Unerwarteter Rückschlag auf dem Weg zur Fußball-Weltmeisterschaft 2026: Die DFB-Elf blamiert sich auswärts in der Slowakei. Bundestrainer Julian Nagelsmann zeigt sich verzweifelt - und sucht ein Grundproblem.
Puh. Viel mehr bringt Bundestrainer Julian Nagelsmann nicht heraus. Damit ist ja auch irgendwie alles gesagt. Provisorisch war in einem Saal des Stadions in Bratislava ein Podium für die Pressekonferenz aufgebaut. Auf einem Stuhl sitzt ein Bundestrainer, der angespannt ist, mit heiserer Stimme spricht. Ein slowakischer Journalist hatte ihn gefragt, wie er denn die Entwicklung des slowakischen Teams einschätzt. Da fällt Nagelsmann nichts ein. "Was soll ich sagen?", fragt er, um dann doch noch ein paar Floskeln nachzureichen. Zu viel war an diesem Abend passiert, zu viel ging ihm durch den Kopf, als dass er noch die Zukunft des Gegners vorhersagen könnte.
Aber der Reihe nach. Denn: "Puh" fasst auch ganz treffend zusammen, wie es zum Auftakt der WM-Saison um die deutsche Fußball-Nationalmannschaft gestellt ist. Mit 0:2 (0:1) hatte sie gegen die Slowakei verloren. Es war die erste Auswärtsniederlage in der WM-Quali seit 90 (!) Jahren. Alleine diese Statistik zeigt, dass dieses DFB-Team schon lange nichts mehr mit der Weltspitze zu tun hat. In einer Gruppe mit der Slowakei, Nordirland und Luxemburg ist die DFB-Elf nun Tabellenletzter. Die sicher geglaubte Qualifikation für das Turnier in den USA, Mexiko und Kanada steht plötzlich auf der Kippe. Zumindest ist das an diesem Donnerstag das Gefühl.
"Das ist nicht unser Anspruch"
Dass es am Ende nur 0:2 hieß, war vielleicht noch die beste Nachricht nach diesem denkwürdigen Spiel. An einem lauen Sommerabend in Bratislava wollte tatsächlich nur ein Team diese Partie gewinnen - und das war die Heimmannschaft. Man könnte diverse Szenen hervorkramen, die das unterstreichen. Etwa das 0:1 kurz vor der Halbzeit. Der Ex-Herthaner Ondrej Duda konnte dermaßen unbedrängt durchs deutsche Mittelfeld spazieren, als träfen sich ein paar Freunde zu einem lockeren Sommerkick. Nagelsmann sagte später auf seinem Podium, dass er sich an keine knappe Szene erinnern könne, die das DFB-Team auch für sich entschieden hat. Kein Pressschlag, gar nichts.
"Das war für uns alle überraschend, das ist nicht unser Anspruch", sagte Jonathan Tah anschließend in der ARD. "Wir hatten in allen Phasen Probleme."
"Es war nicht nur enttäuschend, es war eine leblose Vorstellung", sagte Sportdirektor Rudi Völler.
"Für mich war das keine deutsche Nationalmannschaft. Wenn wir so spielen, dann kannst du es vergessen. Wir stehen mit dem Rücken zur Wand", sagte Bastian Schweinsteiger in der ARD.
Nur, woran hat es gelegen? Die DFB-Elf war erneut verändert angereist. Wieder fehlten zig Startelf-Kandidaten, wieder musste improvisiert werden. Der Bundestrainer und sein Trainerteam waren im Sommer auf einer Hütte im Allgäu zusammengekommen, um nach den jüngsten Rückschlägen bei der Nations League die WM-Saison zu planen. Einige Erkenntnisse hätten sie erlangt, verriet Nagelsmann schon vergangene Woche. Es sollte mehr defensive Stabilität geben und die wichtigste Neuerung: Kapitän Joshua Kimmich sollte wieder ins Mittelfeldzentrum rücken.
In der Woche vor dem Spiel hatte Nagelsmann deshalb viel über Rechtsverteidiger reden müssen. Darüber, warum Kimmich plötzlich wieder im Mittelfeld landet. Über die sogenannten deutschen Tugenden. Über den WM-Titel, den er unbedingt gewinnen will. Nagelsmann erklärte, dass er will, dass seine Elf die Qualifikationsspiele nicht nur irgendwie gewinnt, sondern er will Dominanz sehen. Die DFB-Elf sollte in diesen sechs Partien bei ihrem Publikum keine Zweifel hinterlassen.
"Hetz', hetz', hetz'!"
All das hatte der Bundestrainer im Vorlauf des Spiels in Bratislava der Öffentlichkeit erzählt. Auf dem Platz musste er ansehen, dass davon nichts bei seiner Mannschaft angekommen ist. Die DFB-Elf setzte nahtlos dort an, wo sie gegen Portugal (1:2) und Frankreich (0:2) in der Nations League im Sommer aufgehört hatte. Mit nur viel Glück liegen die Nagelsmänner nicht schon nach zwei Minuten hinten, als der slowakische Innenverteidiger Lubomír Šatka nach einer Flanke völlig frei den Ball nicht trifft.
