Kapitän Robert Andrich fliegt vom Platz, später auch noch Ezequiel Fernández. Doch Bayer Leverkusen zeigt bei Kasper Hjulmands Debüt gegen Eintracht Frankfurt eine beeindruckende Robustheit.
Was hatte Arthur Theate wohl erwartet? Dass er den Ausgang des Spiels nachträglich verändern könne? Es wäre eine historische Meisterleistung des Frankfurter Abwehrmanns gewesen. Aber, kleiner Spoiler, er vollbrachte sie nicht. Theate stand an diesem Freitagabend in den Katakomben der BayArena. Der Abpfiff im Duell der Eintracht gegen Leverkusen war schon eine gute Weile her. Aber der Belgier war noch sehr erregt. Mit der letzten großen Entscheidung von Schiedsrichter Deniz Aytekin war er nicht einverstanden gewesen und wollte reden. Ein Foul an Lucas Vazquez hatte der erkannt, Freistoß gegeben und der war eben drin, 3:1 stand es für Bayer. Der erste Sieg in dieser Bundesliga-Saison war sicher. Alejandro Grimaldo hatte zum zweiten Mal genial zugeschlagen.
Der Spanier hatte Bayer-Coach Kasper Hjulmand das Debüt gerettet. Mit neun Mann warf sich Bayer in den letzten Minuten dem Gegner entgegen, zwei Gelb-Rote Karten gegen Kapitän Robert Andrich (59.) und den argentinischen Neuzugang Ezequiel Fernandez (92.) hatten sie verkraften müssen, ehe sich über die kriselnde Industriestadt der süße Geruch von Erleichterung legte. Bayer kann's noch. Wenn auch ganz anders, als noch vor ein paar Wochen. Als Xabi Alonso, der spanische Stadtheilige, die erfolgreiche Kurzzeit-Ära ausklingen ließ.
Plötzlich wieder gute Gefühle in Leverkusen
Theate wartete derweil eine lange Weile auf Aytekin, er wollte diesem offenbar weismachen, dass er falsch lag. Aber Deutschlands erfahrener Top-Schiedsrichter ließ sich nicht von seiner Überzeugung abbringen. Er riet ihm stattdessen offenbar, künftig am eigenen Strafraum nicht ganz so robust zu Werke zu gehen. Theate hatte zwar auch den Ball getroffen, aber den ehemaligen Real-Spieler Vazquez mächtig mit abgeräumt. Und der 34-Jährige ist erfahren genug, ein solches Einsteigen für sich zu nutzen. Grimaldo zirkelte den Ball hernach erneut ins Tor.
Das weckte gute Gefühle in der tobenden Arena. Ein sehr spätes Tor (98.), ein traumhaftes. Von einem der wenigen verbliebenen Helden der rauschhaften Xabi-Alonso-Jahre. Hjulmand sprang ein drittes Mal auf, ballte beide Fäuste und ließ sich sogar kurz zu einem kleinen Tänzchen hinreißen. Dänische Druckminderungs-Therapie. Die war auch nötig gewesen. In Leverkusen hatten die Messgeräte Alarm geschlagen. In einer Fußballmannschaft sind die Prüf-Indikatoren Atmosphäre, Spielidee, Erfolg. Alles war in den roten Bereich geflogen. Erst zerbrach das Superteam, die Unersetzbaren um Florian Wirtz, Granit Xhaka und Jonathan Tah waren weitergezogen. Dann schimpfte sich Erik Ten Hag durch den Transfer- und Gerüchtesommer. Und vergaß dabei offenbar, einen Draht zu seinen Spielern aufzubauen, die sich als große Ansammlung von Talent und Qualität sehnlichst nach einer Idee für das Kollektiv sehnten und nichts bekamen. Niemand wusste mehr, was zu tun war. Bedeutet: Gurken-Start.
