Meister FC Liverpool startet nach einem wahnsinnigen Einkaufssommer als Favorit in die neue Premier-League-Saison. Doch der offensive Plan mit Florian Wirtz und Co. könnte zerplatzen. Und dann ist da noch der verstorbene Diogo Jota.
Drei Minuten und 50 Sekunden waren gespielt, als die Neuen zum ersten Mal brillierten. Als der FC Liverpool am Sonntag gegen Crystal Palace im Community Shield, dem englischen Supercup zwischen Meister und Pokalsieger, auf 1:0 stellte. Schnell, schnörkellos, eiskalt: Die Reds wirkten zu Beginn des ersten Härtetests genau wie die Topfavoriten auf den erneuten Premier-League-Titel, die sie sein wollen.
Direkt am Treffer beteiligt: Nationalspieler Florian Wirtz mit der Vorlage und Ex-Bundesliga-Stürmer Hugo Ekitiké mit einem starken Abschluss. Für beide war es das Pflichtspieldebüt. "Anmut und Magie" erkannte der britische "Guardian" sofort, Wirtz habe gar "die hochmütige, aristokratische Ausstrahlung der besten deutschen Fußballer ausgestrahlt". Der "Telegraph" lobte eine Drehung des 22-Jährigen als "ballettartige Figur".
Der ehemalige Leverkusener ist angekommen in Liverpool und dürfte gleich in seiner Debüt-Saison in der mit vielen Millionen neu aufgestellten Mannschaft von Trainer Arne Slot für Furore sorgen. Doch das Spiel gegen Palace und die 2:3-Niederlage im Elfmeterschießen wurde auch zum Realitätscheck für die Reds. Deutlich war sichtbar, dass der teure Mega-Kader noch einige Veränderungen - vor allem in der Defensive - benötigt, da die mangelnde Qualität in der Breite Anlass zur Sorge gibt. Sonst könnten die großen Träume schnell zerplatzen.
Wirtz und Co. kommen für mehr als 300 Millionen Euro
Aber von Anfang an. In den vergangenen Monaten fragte sich manch Fan im roten Trikot, ob neuerdings schwarzes Gold auf der legendären Tribüne The Kop sprudelt. Aber nein, es ist nichts davon bekannt, dass an der Anfield Road Öl gefunden wurde. Dennoch hat sich der FC Liverpool auf eine unvergleichliche Shoppingtour begeben. Im Sommer des Wahnsinns kauften die Reds für mehr als 300 Millionen Euro ein. Dabei rühmte sich der Verein in der Vergangenheit oft damit, mehrere Meisterteams mit der Verpflichtung von jungen, unterbewerteten oder unterschätzten Spielern aufgebaut zu haben.
Dieses Jahr sieht es aber so aus, als würde eine Art Super-Team kreiert: Neben Wirtz, dem mit 125 Millionen Euro teuersten deutschen Fußballer jemals und dem größten Transfer in der Premier-League-Historie, und Ekitiké (95 Millionen) zog es auch Linksverteidiger Milos Kerkez für knapp 47 Millionen und Wirtz-Kumpel Jeremie Frimpong von Bayer Leverkusen (40 Millionen) nach Anfield.
Und die Reds haben noch nicht genug. Mit Newcastle-Stürmer Alexander Isak soll ein weiterer Stürmer kommen. Für schlappe 173 Millionen Euro. Damit stiegen die Sommerausgaben auf atemberaubende 481 Millionen Euro an - und würden gar den weltweiten Rekord in einer Transferperiode brechen, den Chelsea im Sommer 2023 aufstellte (insgesamt 464 Millionen Euro).
Wo kommt das Liverpooler Geld her?
Wie kann Liverpool diese Gelder stemmen? Zur finanziellen Wahrheit gehört: Ein erheblicher Teil dieser finanziellen Aufwendungen konnten die Reds durch die Verkäufe von Luis Díaz (für 75 Millionen Euro zum FC Bayern), Darwin Núñez, Trent Alexander-Arnold, Jarell Quansah (für 35 Millionen zu Bayer Leverkusen) und Caoimhín Kelleher wieder reinholen.
Außerdem werden die Reds in einer Zeit, in der die meisten Fußballvereine keine Gewinne erzielen, das Geschäftsjahr unter anderem wegen der Meisterschaft mit einem Gewinn abschließen. Hinzu kommt ein neuer, äußerst lukrativer Sponsoren-Deal mit Adidas. Ergo hat der Klub schlichtweg Geld übrig: In den letzten drei Jahren haben gleich elf Premier League-Teams mehr Geld für Transfers ausgegeben als Liverpool. Insbesondere Chelsea hat in diesem Zeitraum eine Milliarde Euro mehr verbraten.
Nichtsdestotrotz wurde nur selten ein Fußball-Meister so drastisch umgebaut. Noch vor zwölf kurzen Monaten, nachdem man in Liverpool den geliebten Trainer Jürgen Klopp verloren hatte, herrschte eher leichte Panik als große Zuversicht mit Blick auf die erste Saison unter Slot. Auch, weil man auf dem Transfermarkt quasi überhaupt nicht zuschlug. Doch Klopp hatte 2023 bereits einen "Umbau Light" (vor allem im Mittelfeld) begonnen, den Slot trotz des Liga-Titels nun mit Siebenmeilenstiefeln fortsetzt. Statt Weiterentwicklung gibt es nun die Reds-Revolution.
