Den Flug hat Rebecca Langrehr noch nicht gebucht. Sie warte noch auf ihr Visum, sagt sie im Gespräch mit WELT. Ihre Entscheidung aber steht: Die zweifache Weltmeisterin und zweimalige Olympia-Starterin im Modernen Fünfkampf wandert in die USA aus. Sie will nicht mehr für Deutschland starten. Die Schuld dafür gibt die 27-Jährige dem hiesigen Verband. Hier begründet sie ihre Entscheidung ausführlich.

WELT: Frau Langrehr, warum haben Sie sich dazu entschieden, nicht mehr für Deutschland starten zu wollen?

Rebecca Langrehr: So richtig angefangen hat das ganze Drama letztes Jahr nach den Olympischen Spielen. Seitdem bin ich von bestimmten Personen verbal aber auch durch verschiedene Aktionen diskreditiert worden. Mir wurde deutlich gemacht, dass ich vom deutschen Verband als Athletin nicht wertgeschätzt werde. Ich war zu diesem Zeitpunkt beste deutsche Athletin, habe immer gute Leistung erbracht und habe mich zweimal für die Olympischen Spielen qualifiziert. Ich bin nicht fair behandelt worden, wurde als schlecht dargestellt. Irgendwann habe ich dann gesagt: Sorry, aber nicht mit mir.

WELT: Können Sie konkrete Beispiele nennen, was Ihnen vom Verband entgegen gestoßen ist?

Langrehr: Es wurde aktiv Druck auf mich ausgeübt durch die ehemalige Sportdirektorin Susanne Wiedemann und den Männer-Bundestrainer Andrii Iefremenko. Mir wurde immer wieder gesagt, ich wäre keine High-Performance-Athletin. Ich habe das als Scherz empfunden, da ich mich immerhin für die Olympischen Spiele in Paris qualifiziert habe. Dazu kam die Sache mit den Kadernormen. Durch den Wechsel der Disziplin (Reiten wurde durch einen Hindernislauf ersetzt, d. Red.) sollten alle Sportler noch mal die Normen für die entsprechenden Kader erfüllen. Damit wir Olympia-Starter weniger Stress haben, sollten wir aber eigentlich Sonderregelungen bekommen. Die haben wir aber nie erhalten. Das habe ich auch mehrere Male angesprochen, es gab aber nie eine Rückmeldung. Einem anderen Athleten wurde zudem die Option unterbreitet, dass er nur die Leistung für den Hindernisparcours nachweisen müsse und nicht die anderen Disziplinen. Diese Option wurde mir nie unterbreitet. Das war auf jeden Fall eine Bevorteilung eines anderen Athleten. Mir hingegen wurde gesagt, dass ich es nicht verdient habe im Kader zu sein, wenn ich die Norm nicht schaffe.

WELT: So kam es dann auch. Sie wurden im Sommer aus allen Kadern gestrichen. Wie wurde Ihnen die Entscheidung mitgeteilt?

Langrehr: Es gab eine E-Mail, in der stand, dass ich im ersten Halbjahr des Jahres die entsprechende Norm hätte erfüllen müssen. Ich hatte aber nicht einmal die Chance dazu – aus mehreren Gründen. Zum einen hatte der Verband zu dem Zeitpunkt keinen beschlussfähigen Vorstand. Es hätten also eigentlich keine Wettkämpfe mit deutschen Athleten besetzt werden dürfen. Zum anderen hatte ich zum Zeitpunkt der Wettkämpfe, die mir vorgeschlagen wurden, einen Bundeswehrlehrgang. Ich habe nach einem Ersatzwettkampf gefragt, der anderthalb Monate vorher gewesen wäre. Darauf habe ich nie eine Antwort bekommen.

WELT: Welche Folgen hatte der Verlust des Kaderplatzes für Sie?