Und wie er das alles vermisst hat
Ten Hag flog historisch schnell. Die Bayer-Bosse hatten so keine Lust, dieses gigantische Missverständnis noch irgendwie über den Rhein zu retten. Die schickten den Niederländer nach zwei Spieltagen vom Hof und fanden als Antwort auf das Entscheidungsdebakel Hjulmand. Den Menschenfänger. Das war eine Überraschung, andere Namen waren heißer gehandelt worden. Der Däne war schon einmal in Mainz aktiv, kannte die Bundesliga und vermisste sie. Jetzt ist er zurück und fand es riesig. Nicht aber traumhaft, wie ihm doch manch einer zuschreiben wollte. Ein Sieg, klar, aber auch zwei Platzverweise und ein mit Exequiel Palacios womöglich schwer verletzter Leistungsträger? "Traum-Debüt?", sagte Hjulmand, "nein, ich denke nicht." Und trotzdem war er glücklich, ja beseelt. Von den Fans, vom Fußball, von dieser verrückten Welt, die einen niemals loslässt.
In der Zeit seit seinem Ende als Nationaltrainer von Dänemark im Sommer 2024 war er ohne Job gewesen. Wie hatte er das alles vermisst. Das Stadion, den Fußball, die ganze Energie, die sich aufbaut und entlädt. Hjulmand versucht das alles zu begreifen, für sich zu ordnen. Durchflutet von den Endorphinen wechselt er von Deutsch zu Englisch. Er bittet um Verzeihung und lächelt höflich. Er lässt die Charmanz seines Gentleman Vorgängers durch den Presseraum gleiten. Er blitzverliebt sich in Bayer und er denkt Bayer. In welche Richtung? Das ist an diesem Abend fürchterlich egal. Man hätte so vieles besser machen können, sagt er. Aber erstmal ging es um die drei Punkte, die ersten in dieser Saison. Und das gegen einen sehr stark eingeschätzten Gegner.
"Es klingt, als würde ich über Jugendfußball reden"
Hjulmand hatte das Spiel seiner Mannschaft simplifiziert. Als Torwart Mark Flekken später erklärte, was der neue Coach angepackt hatte, unterbrach er sich kurz selbst und sagte: "Es klingt, als würde ich über Jugendfußball reden." Tatsächlich ging es grob gesprochen um Dinge wie kratzen, laufen, beißen. Oder halt um die Basics. Viel mehr war kaum möglich. Zwei Trainingseinheiten auf dem Platz verbrachte Hjulmand mit seinen Fußballern. Er übte viel, was indes nicht dazu gehörte: "9:11 haben wir jetzt trainiert." Und er wirkte auch nicht so, als wolle er diese Form des Krawallismus in den Plan aufnehmen.
In Leverkusen wurde an diesem Freitagabend keine Weltidee des Fußballs entwickelt. Aber eine gelebt, die den Fans Spaß bereitete. Und die ihr Feuer mit dem 1:0 entfachte. Grimaldo zauberte den Ball nach 10 Minuten erst nur an den Pfosten, von dort sprang der Ball aber über den Rücken von Michael Zetterer ins Tor. Den Torwart traf dabei aber keine Schuld. Mit diesem Moment änderte sich vor allem eines: das Mindset.
Bayer, zuvor zurückhaltend und in keinster Weise risikobereit, presste plötzlich, lief mutiger und konsequenter an und war giftig. Nathan Tella, noch ein verbliebener Meister, entwickelte eine helle Freude am Bälle gewinnen und schnellen Umschalten. In den Zweikämpfen ging es zur Sache. Das schöne Spiel der Alonso-Jahre ist gewichen, trotz immer noch herausragender Fußballer. Hjulmand hatte in seiner ersten Aufstellung auf die alten Helden gesetzt, die noch da sind - ein Edmond Tapsoba, ein Andrich, ein Grimaldo, ein Patrik Schick und ein Palacios - und sonst auf Erfahrung. Der jugendliche Wahnsinn am Transfermarkt musste sich erstmal zu großen Teilen auf der Bank gedulden. Jeder wusste plötzlich, was er tun sollte. "So, wie in der ersten Halbzeit, wollten wir spielen. Wir haben klare Aufgaben bekommen. Nichts Kompliziertes, aber genau das hat funktioniert", sagte Stürmer Schick, der in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit das 2:0 erzielte, per Elfmeter, nach einem Foul von Robin Koch.
