Liebe Fußball-Romantiker, Sie wollen das Folgende nicht hören. Ich weiß, Sie wünschen sich eine Fußballwelt ohne technischen Firlefanz zurück, ohne emotionskillenden Videobeweis. Doch die erste Pokalrunde war der perfekte Gegenbeweis, warum sich der Fußball niemals in diese alte Welt zurückentwickeln darf.
Während sich die Favoriten bis auf Hannover in Cottbus (0:1) und Nürnberg in Illertissen (5:6 nach Elfmeterschießen) – ja okay und Bremen beim Finalisten der Vorsaison Bielefeld (0:1) – schadlos hielten, taten genau das die Schiedsrichter ohne die gerne verpönte Kommunikation zu ihrem Helfer im Ohr ganz und gar nicht. Stattdessen standen sie viel häufiger negativ im Mittelpunkt, als es ihnen lieb ist.
Das wohl eindrücklichste Beispiel: Die brutale Attacke von Essens Prince Owusu, der BVB-Verteidiger Yan Couto mit gestrecktem Bein auf Kniehöhe traf. Während schon in der ersten Zeitlupe für alle Zuschauer ersichtlich wurde, dass nur eine Rote Karte die richtige Entscheidung sein kann, entschied Schiedsrichter Frank Willenborg in Realgeschwindigkeit auf Gelb.
„So etwas muss das gesamte SR-Team richtig lösen! Fehlende Konzentration sicher der Grund, aber der Assistent (auch wenn von hinten schauend) erkennt doch den Ablauf, der 4. Offizielle sieht von seitlich rein (perfekter Blick) (...) Mit Zeit und Sammlung aller Stimmen sowie Fakten muss der Schiedsrichter auf Rot mit seinem Team kommen“, kritisierte Ex-Bundesliga-Schiedsrichter Manuel Gräfe dann auch. „Dafür braucht man keinen VAR, sondern muss Rot zum Schutz der Spieler geben!“
Gräfe hat recht, auch wenn solche Fehler den Unparteiischen immer passieren können. Sie sind auch nur Menschen. Umso deutlicher bleibt die Erkenntnis, dass vier Augen mehr, zumal vor dem Bildschirm mit x Kameraperspektiven, die Fehlentscheidung eben in jedem Fall als solche erkannt und korrigieren lassen hätten.
Nun ist es nur allzu verständlich, dass der VAR in den ersten beiden Pokalrunden nicht zum Einsatz kommt. Der wirtschaftliche und organisatorische Aufwand wäre enorm, gerade in den Stadien der unterklassigen Vereine. Dazu kommt das benötigte Personal. Über das vergangene Wochenende wurden 30 Schiedsrichter-Gespanne mit je vier Personen benötigt, dazu war Supercup. Jeweils zwei Videoschiedsrichter zusätzlich pro Partie? So früh im Pokalwettbewerb schlicht nicht zu stemmen.
Zu hoch war die Dichte an Fehlentscheidungen
Und doch: Fordert man die Abschaffung des VAR auch für die Bundesliga, sollte dieser Gedanke spätestens nach den Spielen am Wochenende verworfen werden. Zu hoch war die Dichte an folgenschweren Fehlentscheidungen derselben Protagonisten, die sonst die Spiele in den obersten Profiligen pfeifen. Das Führungstor des Fünftligisten Pirmasens gegen den HSV entstand aus einer Abseitsstellung heraus – und hätte nach Überprüfung nicht gezählt.
Bochum hätte sich beim BFC Dynamo wohl nicht durch die Verlängerung quälen müssen, wenn der schwache Schiedsrichter Felix Wagner (noch mal: auch Schiedsrichter dürfen schlechte Tage haben) nicht zwei klare Elfmeter verwehrt hätte. Und bei Augsburgs Sieg in Halle hätte zumindest zuverlässig geprüft werden können, ob der Ball vor dem Führungstreffer des Bundesligisten im Toraus war. Es sind allesamt Entscheidungen, bei denen man nach Ansicht der Bilder faktisch nur zu einem Ergebnis kommen kann.
Der Videobeweis hätte den Fußball in all diesen Fällen gerechter gemacht. Ja, er unterbindet in dem einen oder anderen Fall Emotionen, lässt den Jubel im Stadion drei Minuten nach einem Tor verstummen. Aber doch ist er als Hilfsmittel für die Schiedsrichter am Ende unverzichtbar. Diese Pokalrunde war die beste Werbung dafür.
Luca Wiecek ist Sportredakteur bei WELT. Er berichtet über Fußball und zahlreiche weitere Themen aus der Welt des Sports. Und ist selbst seit mehr als zehn Jahren selbst Schiedsrichter.
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