Langrehr: Da hängt ganz vieles dran. Der Verband kann jemanden ohne Kaderplatz nicht mehr für internationale Wettkämpfe melden. Damit ist die Chance, mich für die Olympischen Spiele zu qualifizieren gleich null. Dazu habe ich alle Vorzüge des Kaders verloren – kein Geld mehr, keine Unterstützung für Wettkämpfe oder Trainingslager, keine Physiotherapeuten, keine Sportpsychologen. Und natürlich ist auch die Sportförderung für die Bundeswehr weg. Die Bundeswehr hat wirklich alles versucht, mich zu behalten, aber sie konnten ohne Kaderplatz nicht verlängern.

WELT: Wie haben Sie unter diesen Voraussetzungen in den vergangenen Monaten trainiert?

Langrehr: Ich war zum Zeitpunkt der Streichung bei meiner besten Freundin, die auch Modernen Fünfkampf macht. Da habe ich noch mit ihr trainiert. Als ich nach Hause gekommen bin, habe ich zu Hause ganz normal in meinem Verein trainiert.

WELT: Wie kam der Kontakt in die USA zustande?

Langrehr: Die Anfrage der USA kam schon letztes Jahr im Dezember. Sie haben mitbekommen, dass im deutschen Verband viel Stress ist und mir gesagt, dass sie mich sehr gerne haben wollen, wenn ich wechseln möchte. Ich habe das damals noch für sehr unrealistisch gehalten, weil ich dachte, dass sich die Sachen hier wieder regeln würden. Als ich dann aber aus dem Kader geworfen wurde, habe ich aktiv den Kontakt in die USA gesucht und das Angebot letztlich angenommen. So wie ich hier behandelt wurde, war es für mich nicht mehr tragbar. Sie haben mir in Deutschland meinen Lebensinhalt genommen. Wer mich so behandelt, hat mich als Athlet nicht verdient. Die USA haben mir gezeigt, dass es einen Verband gibt, der mich als Sportler schätzt.

WELT: Wollen Sie in Zukunft dann auch für die USA starten?

Langrehr: Das ist das gemeinsame Ziel. Ich will über kurz oder lang auch die Staatsbürgerschaft annehmen. Mein übergeordnetes Ziel ist Olympia. In Los Angeles 2028 will ich die bestmögliche Leistung bringen und am besten eine Medaille gewinnen. Das ist mein Traum. Und der wurde mir in Deutschland manipulativ kaputt gemacht – durch den Verband.

WELT: Bei den Olympischen Spielen in Paris erlebten Sie ein Drama. Nach einem Sturz beim Abreiten vor dem Wettkampf wurde ihr zugelostes Pferd nicht freigegeben. Sie hatten ohne Punkte aus dem Reiten keine Chance aufs Finale. Haben Sie mit Olympia noch eine Rechnung offen?

Langrehr: Ja, aller guten Dinge sind drei. Ich war zweimal bei Olympia, zweimal in Topform. Ich konnte zweimal nicht das zeigen, was ich draufhabe. Das möchte ich unbedingt nachholen und mir den Traum von guten Olympischen Spielen erfüllen.

WELT: Lassen Sie uns noch mal über den deutschen Verband sprechen. Es gab in den letzten Monaten Machtkämpfe ums Amt des Präsidenten. Mit Barbara Oettinger und Jan Veder haben sich zwei konkurrierende Funktionäre kurz hintereinander wählen lassen. Ihre Legitimierung war unklar, es wurde ein Notvorstand eingesetzt. Fördermittel vom Bund waren eingefroren, Wettkämpfe ausgesetzt. Der Verband stand kurz vor der Abwicklung. Wie haben Sie die letzten Monate abseits ihrer Person erlebt?

Langrehr: Wenn ich es in einem Wort beschreiben müsste: turbulent. Persönlich stand ich die ganze Zeit auf einer der beiden Seiten. Aber ich war Athletensprecherin – und als solche stand ich nur auf der Seite der Athleten. Das, was da passiert ist, war einfach nicht in Ordnung. Es war unterirdisch, absolut nicht fair gegenüber den Sportlern. Da ging es nicht mehr um Sport und die Athleten, sondern nur darum, wie sich eigene Interessen durchdrücken lassen.

