Saison brauchen, er soll fit und frisch bleiben. Wir haben dieses Momentum und wollen es unbedingt beibehalten.“ Jackson selbst sagte: „Ich komme langsam wieder in meine Fitness und will so schnell wie möglich mein bestes Level erreichen. Ich habe beinahe zwei Monate nicht gespielt, auch allein trainiert.“
Auch Jan-Christian Dreesen ist begeistert. „Wir sind mit Real Madrid Tabellenführer“, sagte der Vorstandschef des Klubs nach dem Spiel in seiner Rede auf dem Bankett der Bayern im Hotel Parklane. Neben der Mannschaft und Sponsoren war dort auch Rapper Capital Bra zu Gast, der ein Fan von Talent Lennart Karl ist.
Dreesen erinnerte in seiner Rede an einen ganz Großen der Klubhistorie: Jupp Heynckes. Seit 2012/2013, als die Trainerlegende Coach war, gelang den Bayern kein solch erfolgreicher Saisonstart. Jetzt haben sie wieder die Bilanz von damals: die ersten neun Spiele gewonnen. „Das ist lange her“, sagte Dreesen und blickte zu Trainer Vincent Kompany und der Mannschaft. „Wir werden sehen, was da noch kommt. Es macht wahnsinnig Freude gerade mit euch.“ Damals unter dem mittlerweile 80-jährigen Heynckes feierte der FC Bayern am Saisonende das historische erste Triple, als er deutscher Meister, DFB-Pokalsieger und Champions-League-Sieger wurde. „Die Saison ist noch jung“, sagte Dreesen im Bankettsaal.
Der Chef des Weltklubs lobte den Teamspirit. Und Sportchef Christoph Freund sowie Sportvorstand Max Eberl mit besonderen Sätzen: „Ihr seid die, die das Ganze managen. Daher Applaus auch für euch. Das passiert ja selten.“ Vor allem Eberl wird von außen und aus dem Verein in den vergangenen Monaten immer wieder kritisch bewertet. Dabei wählte er Kompany vor gut einem Jahr als Trainer aus. Eine wichtige und richtige Entscheidung. Kompany genießt das Vertrauen des Klubs und moderiert den Kader derzeit sehr gut.
„Gesundes Selbstvertrauen“
Kimmich sieht ihn als entscheidenden Faktor. „Er ist ein absoluter Toptrainer“, betonte der Kapitän der Nationalmannschaft. Und einer, der mal länger da ist. „Ich bin zehn Jahre da, wir hatten glaube ich acht Trainer. Es tut jetzt mal ganz gut, mit demselben Trainer in die Saison zu gehen.“ Man merke, dass Mannschaft und Trainer länger zusammenarbeiten. „Dieser Flow ist kein Zufall“, so Kimmich. Er sieht eine absolut positive Entwicklung und „ein gesundes Selbstvertrauen“.
Man merke, dass alle Spieler bereit sind, „dass alle funktionieren“. Das sei ein sehr großer Wert, den man nicht unterschätzen dürfe. Er habe zuletzt auch zweimal auf der Bank gesessen. Und betonte, dass es mental nicht einfach sei für Spieler, die nicht immer spielen, von denen im Falle eines Einsatzes aber viel erwartet wird. „Man hat schon das Gefühl, dass wir eine gewisse Basis aufgebaut haben“, so Kimmich.
Man arbeite jeden Tag sehr hart, das zahle sich aus. Die Mannschaft habe ein gesundes Selbstvertrauen, niemand habe einen Höhenflug. „Ich habe das Gefühl, dass jeder sein Ego hinten anstellt. Und jeder weiß, dass er sehr wichtig ist und gebraucht wird – es aber nicht um den Einzelnen geht. Sondern darum, dass wir als Mannschaft erfolgreich sind“, sagte Kimmich sichtlich zufrieden.
Sein Trainer Kompany hat ein ähnlich gutes Gefühl. „Wir vertrauen allen Spielern, die wir bei uns haben, daher setzen wir alle auch ein“, sagte er über seine Rotation. „Das werden wir weiter so machen. Meine Priorität ist, dass wir weiter Leistung zeigen.“
Freitag geht es für die Bayern schon weiter. Dann reisen sie zum Topspiel der Bundesliga gegen Eintracht Frankfurt (Samstag, 18.30 Uhr, Sky). Die Hessen verloren Dienstag am zweiten Spieltag der Champions League 1:5 gegen Atlético Madrid. Es ist die letzte Partie vor der Länderspielpause. „Sie werden besonders motiviert sein“, sagte Dreesen über die Frankfurter: „Es wird ein schwieriges Spiel.“
Vor 13 Jahren riss die Siegesserie der Heynckes-Bayern im zehnten Saison-Pflichtspiel. In der Gruppenphase der Königsklasse verlor die Mannschaft um Manuel Neuer, Philipp Lahm, Franck Ribéry und Thomas Müller in Minsk gegen Außenseiter Bate Borisov 1:3.
Die Kompany-Bayern sind gewarnt – trotz des guten Flows und starken Selbstvertrauens.
Julien Wolff ist Sportredakteur. Er berichtet für WELT seit vielen Jahren aus München über den FC Bayern und die Nationalmannschaft sowie über Fitness-Themen. Dienstagabend war er beim Spiel des Rekordmeisters auf Zypern dabei.
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