Der VfL Bochum rutscht in der 2. Fußball-Bundesliga immer tiefer in die Krise: Gegen Fortuna Düsseldorf muss die Mannschaft die fünfte Niederlage in Serie einstecken. Bei den Gästen sind die Emotionen nach dem Spiel dagegen groß.

In der 95. Minute gibt es noch einmal Ecke für den VfL Bochum. Düsseldorfs Torwart Florian Kastenmeier hatte einen wuchtigen Schuss von Francis Onyeka über die Latte gelenkt. Das Ruhrstadion erhebt sich, Hoffnung. Ein Punkt, das wäre was. Das Mindeste an diesem Samstagabend. An der Eckfahne legt sich Maximillian Wittek den Ball zurecht - und schießt ihn ins Nirwana. Wie so oft in den vergangenen Monaten. Standardsituationen sind in Bochum ein Mittel zur Gefahrenverhinderung, nicht nur Gefahrenerzeugung.

Der Ball fliegt meilenweit über alle Köpfe hinweg, die Hoffnung schneller aus dem Stadion als ein Gasluftballon aus Kinderhänden. Sie ist Sinnbild für den Zustand des VfL. Es klappt nichts. Kurz danach ist Schluss. Fortuna Düsseldorf gewinnt das Krisenduell der 2. Fußball-Bundesliga mit 1:0 (1:0). Es brechen große Emotionen frei.

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Der Trainer der Gäste, Daniel Thioune, wird umringt von seinem ganzen Team. Assistenten, Betreuer, sie alle hängen sich um ihn. Thioune hat an diesem Abend wohl vorerst seinen Job gerettet. Spitz auf Knopf stand es für den beliebten Trainer, der so viel Rückendeckung aus der Mannschaft erhalten hatte. Vor allem von Spielern wie Kastenmeier oder Tim Oberdorf, der das 1:0 nach bereits vier Minuten erzielt hatte. Was für eine Erleichterung.

Ein Lied, das wie blanker Hohn klingt

Es waren Bilder fürs Herz. Da hatte sich eine Mannschaft für ihren Trainer geopfert. Und der war danach tief bewegt: "Mich freuen der Zusammenhalt und der Rückhalt, den ich genieße. Es war eine sehr anspruchsvolle Woche für mich. Daher tut es mir unheimlich gut, zu sehen, dass ich vielleicht doch nicht am falschen Ort bin und mich doch viele wertschätzen."

Es waren Bilder, die indes die meisten Fans im Stadion nicht sehen wollten. Oder eben auf der anderen Seite, auf ihrer Seite. Wenn es um die Düsseldorfer vor diesem Spiel schlecht stand, dann stand es um die Bochumer katastrophal. Und die Lage hat sich keinen My verbessert. Sieben Spiele, sechs Niederlagen. So schlecht ist der VfL in der 2. Bundesliga noch nie gestartet, so desaströs wurde ein Absteiger in der neuen Heimat noch nie begrüßt. Es gehen die Lichter aus "anne Castroper". Im Wortsinn. Mitte der ersten Halbzeit verabschiedete sich einer der Flutlichtmasten (später leuchtete er indes wieder).

In der Halbzeit hatte der Stadion-DJ wieder den Journey-Klassiker "Don't stop believin'" aufgelegt. Das Lied läuft seit Monaten im Stadion. Doch mittlerweile klingt es wie blanker Hohn. Woran sollen sie noch glauben? Was soll ihnen noch Hoffnung machen? Eine Antwort gibt es nicht. Kevin Vogt sagt Dinge, aus denen die ganz große Leere spricht: "Wir sind der VfL und der VfL gibt nicht auf. Wir müssen weitermachen und dürfen nicht aufgeben." Da steckt viel Wahrheit drin, die Abmeldung vom Spielbetrieb ist, soweit man weiß, keine Option für die Bochumer.

Was wird aus Coach Siebers?

Die durften sich beim Gang vor die Fans erneut einiges anhören, wie schon vergangene Woche in Nürnberg (1:2). Dieses Mal konnten sie den Gang allerdings immerhin in dem Bewusstsein antreten, als reingeworfen zu haben. Das hatten sie bei den Franken vielleicht auch getan, aber das Gefühl kam nicht auf den Tribünen an. An diesem Samstagabend offenbarte sich allerdings eine viel bittere Erkenntnis: All das Engagement reicht einfach nicht. Der VfL taumelt bedenklich und die Ausfahrt 3. Liga, die denkbar größte Katastrophe, ist bereits ausgeschildert.

Der Klub steht wieder vor großen Entscheidungen. Über die neue sportliche Führung soll möglichst zeitnah entschieden werden, hatte Klubboss Andreas Luthe vergangene Woche im Interview mit RTL/ntv gesagt. Eine weitere Entscheidung könnte aber womöglich noch viel schneller anstehen: Wie geht es weiter mit David Siebers, dem U19-Coach, der drei Spiele bekommen sollte, um sich zu beweisen. Zwei sind gespielt, beide wurden verloren. Krachend in Nürnberg, weniger krachend gegen Düsseldorf.