Nagelsmann sieht und hört nicht viel Gutes
Das alles geschah vor den Augen von Bundestrainer Julian Nagelsmann, der aus diesem Abend nicht viel Gutes zieht. Aus dem fernen Madrid hörte er, dass Antonio Rüdiger lange ausfällt und in Leverkusen sah er, wie mit Andrich und Koch zwei Nationalspieler nicht sonderlich clever agierten. Mit dem Platzverweis des Bayer-Leaders kam das Spiel bedrohlich nah an einen Kipp-Punkt. Die Eintracht hatte bereits auf 1:2 verkürzt. Flekken kassierte ein "Kacktor", einen abgefälschten Wuchtschuss. Er wurde Can Uzun gutgeschrieben, der in der Halbzeit das erste Bayer-Tor mit seinem Foul möglich gemacht hatte. Die Partie erreichte einen unangenehmen Hitzegrad. Aytekin verlor ein wenig seine Linie, auch weil die Teams rumpelten und rempelten. Auf jeden seiner Pfiffe folgten noch mehr Pfiffe von den Tribünen. Zwischen den Bänken tobte es und auf dem Feld wurde es immer unruhiger. Hier wurde geschubst, dort beleidigt. Es war bisweilen unangenehm, das theatralische Geholze zu ertragen.
Dass sich seine Frankfurter diesem wilden Gezanke stellten, war indes das Einzige, was Coach Dino Toppmöller an diesem Abend gefiel. Er wolle nicht, dass seine Spieler, wie "tote Fische über den Platz laufen", er wolle, dass sie sich wehren. Und was er auch gewollt hätte, aber nicht bekam: Tempo und Kreativität. Die Eintracht agierte wahnsinnig pomadig. Womöglich wäre die Partie gekippt. Der zuletzt beim DFB-Debüt heftig kritisierte Nnamdi Collins hämmerte den Ball nach Andrichs Abgang aus großer Distanz an die Latte. Sah toll aus, brachte aber nix.
"Vielleicht hört der ganze Scheiß einfach jetzt auf"
Wie eine Mannschaft, die dem FC Bayern auf Strecke gefährlich werden kann, wirkte sie nicht. Toppmöller mag das ohnehin alles gar nicht hören. Er möchte die Eintracht nicht zu schnell groß werden lassen. Er weiß um die großen Verluste erst von Omar Marmoush und schließlich von Hugo Ekitiké. Die beiden Starstürmer sind nicht einfach so zu ersetzen. Und so war ihm ganz recht, dass nun vorerst das ganz große Meister-Getöse vermutlich wieder eingestellt wird. "Vielleicht hört der ganze Scheiß einfach jetzt auf", sagte er genervt.
Leverkusen hatte Frankfurt den Ball überlassen, nicht aber die Hoheit über das robuste Spiel. Über 60 Prozent der Zweikämpfe gewannen die Werkself-Spieler und sie feierten das tüchtig ab. Maloche statt Magie. Zupacken statt zaubern. Und immer bei sich bleiben. Auch nach Rückschlägen. Bayer rückte ohne Andrich zusammen. Die Räume wurden eng, besonders für Eintracht-Stürmer Jonathan Burkhardt, der lediglich eine gute Kopfballszene hatte. Bayers Hünen um den neuen Abwehrchef Loic Badé fraßen den DFB-Mann einfach weg. Sie verteidigten und lauerten. Vor allem über den eingewechselten 18 Jahre jungen Axel Tape, einen schnellen Innenverteidiger mit Flügelstürmer-Vibes und Dribbelfreude, aber (noch) nicht dem Stürmer-Abschluss-Gen. Die Erlösung für Bayer, sie war so nah und noch so fern. Bis Theate losholzte und Grimaldo zauberte.
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