Nagelsmann tigert in der Folge durch seine Coaching-Zone. Er feuert seine Spieler an; versucht, sie aufzuwecken. Bayern-Star Serge Gnabry treibt er einmal bis auf die Pressetribüne hörbar zur Balljagd an: "Hetz', hetz', hetz'!" Der Bundestrainer wird immer unzufriedener. Mal dreht er sich kopfschüttelnd zu seiner Bank um. Er richtet sein Poloshirt, kratzt sich am Hinterkopf, an der Stirn, stemmt die Fäuste in die Hüften, mal pfeift er, mal dirigiert er. Einmal vergräbt er sogar die Hände im Gesicht.
Auf den Rängen beschleicht einen das Gefühl, dass der Bundestrainer seine Elf überfordert hat. Fast zwei Jahre hat Nagelsmann seine fußballerische Experimentierfreude im Griff - mit nur 1,5 Trainingseinheiten stellt er nun aber sein System um. Er verzichtet auf klassische Außenstürmer, alle Offensivkräfte tummeln sich irgendwie in der Mitte in den sogenannten Halbräumen. Leon Goretzka taucht plötzlich als eine Art Zehner auf. In der Theorie eine interessante Idee, um mehr Physis im Strafraum zu haben. In der Praxis steht er damit aber dem 90-Millionen-Mann Nick Woltemade ständig auf den Füßen, an dem das Spiel damit völlig vorbeiläuft.
Und dazu kommt noch die Versetzung Kimmichs ins Zentrum. Das bedeutet, dass er im Spielaufbau überall auftaucht. Als sein Rechtsverteidiger-Ersatz darf der junge Frankfurter Nnamdi Collins sein Debüt geben, der nicht nur unglücklich und alleingelassen agiert, sondern mit Leo Sauer auch noch den besten Mann auf dem Feld als Gegenspieler hat. Blöder kann ein erstes Länderspiel nicht laufen. Zur Halbzeit wird der U21-Held dann von David Raum endlich erlöst.
Doch auch in der zweiten Hälfte wird es nicht besser. Stattdessen spielt die Slowakei die Führung kontrolliert herunter. Schon in der 55. Minute tanzt David Strelec den schwachen Antonio Rüdiger aus und schlenzt den Ball wirklich sehenswert ins DFB-Tor. 2:0. Es gibt kein Aufbäumen, kein Wehren gegen die Niederlage. Die DFB-Akteure kommen auch danach nicht pünktlicher in die Zweikämpfe. Auf den nicht ausverkauften Rängen übernimmt die Partystimmung. Kurz vor Abpfiff verabschieden die Slowaken den deutschen Anhang mit "Auf Wiedersehen"-Rufen. Die dritte Niederlage in Folge unter Nagelsmann ist perfekt.
"... dann kann man das Buch zumachen"
All das arbeitet auch im Bundestrainer. Direkt nach Spielende gab er der ARD ein bemerkenswert ungehaltenes Interview. "Wenn wir bei ganz einfachen Dingen, bei der Emotionalität anfangen, war der Gegner uns einfach meilenweit von der ersten bis zur letzten Minute überlegen, das ist Fakt", meckerte der 38-Jährige: "Wenn wir diese Emotionalität nicht hinkriegen, dann kann man das Buch zumachen, weil dann spielt Qualität keine Rolle." Rumms.
In seinem Kader hätten "vermeintlich" bis auf einige Ausfälle Deutschlands beste Spieler gestanden. Er habe ja auch keine 150 Deutsche zur Auswahl. "Aber vielleicht müssen wir dann tatsächlich weniger auf Qualität setzen, sondern auf Spieler, die einfach nur alles reinwerfen, weil das hätte heute zu besseren Ergebnissen geführt, als wenn die besten Spieler spielen", sagte Nagelsmann. Er habe "schon Vertrauen in die Mannschaft, aber es muss jeder begreifen, dass wir so ein Spiel angehen müssen - auch wenn es total dumm klingt - wie ein Champions-League-Halbfinale", forderte der Bundestrainer: "Wir haben jetzt noch fünf Spiele, die müssen wir alle gewinnen - und zwar deutlich. Sonst spielen wir nur Playoffs. Wenn wir das wollen, dann müssen wir so auftreten."
Bemerkenswert ist das alles vor allem deshalb, weil es ja am Bundestrainer liegt, die Mannschaft einzustellen. Später, bei der Pressekonferenz, hatte Nagelsmann sich dann ein bisschen beruhigt. Aber eine Erklärung für diesen Auftritt immer noch nicht gefunden. Seit der Heim-EM war die DFB-Elf in eine Katerstimmung verfallen, hat kontinuierlich abgebaut. Die Emotionalität, sagte Nagelsmann, könne gar nicht nur von außen kommen, die müsse die Gruppe aus sich heraus entwickeln. Und überhaupt: "Ich kann dieses ewige 'Qualität, Qualität' nicht mehr hören."
Und doch bleibt die Frage, was mit dieser DFB-Elf los ist. Spätestens mit dem Katar-Debakel bei der WM 2022 zerbrach irgendwas. Erst Hansi Flick verzweifelte an dieser Spielergeneration, nun droht Julian Nagelsmann das gleiche Schicksal. Noch bleiben fünf Spiele, um das Gegenteil zu beweisen. Schon am Sonntag (20.45 Uhr/RTL und im ntv.de-Liveticker) geht es weiter. In Köln gegen Nordirland. Hoffentlich mit einem besseren Spiel. Und deutlich mehr Emotionalität. Schließlich muss man sich für die WM erst qualifizieren, um den Titel zu gewinnen.
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