WELT: Inwiefern haben die Athleten unter der Situation gelitten?

Langrehr: Extrem. So wie es Spaltungen innerhalb des Verbandes gab, gab es sie auch unter den Athleten. Das hat sehr tiefe Wunden hinterlassen. Viele hatten irgendwann nicht mehr nur mental mit der Situation zu kämpfen, sondern auch körperlich. Nicht zu wissen, wann man bei Wettkämpfen startet, wo man startet, ob es überhaupt noch Trainingslager gibt. Es war wirklich schlimm.

WELT: Hatten Sie selbst mit psychischen Problemen zu kämpfen?

Langrehr: Ich hatte extrem damit zu kämpfen. Vor allem, weil ich von den schon benannten Personen so unter Druck gesetzt worden bin. Ich finde, so sollte kein Athlet behandelt werden. Dazu dieser ganze Stress im Verband: Wir haben tagtäglich so viele E-Mails bekommen, in denen sich gegenseitig mit irgendwelchen Paragrafen beworfen und beschuldigt wurde, was alles falsch läuft. Irgendwann war es einfach zu viel.

WELT: Gibt für Sie den einen Schuldigen im Verband?

Langrehr: Ich als Rebecca Langrehr, also nicht als Athletensprecherin, habe bestimmte Personen ausgemacht, die sehr viel Schuld daran haben, dass alles so gelaufen ist, wie es gelaufen ist. Dazu zählt eindeutig der ehemalige Vizepräsident Jan Veder. Ganz großen Beitrag haben eben auch die ehemalige Sportdirektorin Susanne Wiedemann und Männer-Bundestrainer Iefremenko. Sie haben alle daran gearbeitet, dass es Kluften zwischen Trainern und zwischen Athleten gab und im Verband so extreme Mauern hochgezogen wurden.

WELT: Gegen Andrii Iefremenko wurden zuletzt in einer Veröffentlichung von „Sportschau“ und „Deutschlandfunk“ schwere Vorwürfe erhoben. Er soll Athleten und Trainer eingeschüchtert, bedroht und herabgewürdigt haben. Die ehemalige Chefbundestrainerin Kim Raisner sprach sogar von „diktatorischen Zügen“. Wie haben Sie ihn erlebt?

Langrehr: Ich kann das alles bestätigen. Ich habe das selbst erlebt, mit mir wurde genau so umgegangen. Es gab genug Fälle und Versuche, diese zu klären. Aber die ehemalige Sportdirektorin hat diese entweder für nicht wichtig erkannt oder heruntergespielt, als wäre es gar nicht so schlimm. Der Verband hat sich da bislang immer gut herausgezogen. Die neue Koalition, die jetzt zur Verbandsspitze gewählt worden ist, hat sich vorgenommen, dass diese Fälle vernünftig aufgearbeitet werden. Ich vertraue darauf.

WELT: Auf dem Verbandstag am vergangenen Sonntag wurden zwei gleichberechtigte Vizepräsidenten zur neuen Verbandsspitze ernannt. Der Verband ist damit wieder handlungsfähig. Wie bewerten Sie die Lösung?

Langrehr: Es ist die beste Chance, um den Sport wieder dahin zu bekommen, wo er mal war. Beide Vizepräsidenten haben Töchter, die den Sport betreiben und daran hängen und wollen, dass es funktioniert. Dadurch werden sie auf jeden Fall Lösungen und Kompromisse finden. Es geht darum, das ganze Konstrukt, was in die Brüche gegangen ist, so wieder aufzubauen, dass die Athleten ihren Sport ausüben können. Ohne Gedanken darüber, ob sie bezahlt werden, ob sie überhaupt starten dürfen. Ohne Krieg unter den Athleten, ohne Krieg unter den Trainern.

