Sein Arbeitsgerät besteht aus glasfaserverstärktem Kunststoff, ist 5,20 Meter lang und gute vier Kilogramm schwer. Mit diesem Stab vermag niemand der Schwerkraft aufsehenerregender zu trotzen als Armand Duplantis, 25, der seit seiner Kindheit von allen nur „Mondo“ genannt wird. 20 Anlaufschritte benötigt der in Nordamerika geborene Schwede, um sich seit dem Gewinn seines ersten Europameistertitels 2018 in atemberaubender Konstanz über Höhen zu katapultieren, von denen seine Konkurrenten nur träumen können.
118-mal meisterte der Überflieger sechs Meter und mehr, 13 Weltrekorde stellte er auf, seit 39 Wettkämpfen ist er unbesiegt. Aber nicht nur wegen seiner Dominanz schwebt er auf „Wolke sieben“, wie der Ausnahmeathlet vor den Weltmeisterschaften in Japan verriet.
WELT AM SONNTAG: Herr Duplantis, mit der Ehrlichkeit nehmen Sie es aber nicht so genau, oder?
Armand Duplantis: (schaut verdutzt) Wie kommen Sie darauf?
WAMS: Vor dem Wettkampf in Ihrer Heimatstadt Stockholm am 15. Juni haben Sie gesagt: „Wenn ich dort Weltrekord springe, kann ich zurücktreten.“ Mit 6,28 Meter übertrafen Sie Ihre Bestmarke um einen Zentimeter.
Duplantis: (lacht) Haben Sie mein Augenzwinkern nicht gesehen, als ich das gesagt habe?
WAMS: Nicht wirklich …
Duplantis: Na gut, Sie wissen aber, warum ich das gesagt habe?
WAMS: Selbstverständlich. In Ihrer Erfolgsbilanz fehlte bis dato nur noch, dass Sie auch in Ihrem Heimatland einen Weltrekord aufstellen, speziell im Olympiastadion von Stockholm, wo 1912 die olympischen Leichtathletik-Wettbewerbe ausgetragen wurden.
Duplantis: Genau. Davon war ich schon seit meiner Kindheit beseelt. Die Namen aller, die in der Arena einen Weltrekord aufgestellt haben, werden an der Stadionwand des „Walk of Fame“ eingraviert. Der Letzte, der auf diese Weise geehrt wurde, war Hochspringer Patrik Sjöberg 1986. Damals saß meine Mutter auf der Tribüne, so wie jetzt bei mir auch. Dass ich nun dort auch verewigt bin, macht mich sehr stolz.
WAMS: Ihren Stab legen Sie also vorerst nicht aus den Händen?
Duplantis: Würden Sie das etwa gut finden?
WAMS: Auf keinen Fall.
Duplantis: Also, warum sollte ich goodbye sagen? Meinen Zenit habe ich längst noch nicht erreicht. Auch wenn ich gestehe, dass alles, was jetzt noch kommt, ein Bonus ist. Aber lassen Sie mich noch kurz etwas zur Ehrlichkeit sagen. Mit gutem Gewissen kann ich versichern, dass ich noch nie bewusst gelogen habe. Ich wüsste auch nicht, warum ich unehrlich sein sollte. Viel eher würde ich vor Scham im Boden versinken.
WAMS: Wobei man Ihre Stockholmer Ankündigung durchaus hätte ernst nehmen können angesichts Ihrer zahlreichen Aktivitäten. Im Februar veröffentlichten Sie unter Ihrem Spitznamen „Mondo“ Ihre erste Single mit dem selbst geschriebenen Song „Bop“. Die landete in Schweden in den Top 15 der Charts. Vier Monate später folgte mit „4L“ das zweite Lied.
Duplantis: Musik ist für mich immer ein kreatives Ventil und eine Art Therapie, um den Stress und Rummel, der mich nun einmal wegen meiner Leistungen umgibt, zu kompensieren. Ich brauche Musik wie die Luft zum Atmen. Schon seit einiger Zeit bin ich mit ein paar Freunden musikalisch unterwegs, bislang aber mehr aus Hobby. Wir haben inzwischen etwa 30 Songs geschrieben und planen für nächstes Jahr ein Debütalbum.
