Das Zitat ist ziemlich genau zwei Jahre alt. Ilkay Gündogan, damals Kapitän der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, wurde am 9. September 2023 nach einem 1:4 gegen Japan gefragt, was für ihn der Unterschied sei zwischen Manchester City und der DFB-Auswahl. Nun, entgegnete der Führungsspieler nach kurzem Nachdenken. Wenn er in Manchester auf dem Platz einen Fehler mache, stehe ein anderer bereit, um ihn auszubügeln.
24 Stunden später trockneten die Basketballer die Tränen der deutschen Sportfans, krönten sich in Manila mit einem Sieg über Serbien erstmals zu Weltmeistern.
Seitdem ist nicht viel passiert. Okay, die ehrgeizigen Basketballer erlebten ihrem Selbstverständnis nach eine leichte emotionale Delle, als sie bei den Olympischen Spielen von Paris 2024 im Halbfinale Gastgeber Frankreich unterlagen. Die Fußballer schienen zuvor bei der Heim-EM unter dem neuen Bundestrainer Julian Nagelsmann auf dem Weg zur Trendwende. Mitte September 2025 muss man jedoch konstatieren, dass sich nicht entscheidend viel verändert hat.
Die Fußballer quälten sich in den vergangenen Tagen nach einem 0:2 in der Slowakei im Rahmen der WM-Qualifikation zu einem 3:1 gegen Nordirland, während die Basketballer bei der Europameisterschaft in Finnland und Lettland von Sieg zu Sieg bis ins Finale eilten. Wirklich überraschend kam beides nicht. Zu offensichtlich sind die Gründe für den Erhalt des Status quo.
FW wie Franz Wagner und Florian Wirtz
Dabei finden sich in der Ausgangslage nicht nur bei den Initialen ihrer zentralen Figuren viele Parallelen. Beide Nationalmannschaften haben zwar nicht den ganz großen Superstar in ihren Reihen, die Fußballer mit Florian Wirtz und die Basketballer mit Franz Wagner aber zwei der global hoffnungsvollsten Talente ihrer Sportarten. Beide Teams verfügen zudem über viel internationale Klasse in ihren Reihen, haben einen guten Mix aus erfahrenen und jungen Spielern, bestmögliche medizinische Versorgung und Coaching auf höchstem taktischen Niveau.
Wer verstehen will, weshalb der DBB diese Voraussetzungen zu maximalem Erfolg nutzen kann, während der DFB im Krisenmodus um die Teilnahme an der Weltmeisterschaft im kommenden Jahr bangt, muss nichts weiter tun, als die Spieler beider Mannschaften bei der Ausübung ihres Sports zu beobachten.
Die Basketball-Auswahl wirkt bei der EM wie eine Gruppe Oberstufenschüler auf Studienfahrt. Man kennt sich, mag und respektiert sich und hat bei allem Spaß ein gemeinsames Ziel, dem sich wie selbstverständlich untergeordnet wird. Dass der neue Bundestrainer Alex Mumbru noch mehr als sein Vorgänger Gordon Herbert auf eine tiefe Rotation setzt, dürfte das Gefühl der Wichtigkeit jedes Einzelnen im Kader noch verstärkt haben.
Viele Verletzungen, keine Folgen
Die Mannschaft jedenfalls spielt entwaffnend uneigennützig und uneitel. Es wird gepasst und durchgewechselt, dass manchem Gegner schwindelig wird. Wenn die vermeintlichen Top-Schützen wie Dennis Schröder, Franz Wagner oder Andreas Obst mal nicht auf ihre Trefferquoten kommen, schießen eben Tristan da Silva oder Maodo Lo die Lichter aus.
Nur so können auch Verletzungen von Moritz Wagner, Johannes Voigtmann oder Justus Hollatz kompensiert werden. Während Voigtmann und Hollatz wie selbstverständlich in der Halle mitfiebern, begleitet Wagner in Kalifornien selbst in den frühen Morgenstunden die Spiele und wird aus den USA als TV-Experte zugeschaltet: „Bro, was geht?“, grüßt er meist mit leuchtenden Augen, wenn die Mitspieler auf dem Bildschirm zum Interview erscheinen.
Nach dem Sieg gegen Finnland gab es einen Flachs von Tristan da Silva zurück: „Kommst mal vorbei zum Finale?! Bisschen Support zeigen“, sagte er zu Wagner, bei dem herauszuhören warf, dass er trotz seines Kreuzbandrisses tatsächlich mit dem Gedanken gespielt hatte „Ich hätte es gern hinbekommen. Aber Lettland ist einfach zu weit. Ich schaffe es wegen des Knies nicht.“
Sogar der neue Bundestrainer fiel pünktlich zum ersten Gruppenspiel aus. Man könnte fast auf die romantische Idee kommen, dieses Team bräuchte keinen Coach. Was natürlich mit der Realität nicht viel gemein hat: Gordon Herbert trägt auch an den jüngsten Heldentaten seinen Anteil, und Mumbru hat dem flüssigen Spiel binnen kürzester Zeit mehr Tempo und eine neue Defense gegeben.