Revolution nach Klopp, Rio Ngumoha in der Hinterhand
In der Offensive wirbelt bald der beste Premier-League-Spieler der vergangenen Saison, Mohamed Salah, gemeinsam mit einem der weltweit stärksten Jungstars, Wirtz. Und dazu als Sahnehäubchen gibt's entweder Ekitiké oder Isak. Ein deutliches Upgrade zum Meisterjahr, in dem Salah in Superheldenmanier fast in jedem Spiel zu viel allein stemmen musste.
Slot liebt Flexibilität. Wirtz steht dafür wie kaum ein anderer, dazu sollte offensiv nun auch mehr Rotation als in der vergangenen Saison möglich sein, was besonders für die Champions-League-Wochen spät in der Saison wichtig ist. Denn da gibt es auch noch einen gewissen Rio Ngumoha. Das 16-jährige Supertalent. Letztes Jahr vom Chelsea abgeworben, sieht der Flügelstürmer mit seinen Tricks und Toren bereits aus wie eine elitäre Hilfe für diese Saison - und ein ganz großes Versprechen für die Zukunft.
Auch die Außenverteidigung benötigte eine Verbesserung, obwohl Liverpool seit der Klopp-Ära die beiden besten offensiven Außenverteidiger in der Geschichte der Premier League in den eigenen Reihen wissen durfte. Aber Alexander-Arnold wollte weg und Andy Robertson ist nicht mehr die Ikone von einst. Der Ersatz ist 21 (Kerkez) und 24 Jahre jung (Frimpong) jung und soll zusammen mit dem 22-jährigen Conor Bradley die nächste Außenverteidigungs-Ära in der nächsten großen Liverpooler Mannschaft prägen. Frimpong - der Ex-Leverkusener erzielte gegen Palace gleich einen Treffer - und Kerkez stoßen viel weiter nach vorne durch als ihre Vorgänger, was für Wirtz, Salah oder Cody Gakpo Räume eröffnen dürfte.
Wer soll dieses Liverpool stoppen?
Wer soll diese Mannschaft also noch stoppen? Zum Beispiel jene Teams, die am Sonntag - und in der Vorbereitung - die defensiven Schwächen der Reds genau beobachtet haben. Frimpong und Kerkez kennen nur eine Richtung: nach vorne. Ihr Spiel könnte zu risikoreich für Liverpool sein, denn auf der rechten Seite musste Alexander-Arnold normalerweise den nicht gerade defensivstarken Salah absichern. Das neue Konstrukt birgt die große Gefahr, bei Kontern anfällig zu sein. Dies war bereits eine Schwachstelle in der vergangenen Saison und zeigte sich auch im Community Shield.
Neben dem Problemchen im defensiven Mittelfeld - Ryan Gravenberch, der Durchbruchspieler der letzten Saison, ist der einzige Sechser von Weltformat im Team, da Alexis Mac Allister und Dominik Szoboszlai nicht so defensiv wie der Niederländer agieren - heißt die Schwachstelle bei den Reds: Innenverteidigung.
Dort spielt Liverpool ein Spiel mit dem Feuer. In der Vorbereitung fing man sich viel zu viele Gegentore für einen Meisterschaftskandidaten, dann fiel mal wieder Joe Gomez, der stets anfällige und einzige Innenverteidiger hinter Virgil van Dijk und Ibrahima Konaté, mit einer Achillessehnenverletzung aus. Die Stütze van Dijk ist nun 34 Jahre alt und Konaté hat seine eigene lange Verletzungsgeschichte. Palace-Kapitän Marc Guéhi soll Abhilfe schaffen und könnte bald ins rote Trikot schlüpfen.
In Ehren an Diogo Jota
Doch ist genug Geld für den Verteidiger übrig? Vor allem, wenn Isak noch kommt. Und überhaupt: Die Reds wirkten im Community Shield selbst mit der nominell besten Viererkette fragil. "Wir haben vier Spieler ersetzt, und manchmal braucht man Zeit, um sich offensiv oder defensiv anzupassen", sagte Slot nach dem Spiel.
Über allem schwebt bei der Mission Titelverteidigung zuallererst aber der tragische Tod von Diogo Jota. Die Nummer 20 fehlt für immer im Klub - sie wird in Gedenken an den Portugiesen nicht mehr vergeben. Ein Verlust, der alle Kader-Problemchen und alle sportlichen Erfolge zu einer gewissen Bedeutungslosigkeit verblassen lässt. Liverpool wird noch länger daran zu knabbern haben.
Vielleicht schweißt der Verlust auch zusammen. Dann wird die revolutionierte Mannschaft um Wirtz und Co. in einem Jahr doch die nächste Meisterschaft gewinnen. In Ehren an den verstorbenen Angreifer.
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