WAMS: Mit Ihrem Faible überraschten Sie die Öffentlichkeit das erste Mal im Januar durch ein Musikvideo, in dem Sie mit Desiré Inglander zu sehen sind. Ihre Verlobte ist Model und Influencerin, gemeinsam sind Sie auch bei Modewochen unterwegs. In dem Clip zum Song „Chasing Paradise“ des norwegischen DJs Kygo tanzen Sie am Strand und küssen sich unter Wasser.
Duplantis: Uns hat das unheimlich Spaß gemacht, und die vielen positiven Reaktionen haben uns darin bestätigt, dass es richtig war, was wir taten.
WAMS: Für noch mehr Aufsehen sorgte Ihr Heiratsantrag während eines gemeinsamen Fotoshootings mit der „Vogue“.
Duplantis: Oh, mein Gott, war ich aufgeregt, viel mehr als bei meinen olympischen Wettkämpfen. Ich war noch nie so nervös. Ich wollte Desiré auch etwas sagen, doch mir stockte die Stimme. Es dauerte auch eine gefühlte Ewigkeit, bis ich den Verlobungsring aus meinem Jackett geholt hatte.
WAMS: Wie haben Sie sich kennengelernt?
Duplantis: Vor fünf Jahren bei einer Mittsommerparty in Stockholm. Sie wollte anfangs aber nichts mit mir zu tun haben, sondern nur tanzen. Ich musste mächtig um sie kämpfen und bin froh, dass ich es getan habe. Seit vier Jahren leben wir nun schon zusammen. Es ist traumhaft schön.
WAMS: Desiré begleitet Sie auch oft zu Ihren Wettkämpfen. Wann werden die Hochzeitsglocken läuten?
Duplantis: Eigentlich sollte das dieses Jahr passieren. Doch mein Terminplan war so voll, dass wir das auf 2026 verschoben haben. Wir wollen die schönste Hochzeit feiern, die man sich vorstellen kann. Wir sind schon voller Vorfreude.
WAMS: Aber erst einmal wartet die Weltmeisterschaft in Japan auf Sie, es wird Ihr letzter Wettkampf in dieser Saison sein.
Duplantis: Ich freue mich auch deshalb besonders darauf, weil wir dieses Mal im Nationalstadion vor Zuschauern springen werden. Vor vier Jahren bei den Sommerspielen durften ja wegen Corona keine Fans dabei sein. Das ist dieses Mal anders – Gott sei Dank.
WAMS: Aktuell sind Sie im Stabhochsprung so etwas wie ein Alleinunterhalter. Macht es auf Dauer überhaupt noch Spaß, in einer eigenen Liga zu performen?
Duplantis: Natürlich ist das Stabhochspringen mehr ein Wettbewerb mit mir selbst. Das war aber immer so – selbst als ich noch kein Weltrekordhalter war. Das begann bei mir schon als Siebenjähriger. Im Grunde genommen tritt man nur gegen die Latte an und die Person, die man gestern war. Und eines muss ich noch sagen: Gewinnen wird nie langweilig.
WAMS: Das ist wohl wahr.
Duplantis: Ich liebe es, mich selbst zu pushen. Ich liebe es, meinen Job perfekt auszuführen. Ich versuche, die beste Version meiner selbst zu werden, der beste Athlet und der beste Mensch, der ich sein kann. In dieser Hinsicht befinde ich mich auf einer Reise, deren Ende nicht abzusehen ist. Ich hatte schon immer eine etwas extreme Obsession. Daran wird sich nichts ändern. Mein Vermächtnis soll sein, der beste Stabhochspringer der Geschichte zu werden.
WAMS: Mit welcher übersprungenen Höhe?
Duplantis: Keine Ahnung. Möglich sind vielleicht 6,40 Meter. Die nächste Schallmauer ist aber erst einmal 6,30 Meter.