Ein Tor aus dem Spiel? Fast utopisch

Es gab Fortschritte, zum ersten Mal seit langer Zeit war eine offensive Idee erkennbar. Sie erinnerte an die guten Zeiten des VfL. Es wurde aggressiv gepresst, es wurde viel über die Flügel gespielt. Hier machte vor allem der erst 18 Jahre alte Kacper Koscierski mächtig Eindruck. Er warf sich in jeden Zweikampf, spielte mutige Pässe, suchte selbst immer wieder die Tiefe und hatte in der 44. Minute eine gute Chance, doch sein Schuss wurde aus kurzer Distanz geblockt. Koscierski ist die Hoffnung, die noch geblieben ist. Und der ein Jahr ältere Cajetan Lenz, der in der zweiten Halbzeit überall war, Ball um Ball gewann und antrieb. Aber die Durchschlagskraft fehlte. Bei allem Bemühen fehlte mal die Wachsamkeit, mal das Selbstvertrauen. Gute Ansätze verpufften beim letzten Kontakt. "Im Moment sieht man ein bisschen die Unsicherheit. Die letzte Überzeugung fehlt. Irgendwie will im Moment der Ball nicht rein. Wir haben gut gespielt, aber am Ende zählt das Ergebnis", befand Stürmer Philipp Hofmann.

Die wenigen Chancen, die sie hatten, wurden von Kastenmeier stark pariert. Einmal gegen den unermüdlichen Gerit Holtmann, der sich die Seele aus dem Leben rannte, aber auch nicht effektiv war. Einmal gegen Fardi Alfa-Ruprecht, noch so ein 19-Jähriger, der nach seiner Einwechslung Hoffnung machte. Und am Ende eben gegen Onyeka. Sonst war nichts. Zu wenig, um die Stimmung zu drehen. Zu wenig, um eine Statement zu setzen. Und zu wenig, um Siebers im Amt zu halten? Der abermals glücklose Hofmann sprach sich für den Trainer aus, sah eben die Fortschritte. Aber es braucht keine Baby-Steps, es braucht Weltrekordsprünge. Ein herausgespieltes Tor, das wäre mal was. Doch die Forderung danach klingt so utopisch wie die Eroberung einer neuen Galaxie.

Wer soll es machen? Hofmann, der zumindest in der zweiten Halbzeit mal ein paar Situationen bekam? Von der Bank kommt kaum Schlagkraft. Mathis Clairicia versucht alles, aber er ist limitiert. Ibrahima Sissoko, eigentlich ein Herausforderer für Hofmann im Sturmzentrum, ist derzeit nicht mal das. Da sitzen Spieler draußen, die völlig außer Form sind oder nicht die Qualität haben. Man kann das teilweise gar nicht beurteilen. Der sommerliche Kaderplan fliegt dem Klub gnadenlos um die Ohren. Der am letzten Transfertag verpflichtete Michael Obafemi, der ersehnte "mobile striker", stand nicht einmal im Spieltagsaufgebot.

"Solange es im Rahmen bleibt ..."

Mit dem Schlusspfiff wich jede Emotion aus den Bochumer Gesichtern. Maximilian Wittek guckt ins traurige Nichts. Er, der im vergangenen Jahr beim Relegationswunder noch einer der großen Helden war, kämpft seit Monaten mit sich. Jetzt kämpfte er mit den Tränen. Und hörte geduldig zu, als die Fans ihnen den großen Unmut entgegenschrien. Ob er etwas verstanden hatte? Wittek wirkte so abwesend, wie man nur abwesend sein kann. Die, die mitbekamen, was ihnen gesagt wurde, zeigten Verständnis: "Das gehört dazu. Die Fans haben ihren Unmut geäußert", sagte Vogt. "Sie kriegen auch seit zwei Jahren immer auf den Deckel. Es ist auch schwer für die Fans. Solange es im Rahmen bleibt, und das war im Rahmen, ist es auch in Ordnung. Da müssen wir durch."

Holtmann wollte die Stimmung richtig eingeordnet wissen: "Das ist doch nur nach dem Spiel, wenn das Resultat nicht stimmt." Wenn man sehe, was vor und in dem Spiel los war, dann sei die Mannschaft nicht ausgepfiffen, sie sei motiviert worden. Tatsächlich hatte das Publikum wieder Fingerspitzengefühl bewiesen. "Das, was die nach dem Spiel zu uns gesagt haben – die können sagen, was sie momentan wollen. Wir sind 17. Dass die uns nicht an die Gurgel gehen, ist großer Respekt. Ich kann alles verstehen. Aber trotzdem stehen die immer noch hinter uns und wir müssen in Kaiserslautern mal Resultate bringen." Don't stop believin'.

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