Das Spiel war erst wenige Minuten vorbei. Gerade hatte Toni Kroos zum fünften Mal die Champions League gewonnen – vier davon mit Real Madrid. Der Endstand gegen den FC Liverpool lautete 1:0 – das Tor hatte Vinícius Júnior nach Vorarbeit von Federico Valverde in der 59. Minute erzielt.
Doch im deutschen Fernsehen wurde es jetzt erst richtig hitzig. Kroos stellte sich bereit zum Interview mit Nils Kaben, der im Stade de France für das ZDF auf Stimmenfang ging. Wahrscheinlich hatte sich Kroos auf ein Jubel-Gespräch eingestellt. Es begann auch so: Der fünfte Champions-League-Sieg sei „doch unfassbar, oder?“, fragte Kaben. Kroos blieb knapp: „Ja. Nichts hinzuzufügen.“
Weiter ging es mit der Frage, ob alles erst einmal sacken müsse. „Das muss sowieso ein paar Tage sacken. Ich habe geschaut, wo meine Familie ist, weil das ein ganz besonderer Titel für mich ist, weil heute alle im Stadion waren. Ich habe immer gesagt, ich habe zwar schon das eine oder andere Mal die Champions League gewonnen, aber ich wollte einmal, dass alle Kinder im Stadion sind. Das war heute der Fall, und das ist nicht zu beschreiben, wie schön das ist.“ Leon (damals acht Jahre), Amelie (fünf Jahre) und Fin (drei Jahre) saßen mit Kroos‘ Ehefrau Jessica auf der Tribüne.
Kaben lobt Liverpool, Kroos gefällt das nicht
Dann lobte Kaben Reals Finalgegner Liverpool. Der Interviewer stellte fest, dass der Erfolg mit Blick auf den Spielverlauf nicht selbstverständlich gewesen sei. Kroos erwiderte: „Was ist schon selbstverständlich? Die Champions League zu gewinnen ist auch nicht selbstverständlich. Ich glaube, wir haben einen großen Fight geliefert. Wir wussten, dass Liverpool eine Super-Mannschaft ist. Was heißt, nicht selbstverständlich? Wir haben gewonnen, fertig!“
Man spürte, dass Kroos die Frage nicht gefallen hatte, Kaben legte aber noch nach: „War das überraschend für Sie, dass Real Madrid doch ganz schön in Bedrängnis geraten ist?“ Darauf lachte Kroos gequält und schoss zurück: „Du hattest 90 Minuten Zeit, dir vernünftige Fragen zu überlegen, ehrlich. Und dann stellst du mir zwei so Scheißfragen. Wahnsinn!“
Kaben wollte sich rechtfertigen, Kroos redete weiter: „Es ist doch nicht überraschend, dass du gegen Liverpool manchmal in Bedrängnis gerätst. Was ist das für eine Frage? Wir spielen ja nicht hier Gruppenspiel irgendwo. Wir spielen das Champions-League-Finale.“ Kaben ließ nicht locker: „Aber dass es so deutlich wird. Real Madrid war ja in der K.o.-Phase schon ein paarmal sozusagen so gut wie …“
„Jetzt ist er weg“, sagte Kaben über Kroos
Daraufhin schlug der Real-Star die Hände vors Gesicht, brach das Gespräch ab und wendete sich DAZN-Moderatorin Laura Wontorra zu, die direkt daneben bereit für ihr Interview stand. DAZN übertrug parallel zum ZDF. Kroos: „Laura, mach du weiter!“ Kaben reagierte mit einem: „Jetzt ist er weg!“
Als Kroos danach noch einmal die ZDF-Kamera passierte, sagte er zu Kaben: „Ganz schlimm. Ganz schlimm, wirklich.“ Nicht mehr im Bild zu sehen, aber über die Mikrofone zu hören: „Du stellst erst drei negative Fragen. Da weißt du schon, dass du aus Deutschland kommst.“
Die Fragestellung war unglücklich, aber angesichts des Spielverlaufs auch nicht ganz unberechtigt. Liverpool hatte deutlich mehr Chancen: 23:3 Torschüsse, 9:1 davon auf den gegnerischen Kasten. Ein Versuch von Sadio Mané landete in der 21. Minute am linken Pfosten. Der Mann des Spieles war daher auch Real-Torwart Thibaut Courtois (33), der neun Paraden zeigte und so Real den Weg zum damals 14. Königsklassen-Titel in der Vereinshistorie ebnete. Trainer Carlo Ancelotti holte als erster Trainer überhaupt einen vierten Henkelpott.