Selbst der einstige Ego-Shooter Schröder fand seine Rolle und lebt den Führungsanspruch für alle gewinnbringend als emotionaler Führer im Kapitänsamt aus, statt wie früher jeden zweiten Angriff im Alleingang fahren zu wollen. Und wüsste man es nicht besser, würde wohl niemand auf die Idee kommen, dass hier der Bestverdiener in der deutschen Sportgeschichte auf dem Parkett steht oder gar nur auf der Bank sitzt.
Franz Wagner versinnbildlicht mit seinem bescheidenem Habitus, Mut im Spiel und Bodenständigkeit im Auftreten, mit seinen Interviews, auch seinem unspektakulären Aussehen, ja eigentlich allem, am eindrucksvollsten, wofür diese Mannschaft steht – und was den Fußballern fehlt: Fokus und Lust.
Es ist die Lust an der Gemeinschaft, die Leidenschaft für den Sport und den Wettkampf. Sich zu messen, Großes zu vollbringen in und mit einer Gruppe Gleichgesinnter, darum geht es. Alles andere ist unwichtig. Auf dem Platz mutig und aggressiv, abseits stets bescheiden. Als Team. Ja, so etwas gibt es noch.
Die Basketballer haben ihre Nationalmannschaft über Jahre klug zusammengestellt und sie auch nicht verändert, als individuell vermeintlich bessere Spieler plötzlich doch Lust verspürten, als sich der Erfolg einstellte. Bei der Auswahl wurde die Einstellung über das Talent gestellt. So wurde mit der Nationalmannschaft ein Biotop geschaffen, in das die Profis gern kommen. Obwohl oder gerade weil sie in einem Sport ihr Geld verdienen, in dem das Wechseln des Vereins Alltag ist. Schröder hatte allein in den vergangenen zwölf Monaten vier Klubs.
Das Nationalteam als Hort und Konstante. Und im Idealfall bringen die Spieler beides mit: Enthusiasmus und Exzellenz. Tristan da Silva formulierte es nach dem Sieg gegen Finnland und dem Einzug ins Endspiel so: „Wir sind viel über die Energie gekommen. In so einer Halbfinal-Situation kommt es darauf an, wer am härtesten spielt und wer es am meisten will.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.
Basketballer als Vorbild für Leichtathleten
Doch gilt das auch für unsere Fußball-Nationalmannschaft? Bringt Nagelsmann die Elf mit dem größten Willen? Die Elf mit dem größten Einsatz und der maximalen Identifikation für die Gruppe? Und um Gündogans Vergleich aufzunehmen: Wie viele der aktuellen Spieler stehen denn bereit, um selbstverständlich Fehler der Nebenleute auszubügeln?
Bei der Nationalelf spielt seit Jahren der Verdacht mit, dass hier einige Profis nur noch vorbeischauen, um ihren Marktwert zu steigern. Wer sich schon nicht mit Deutschland und den Menschen in diesem Land identifiziert, sollte doch zumindest für seine Mannschaft da sein.
Es geht hier nicht darum, die beiden Teams gegeneinander auszuspielen. Nur wird Deutschland in diesem September von den Basketballern mit dem Holzhammer eingebimst, worauf es im Mannschaftssport immer noch ankommt. Selbst die für ihren Individualismus bekannten Leichtathleten haben das erkannt: „Wir haben ja schöne Vorbilder mit den Basketballern. Vielleicht bringen wir da annähernd so was in der Richtung hin. Also ich will nicht ganz nach den Sternen greifen, aber ich glaube, das zeigt eben genauer, was den Sport ausmacht“, sagte Leistungssport-Vorstand Jörg Bügner vor den gerade begonnenen Weltmeisterschaften in Tokio.
Bei seiner Übernahme hatte Nagelsmann die bisherige Zusammenstellung der Nationalmannschaft infrage gestellt. Er hatte das Kernproblem eigentlich erkannt, dass zu viele zwar hochtalentierte, aber eben emotionslose, illoyale Individualisten den Kader zersetzten und dem Kollektiv dadurch Wucht und Stärke nahmen. Möglicherweise ist er sich untreu geworden oder hat auf die falschen Einflüsterer gehört. Anders sind die blutleeren Auftritte in der Slowakei und gegen Nordirland nicht zu erklären.
Es wird Zeit, dass er Typen mit der richtigen Temperatur findet. Männer mit Mut und Lust. Wer hat wirklich so richtig Bock auf die WM? Wer freut sich auf die Nationalmannschaft? Diese Fragen sollte er sich bei jedem seiner von ihm nominierten Spieler stellen. Nur so kann entstehen, was wir gerade in Riga erleben: Eine Mannschaft, die füreinander einsteht und über sich hinauswächst – und so die Menschen in Deutschland begeistert.
Wenn Lutz Wöckener nicht gerade irgendeinen Sport im Selbstversuch ausprobiert, schreibt er über Darts und Sportpolitik, manchmal aber auch Abseitiges wie Fußball.
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