WAMS: Die Sie bei der WM anvisieren? Das würde Ihnen neben der Siegprämie von 70.000 Dollar noch einmal 100.000 Dollar zusätzlich vom Weltverband World Athletics bescheren – so wie für jeden anderen Weltrekord auch.
Duplantis: Zahlen habe ich keine im Kopf. Letztlich ist es meine Arbeit, mit der ich mein Leben finanziere. Ich brauche aber nicht viel. Ich weiß aber auch, dass ich keine wirklichen Schwächen habe, was somit meine besondere Stärke ist. Und ich weiß auch genau, was ich machen muss, um hochzufliegen und das Beste aus mir herauszuholen. Außerdem habe ich alle wichtigen Ressourcen und Menschen um mich, mit denen ich meine Ziele verwirklichen kann, wobei ich eines vor jedem Sprung immer mache: Ich schließe die Augen, atme tief durch und visualisiere, was ich erreichen möchte. Dann lasse ich es einfach laufen. Das Visualisieren ist die beste Art, Dinge zu erlernen. Und natürlich würde ich gern wieder mit einer Bestleistung gewinnen, das muss ich nicht weiter betonen.
WAMS: Haben Sie überhaupt keine Selbstzweifel?
Duplantis: Natürlich denke ich über mich und meinen Sport intensiv nach, setze mich damit auseinander. Gleichzeitig bin ich aber auch unendlich dankbar für das, was ich alles schon erreicht habe, wodurch ich jetzt mit einer ganz anderen Gelassenheit durchs Leben gehe. Zumal ich nun auch noch mein großes privates Glück gefunden habe.
WAMS: Die Erwartungen sind aber bei jedem Wettkampf immens. Die Zuschauer möchten einen Weltrekord sehen.
Duplantis: Ja, oder wenigstens einen Weltrekordversuch. Das verstehe ich bei dem, was ich bislang vollbracht habe. Ich kann damit aber gut umgehen. Es ist ein Luxusproblem. Deshalb beschwere ich mich nicht darüber. Druck ist ein Privileg. Man muss schon ein echt harter Hund sein, wenn man ganz oben stehen will. Mir kam zugute, dass ich in einem wettbewerbsorientierten Umfeld aufgewachsen bin. Nicht nur durch meine Brüder, sondern in der gesamten Nachbarschaft gab es exzellente Sportler, gegen die es sich zu behaupten galt.
WAMS: Was Ihnen offenbar bestens gelungen ist.
Duplantis: Gleichwohl kann auch ich nicht in jedem Wettkampf einen Weltrekord springen, schließlich bin auch ich nur ein Mensch. Dennoch ist es mein genereller Anspruch, wo immer ich auch auftrete, dem Publikum etwas nicht Alltägliches zu bieten. Deshalb sehe ich mich zugleich in der Rolle des Entertainers. Die Energie, die das Publikum mir gibt, liebe ich, sie hilft mir, immer höher zu springen. Wahrscheinlich bin ich etwas voreingenommen.
WAMS: Wie meinen Sie das?
Duplantis: Ich glaube nicht, dass es in der Leichtathletik etwas Unterhaltsameres gibt als das Stabhochspringen. Es ist exotisch, es ist eine wunderschöne, akrobatische Darbietung, eine Art Zirkusveranstaltung. Und ich finde ebenso, dass nur der Stabhochsprung auch außerhalb der Stadien eine reizvolle Show bieten kann. Soll ich Ihnen mal sagen, was mein größtes Problem ist?
WAMS: Bitte.
Duplantis: Die Stäbe zu befördern, sie in Flugzeuge zu bekommen. Beim Diamond League Meeting in Monte-Carlo hat meine Mutter mir die Stäbe mit dem Auto gebracht, weil die Fluggesellschaft sie nicht akzeptiert hat. Es wird immer komplizierter, mit den Stäben zu reisen. Das Schwierigste für mich am Stabhochsprung ist nicht die Disziplin selbst, sondern die Logistik, die damit verbunden ist.
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