WELT: Einer der Vizepräsidenten ist Ihr Vater Jan Langrehr. Hat er Sie nicht überzeugen können, doch in Deutschland zu bleiben?

Langrehr: Die Wahl hat nichts mehr an meiner Entscheidung geändert. Ich möchte auch nicht, dass gesagt wird, dass ich nur starten würde, weil mein Vater der Vizepräsident ist. Ich habe mich ausschließlich über die Rangliste und meine Leistungen qualifiziert und konnte somit für Deutschland an den Start gehen.

WELT: Es wurde berichtet, dass Sie beim Verbandstag genauso wie ihr Athletensprecher-Kollege Patrick Dogue von Sicherheitspersonal aus den Räumlichkeiten in Frankfurt gebracht werden sollten. Wie kam es dazu?

Langrehr: Jan Veder hat die Security geholt, weil er der Meinung war, dass wir nicht die richtigen Athletenvertreter seien. Die Situation wurde aber durch den Notvorstand geklärt und auch klargemacht, dass wir rechtmäßig in diesem Raum sind. Wir durften bleiben. Aber ich hatte extremen Puls und fand das überhaupt nicht witzig.

WELT: Ihre Wahl zum Athletensprecher Ende letzten Jahres wurde durch den Rechtsausschuss des Verbandes annulliert. Es sei dabei „mehrfach gegen die Satzung und die Ordnungen verstoßen“ worden. Wie lautet Ihre Darstellung des Falls?

Langrehr: Wir haben ein Online-Programm genutzt, das anscheinend Löcher hatte. Man konnte den Link, den wir verschickt haben, immer wieder neu verschicken. Dadurch passten die Stimmen nicht, der Wahldurchgang war immer wieder ungültig. Es ging dann eine Beschwerde beim Rechtsausschuss ein, der die Wahl dann nicht anerkannt hat. Das Urteil wurde aber erst gültig, als wir es per Einschreiben zugeschickt bekommen haben. Das war erst im April.

WELT: Sie wären für die Organisation einer Neuwahl verantwortlich gewesen. Warum kam es seitdem von Ihrer Seite nie dazu?

Langrehr: Wir hätten keine Neuwahlen machen können, weil wir gar keine bestätigten Kader hatten, also gar nicht wussten, wer alles wahlberechtigt ist. Als dann Ende Juni, Anfang Juli die Kader bestätigt wurden, lagen mehrere Einsprüche gegen Kaderentscheidungen beim Schiedsgericht oder beim Rechtsausschuss vor. Wir wollten bis zu den Entscheidungen in diesen Fällen warten, es hätte nämlich sein können, dass sich an den Kadern dadurch noch etwas ändert. Der Rechtsausschuss hat dem Präsidium dann aber auf den Weg gegeben, es solle Neuwahlen durchführen. Weder der Rechtsausschuss noch das Präsidium ist dazu befugt. Jan Veder hat uns gesagt, wir würden den Leuten, die wählen wollen, das demokratische Recht dazu vorenthalten. So war es nicht. Veder hat dann eine Wahl durchgeführt, bei der andere Athleten gewonnen haben. Deswegen war er auf dem Verbandstag auch der Meinung, dass wir nicht mehr die rechtmäßigen Athletenvertreter sind. Es wurde dann aber vom Notvorstand bestätigt, dass Patrick Dogue und ich rechtlich gesehen noch die amtierenden Athletenvertreter sind, weil die Ergebnisse der Neuwahlen bei einem Verbandstag bestätigt werden müssen. Und das stand nicht auf der Tagesordnung.

WELT: Wenn Sie auf die letzten Monate zurückblicken: Bereuen sie irgendetwas?

Langrehr: Ich hätte mich früher entscheiden können, zu gehen. Das hätte mir sehr viel Stress erspart.

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