Bis Sonntag laufen die Weltmeisterschaften der Leichtathleten in Tokio noch. Aber schon jetzt ist so gut wie sicher, dass sich der internationale Verband World Athletics danach auf die Schulter klopfen wird – und das auch nicht ganz zu Unrecht. Das Japan National Stadium ist fast an allen neun Wettkampftagen ausverkauft. Selbst die bei Fans eher unbeliebte „Morning Session“ lockte die Japaner in Scharen auf die Tribüne. Und immerhin passen 67.750 Menschen in das Stadion.
Dass der Sport in Tokio so viel Anklang findet, macht auch die Geschichte hinter dieser WM perfekt. Als die wegen Corona um ein Jahr verschobenen Olympischen Spiele 2021 in Tokio stattfanden, musste das extra dafür gebaute Stadion leer bleiben. Sebastian Coe, Präsident des Leichtathletik-Weltverbandes, versprach der Stadt damals, dass er alles dafür tun werde, die Weltmeisterschaften nach Tokio zu bringen. Das Versprechen hat er gehalten. Und Tokio hat geliefert, was sich Coe wünscht: Sein Sport auf der Bühne einer Mega-City.
In zwei Jahren endet die Amtszeit des 68 Jahre alten Engländers. Er will nicht abtreten, ohne der Leichtathletik eine klare Identität verpasst zu haben. Eine, die sicherstellt, dass die Sportart auch in Zukunft bei Olympia die erste Geige spielt. Aber er will noch viel mehr und ist bekannt dafür, auch in brenzligen Angelegenheiten eine klare Linie zu verfolgen. Russland schloss er wegen des Angriffskrieges gegen die Ukraine konsequent aus, auch bei Dopingthemen ist er klarer als die meisten Sportfunktionäre. Und um Zweifel am Geschlecht von Athletinnen auszuräumen, mussten alle WM-Teilnehmerinnen vor der WM einen Gentest durchführen.
„Ein leistungsstark wachsendes Unternehmen“
Coe will mit dem, was er für die Leichtathletik tut, anderen Sportarten etwas voraus sein. Deswegen macht er sich auf den letzten Metern seiner Amtszeit auch noch mal Gedanken, wohin es mit dem Sport in Zukunft gehen soll. In Tokio sagte Coe: „World Athletics ist jetzt ein leistungsstark wachsendes Unternehmen. Das ist keine Vision oder ein Wunsch, sondern eine Tatsache.“ Er sagte aber auch: „Wachstum ist spannend, kann aber auch riskant sein, wenn man nicht vorbereitet ist. Schnell wachsende Unternehmen streben nicht nur kurzfristige Erfolge an, sondern bauen messbare Systeme und Strategien auf, um dieses Wachstum langfristig zu sichern. Deshalb haben wir eine Vier-Jahres-Strategie und einen Acht-Jahres-Weltplan aufgestellt.“
Im Zentrum dieser Strategie und dieses Plans steht ein ganz neues Wettkampfformat. Auch das wurde in Tokio schon mal groß gefeiert, genau ein Jahr, bevor es in Budapest erstmals eröffnet wird. Im 45. Stock des Government Towers holte World Athletics die Größten des Sports zusammen und feierte eine Party im Himmel über Tokio. Wer es noch nicht kapiert hat, der sollte beim Blick aus dem Fenster merken: Der Sport will hoch hinaus. Höher als je zuvor.
Drei Stunden Entscheidungen in 28 Disziplinen
In Budapest werden 2026 die „Ultimate Championships“ stattfinden – ein Wettkampfformat mit einer Leistungsdichte, wie es sie noch nie gegeben hat. Alles, was die Leichtathletik für manche Zuschauer langweilig macht, hat an der Donau dann keinen Platz mehr. Dafür sollen die Superstars noch mehr Aufmerksamkeit bekommen.
An drei Tagen werden in jeweils drei Stunden Entscheidungen in 28 Disziplinen fallen. Anders als bei Weltmeisterschaften, Olympischen Spielen oder Europameisterschaften gibt es keine langatmigen Vorläufe, keine Qualifikationsrunden. Es geht in jedem Event sofort um den Titel des „Ultimate Champions“.
Damit die Stars auch Lust auf das Format bekommen, werden zehn Millionen US-Dollar Preisgeld ausgeschüttet. 150.000 Dollar gibt es für Sieger, das ist mehr als das Doppelte der Goldprämie von 70.000 Dollar bei Weltmeisterschaften. Coe sagte: „Wir machen kein Geheimnis daraus, dass wir dieses Format auch geschaffen haben, um den Sport noch interessanter für das Fernsehen zu machen.“
Bolt als PR-Zugpferd
Wie ernst Coe es mit dem Wettbewerb meint, zeigt auch, dass er extra und persönlich dafür kämpfte, Usain Bolt als PR-Zugpferd zu gewinnen. Der achtmalige Olympiasieger wurde kurzerhand schon mal zur „Ultimate Legend“ erkoren und befeuert jetzt das Elitetreffen. Bolt sagte: „Ich finde, es ist gut. Es ist wunderbar für den Sport. Der Sport entwickelt sich weiter, so wie andere Sportarten auch. Das wird also eine große Sache sein, ein Titel, den die Menschen über Jahre hinweg respektieren werden. Die Besten der Besten zusammenzubringen, eine kürzere Version, die es den Menschen einfacher macht zuzuschauen – und deutlich spannender. Es ist ein guter Start.“
360 Sportlerinnen und Sportler sollen in Ungarn starten. Bei den Weltmeisterschaften in Tokio sind insgesamt über 2000 Athleten dabei. Wer ein „Ultimate Star“ sein will, muss sich qualifizieren, Weltmeister und Olympiasieger sind automatisch dabei, der Rest muss im Vorfeld zeigen, dass er gut genug ist. Anders als sonst gibt es auch keine Begrenzungen für Nationen. Wenn ein Land in einer Disziplin fünf Topathleten hat, sind alle fünf dabei.
Coe sagte: „Es geht darum zu wissen, wo wir Prioritäten setzen, wie wir uns anpassen und wie wir strategische Entscheidungen treffen, die zu bedeutendem und nachhaltigem Wachstum führen. Das Ziel zu verstehen ist das, was wichtig ist – ja, entscheidend –, denn unser Wachstum wird sich in den nächsten zwei Jahren nur noch beschleunigen.“
Das neue Format ist wohl auch eine Reaktion auf ein historisches Problem dieses Sports. Bei Großereignissen schauen die Leute gebannt zu, während die kleineren Meetings kaum jemanden interessieren, auch wenn man sie mit Namen wie „Diamond League“ aufhübscht. Aber alle zwei Jahre Weltmeisterschaften und alle vier Jahre Olympische Spiele zu haben ist eben etwas wenig, wenn man im Konzert der ganz großen Sportarten mithalten will. Für die Vermarktung benötigt die Leichtathletik mehr Gesichter, mehr Stars, mehr Aufmerksamkeit.
Das Schrumpfkonzept birgt aber auch eine Gefahr. Wenn nur noch die Topsportler dabei sind, werden manche Nationen kaum eine Rolle mehr spielen. Auch die deutsche Mannschaft, die in Tokio immerhin 80 Athleten umfasst, wird überschaubar bleiben. Goldgewinner bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen? Hat Deutschland aktuell genau eine: Kugelstoß-Olympiasiegerin Yemesi Ogunleye. Ein Wochenende bleibt in Tokio noch, um daran etwas zu ändern. Schon fast ein Ultimate Showdown...
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