Auf dem Platz versuchte Schiedsrichter Walter Eschweiler die Situation lieber mit flotten Sprüchen als mit schnellen Karten zu entspannen. Dabei machte der Diplomat aus Bonn auch vor großen Namen nicht Halt. Das sorgte für Verwirrung und Gelächter. Heute feiert die "schwarze Diva" ihren 90. Geburtstag.

"Die Leistung eines Schiedsrichters ist mit irdischen Gütern nicht zu bezahlen. Die Augen sehen sowieso nicht viel. Ein guter Schiedsrichter sieht immer auch mit seinem Herzen." Was sich liest wie ein Auszug aus dem Buch "Der kleine Prinz" von Antoine de Saint-Exupéry, sind die Worte des Mannes, der sich selbst auch gerne als die "Pfeife der Nation" oder als die "Pfeife mit der Pfeife" bezeichnete. Der Diplomat Walter Eschweiler meinte einmal: "Ich bin aus Bonn, aber sonst nicht vorbestraft." Das Unikum der Bundesliga hielt sich auf und abseits des Platzes an folgende Maxime: "Schiedsrichter dosieren Wein, Weib und Gesang. Das beflügelt sie zu sehr guten Leistungen."

Die Karriere und das Leben haben Walter Eschweiler zu einer der wenigen wahren Schiri-Legenden des Profifußballs werden lassen. Und dabei fing alles ganz harmlos an: "Ich war ein schlechter Fußballer, hatte den Fuß gebrochen und durfte nicht mehr Fußball spielen. Und so nahm das Glück der Pfeife mit der Pfeife seinen Verlauf, und ich bin 30 Jahre durch die ganze Welt gekommen." Die allermeisten Fußballfans kennen die "schwarze Diva" vor allem durch eine Szene. Damals bei der WM 1982 wurde Eschweiler vom peruanischen Spieler Velasquez, "mit einer Figur wie ein Orang-Utan" (O-Ton Eschweiler), über den Haufen gelaufen. Der rheinische Diplomat machte eine Rolle rückwärts, fasste sich an seine Zähne und blieb für einen Moment benommen am Boden sitzen.

In der Halbzeit rief Genscher an

Anschließend rappelte sich die "Pfeife der Nation" auf, suchte auf dem Rasen schnell seine "Buchhaltung" (Original-Ton Eschweiler) zusammen und stand kerzengrade auf dem Platz. "Eine deutsche Eiche wankt, aber sie fällt nicht", meinte Eschweiler hinterher. Und außerdem habe er sich beeilen müssen, da eine Ärztin auf den Platz gelaufen sei, die sich ihm mit den Worten "Hello, I'm a doctor for animals" vorgestellt habe. Das habe ihn dann doch etwas verwirrt.

Den Beamten im diplomatischen Dienst erwartete schließlich in der Halbzeitpause sein Chef am Funkgerät. Außenminister Hans-Dietrich Genscher fragte Eschweiler besorgt, wie es ihm gehe. Doch die rheinische Frohnatur konnte Genscher beruhigen. Nur ein paar Minuten, nachdem er während eines laufenden WM-Spiels auf dem Rasen gelegen hatte und für Momente komplett weggetreten war, antwortete Walter Eschweiler bereits wieder gewohnt pointiert: "Lieber Herr Minister, außer dem angeborenen Dachschaden liegt keine nennenswerte Beschädigung vor."

"Der Eschweiler war mal Schiedsrichter und steckt voller Anekdoten." So hat Bundesinnenminister Otto Schily den Konsul im Auswärtigen Amt, Walter Eschweiler, bei einem Besuch der deutschen Schule in Yokohama einmal angekündigt. An die "schwarze Diva" werden sich die Leute noch in Jahrzehnten erinnern, denn Eschweiler hat zwischen 1965 und 1986 in 183 Bundesligaspielen und bei drei Weltmeisterschaften nicht nur tapfer seinen Mann gestanden, sondern vor allem durch seine Wortbeiträge auf dem Platz immer wieder auch für die entsprechende Rahmenunterhaltung gesorgt. Stets akkurat, immer diszipliniert, führte Eschweiler unter einem klaren Motto durch die Partien: "Vorbeugen ist besser, als die Spieler zu bestrafen. Ein flotter, freundlicher Spruch in hektischen Situationen entkrampft das Spiel."

Beispiele gefällig? Als sich der Italiener Bruno Conti einmal ganz spektakulär im französischen Strafraum fallen ließ, forderte Eschweiler ihn auf: "Bruno, stehen Sie bitte auf. Der heilige Vater schaut zu. Ihr Seelenheil ist in Gefahr." Conti soll, wie von der Tarantel gestochen, sofort wieder aufgesprungen sein. Oder als der Duisburger Herbert Büssers in der 86. Spielminute vehement einen Elfmeter für seine Mannschaft forderte, schüttelte der Schiedsrichter nur mit dem Kopf: "So spät kann man keinen Elfmeter mehr geben."