Kaben bewertet seinen Auftritt rückblickend so: „Im Nachhinein hätte ich es anders formuliert. Die Intention war damals auch gar nicht, seinen Erfolg zu schmälern. Er sollte einfach zwei, drei nette Sätze über Liverpool verlieren, weil die so gut waren und trotzdem verloren hatten. Aber die Frage hätte ich an Nummer drei setzen sollen und nicht an Nummer zwei.“
„Man muss kurz und knackig fragen“
Der Reporter erklärt die Umstände des berühmten Interviews: „In diesen anderthalb bis zwei Minuten, die wir für das Interview nur haben, muss man kurz und knackig fragen. Da stehen vier, fünf Sender in dieser Flash-Position direkt am Feld, und es ist nicht klar, welcher Gesprächspartner kommt wann. Da ist man parallel auch mit organisatorischen Dingen beschäftigt.“ Eine gesonderte Aussprache gab es später nicht: „Die haben wir nicht gemacht, weil es keiner bedurfte.“
Nimmt man den Champions-League-Sieg mit dem FC Bayern 2013 noch hinzu, hatte Kroos 2022 fünf Königsklassen-Titel auf dem Konto. Für den Mecklenburger war es aber wohl der überraschendste Erfolg: „Ich bin ganz ehrlich: Ich habe vor der Saison nicht damit gerechnet, dass wir ins Champions-League-Finale kommen können, geschweige denn gewinnen. Es ist echt schwer, das in Worte zu greifen, fünfmal das Ding zu gewinnen ist unfassbar.“
Die Verbindung zwischen Kroos und Kaben ging nach dem Finale in die Verlängerung. Der Fußball-Star sah sich durch diesen Moment sogar zu einem Buch inspiriert. Der Titel des 2023 erschienenen Werks lautete „Du hattest 90 Minuten Zeit“, und weiter: „90 verdammt gute Fragen an Toni Kroos“. Darin wollen 90 Prominente etwas von ihm wissen, darunter sind auch Jürgen Klopp, Günther Jauch, Robbie Williams, Roger Federer und Jogi Löw.
Auch Kaben durfte darin die Frage vom Finale 2022 loswerden: „War das überraschend für Sie, dass Real Madrid doch ganz schön in Bedrängnis geraten ist?“ „Die hat er sehr nett beantwortet“, fand der Interviewer. Diesmal fiel die Kroos-Reaktion diplomatischer aus: Natürlich sei es nicht überraschend gewesen. „Die Frage ist absolut okay, aber sie ist auch wirklich selbst beantwortend, wenn man in einem Champions-League-Finale gegen Liverpool spielt. Dass das ein schweres Stück Arbeit ist. Dass es da natürlich Momente gibt, die man überstehen muss gegen eine Mannschaft mit so hoher Qualität. Das haben wir, mit Bravour und mit einem überragenden Torwart, keine Frage. Weshalb der Sieg auch nicht unverdient war.“
Kaben verkündete die EM-Nominierung von Kroos
Im folgenden Jahr gab es vor der EM in Deutschland ein weiteres Aufeinandertreffen. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) ließ den Kader von unterschiedlichen Leuten ankündigen – in je acht Sekunden. „Bei Kroos sind sie zur Überraschung aller auf mich gekommen“, sagt Kaben: „Das mache ich dann natürlich mit einem selbstironischen Satz. Dann können alle noch einmal grinsen, und es ist endgültig 2024, nicht mehr 2022.“
Kabens Anmoderation: „Toni Kroos hat jetzt hoffentlich ganz oft 90 Minuten Zeit, dafür zu sorgen, dass ihm hinterher vernünftige Fragen gestellt werden. Herzlichen Glückwunsch zur Nominierung.“
Vor der EM gewann Kroos dann mit Real Madrid noch ein weiteres Mal die Champions League – mit einem 2:0 im Finale gegen Borussia Dortmund. Danach befragte Kaben dann erneut Kroos, startete mit: „Toni, herzlichen Glückwunsch! Sechster Champions-League-Titel für Sie, der 15. für den Klub. Dazu der Abschied ,Hala Madrid‘ in der Kurve. Ist das emotional überhaupt zu schaffen?“ Kroos: „Einfach ist es nicht.“
Über die Interviews 2024 sagt Kaben: „Es war vollkommen professionell von beiden Seiten. Das Ganze hatte in der Medienbranche wohl eine größere Aufmerksamkeit als bei ihm selbst. Ich glaube, ihn juckt es gar nicht mehr. Ich muss aber auch ehrlich sagen: So eine Erfahrung braucht man nicht zweimal im Leben. Es gab drumherum mehr Rummel, als ich haben möchte.“
Der Text wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, SPORT BILD, BILD) erstellt und zuerst in SPORT BILD veröffentlicht.
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