Selbst vor Weltmeistern machte er nicht halt. Als der Frankfurter Bernd Hölzenbein einmal nach der WM 1974 im gegnerischen Strafraum fiel, eilte Schiedsrichter Eschweiler umgehend zum gestürzten Eintracht-Profi und beugte sich zu ihm hinunter: "Bernd, stehen Sie schnell wieder auf. Das sitzt noch nicht richtig, das müssen wir noch einmal üben!"

"Wie ist der Name?" "Na, Beckenbauer!"

Legendär ist auch die Geschichte mit Kaiser Franz. Noch Jahre später zeigte sich der Kölner Hannes Löhr begeistert von dieser einmaligen Szene Eschweilers mit dem Ehrenspielführer: "Der kriegt es fertig, den Franz Beckenbauer nach seinem Namen zu fragen und den auch noch buchstabieren zu lassen." Und so unglaublich es klingt, genau das war passiert. Als der Bayern-Profi mal wieder etwas rustikaler zulangte, fragte Eschweiler den verdutzten Nationalspieler nach seinem Namen. Der Kaiser schaute den Schiri lange und irritiert an und winkte dann mit der Hand ab.

Doch die "Pfeife der Nation" ließ nicht locker. Und fragte noch zwei weitere Male nach dem Namen, bis ihn der Kaiser endlich sagte: "Na, Beckenbauer, was denn sonst!?" Daraufhin nickte Eschweiler nur kurz und sagte dann: "Können Sie das bitte buchstabieren, junger Mann!" Der bayerische Nationalspieler lief kopfschüttelnd von dannen. Und Eschweiler sagt aus der Erinnerung heraus: "Da brauchte ich gar keine Karte zeigen. Der war konsterniert genug!"

Tatsächlich galt Eschweiler in seiner Karriere als ausgeprägt besonnen. Er war kein Kartenkönig. Probleme, die er verbal lösen konnte, waren ihm die liebsten: "Wenn sich ein Spieler ein wenig danebenbenahm, dann habe ich ihm sofort angeboten, ihn in meine 'Kundenkartei' aufzunehmen. Aber es gab wirklich nur wenige, die Interesse an meiner Offerte hatten." Und wenn seine berühmte Sünderdatei mal wieder keinen weiteren Eintrag verbuchte, dann hatte er einen ruhigen Nachmittag ganz nach seinem Geschmack verlebt.

"Wilhelm, deine Frau betrügt uns"

Einen Spieler liebte Walter Eschweiler in seiner Karriere ganz besonders. Mit Willi "Ente" Lippens konnte sich der Bonner stundenlang auf dem Platz unterhalten. Wenn der frühere RWE-Stürmer Lippens über den bekannten Spielleiter der Siebziger- und Achtzigerjahre erzählt, dann klingt das ein wenig so, als ob Lippens über einen guten alten Freund redet: "Walter, Walter. Der war ja ein bisschen dünn mit Flaschenbeinen. Latte im Kreuz. Wie man sich eben einen Stocksteifen vorstellt."

Mit dem rheinischen Diplomaten hat der halbe Holländer aus dem Ruhrgebiet immer viel Spaß auf dem Platz gehabt, wie er gerne und lebhaft erzählt: "Wir haben uns oft unterhalten während des Spiels. Eckball für uns, bin ich raus zur Fahne, kam er hinterher: 'Na, Wilhelm, wie geht es zu Hause?' Sag ich: 'Danke, Walter, uns geht es sehr gut. Soll ich jetzt die Ecke schießen oder möchtest du, dass ich noch was erzähle?' Oder wenn du gefoult worden bist und hast auf dem Boden gelegen, da kam er dann vorbei - so in seiner Art mit den strammen Beinen und dem glatt gebügelten Oberkörper - und hat zu dir nach unten geschaut: 'Jung, suchst du was, hast du was verloren?'" Auch die ganz persönlichen Scherze ließ Walter Eschweiler damals nicht aus, wie sich Lippens mit einem schelmischen Grinsen erinnert: "Mir hat der immer gesagt: 'Ich glaub, Wilhelm, deine Frau betrügt uns!'"

"Sie treten mir das Rad kaputt"

Aber auch im Alltag ist Walter Eschweiler jederzeit für einen Spaß zu haben. Mit seinem berühmten verschmitzten Lächeln im Gesicht erzählte er einmal stolz von seiner überragenden Fitness auch im höheren Alter: "Beim letzten Belastungs-EKG bat mich der Arzt: 'Lieber Freund, hören Sie bitte auf, Sie treten mir das Rad kaputt.'"

Seine Gesprächspartner am Telefon verabschiedet Walter Eschweiler traditionell stets mit den Worten: "Grüßen Sie mir Ihre Frau und meine Kinder!" Das sorgt im ersten Moment für Verwirrung - und später für ein entspanntes Schmunzeln und unvergessene Augenblicke.

Heute feiert die beliebteste "Pfeife der Nation" ihren 90. Geburtstag. Alles Gute und ein herzliches Glück auf, lieber Walter Eschweiler!

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