E-Sport ist ein boomender Milliardenmarkt. Der Kölner Turnierveranstalter ESL füllt regelmäßig Hallen und schüttet Preisgelder in Millionenhöhe aus. In der Lanxess-Arena findet bereits zum zwölften Mal die legendäre "Kathedrale des Counterstrike" statt. Es ist eine deutsche Erfolgsgeschichte - mit Schattenseiten.
So ganz sehen die fünf jungen Männer nicht aus, als hätten sie gerade 400.000 Dollar Preisgeld gewonnen. "Chopper", "Donk", "Zweih", "sh1ro" und "zont1x", hinter diesen Gamertags verstecken sich die Spieler des russischen Counterstrike-Teams "Spirit". Eben haben sie vor rund fünfzehntausend Fans auf der Bühne in der Lanxess-Arena das Finale der Intel Extreme Masters (IEM) in Köln, des größten E-Sport-Turniers in Deutschland, gewonnen.
Jetzt sitzen sie im Rahmen einer provisorischen Pressekonferenz an zwei Klapptischen. Sie schauen zwischen Fragen aufs Handy, scherzen miteinander, flüstern sich gegenseitig Dinge ins Ohr. Abseits der hellen Bühnenlichter und Kameras merkt man erst, wie jung sie wirklich sind. Jung - und reich: Topstar "Donk" ist gerade erst 18 und ist, allein was Preisgelder angeht, bereits beinahe Millionär.
Counterstrike, das Spiel, das ihn reich gemacht hat, ist ein Taktik-Shooter, in dem zwei Teams aus fünf Spielern gegeneinander antreten. Im Wechsel nehmen sie die Rollen von Terroristen und Anti-Terror-Einheiten ein und versuchen, die Gegner zu eliminieren oder daran zu hindern, eine Bombe zu detonieren. Explodiert diese, gewinnt das Team der Terroristen, wird sie entschärft, triumphiert das Anti-Terror-Team. Wer alle Gegner ausschaltet, gewinnt ebenfalls.
Ein aufgeladenes Finalspiel
Vieles ist hier bei dem Event mit dem Spitznamen "Kathedrale des Counterstrike" wie im traditionellen Sport: Fankurven, Trikots, Gesänge, Kommentatoren, gladiatorenhafte Inszenierung und diese elektrisierende Stimmung, die nur dann entsteht, wenn Tausende Menschen für dasselbe brennen. Außerdem gibt es die eine Sache, die Sport erst so richtig interessant macht: Geschichten.
Da ist auf der einen Seite des Finalspiels das russische Team "Spirit" um das 18-jährige Supertalent "Donk", das im Halbfinale Team "Navi" eliminierte, den Publikumsliebling aus der Ukraine. "Spirit" verlegte den eigenen Hauptsitz nach Beginn des russischen Angriffskriegs nach Serbien und sprach sich gegen den Krieg in der Ukraine aus. Die Spieler des ukrainischen Navi-Teams verwehrten ihren Kontrahenten nach dem Spiel dennoch den Handschlag.
Auf der anderen Seite im Finale: die deutsche Organisation "Mouz", die im Halbfinale den Topfavoriten "Vitality" aus Frankreich besiegte, ein Team, das davor 37 Best-of-Three Matches in Serie gewonnen hatte - und auch die letzten sieben Duelle gegen "Mouz". Ein emotionaler Befreiungsschlag, ein Sieg, der seit Jahren ersehnt wurde. Es war angerichtet für das große Finale. Über eine Millionen Zuschauer weltweit über Streams. Das deutsche Heimteam mit dem Publikum im Rücken und frisch geschöpftem Selbstvertrauen gegen das russische Supertalent. Die Spannung war vorprogrammiert, die Sympathien des Publikums klar verteilt - und dann fegte "Spirit" angeführt von ihrem jungen Topstar den Gegner einfach mit 3:0 aus der Halle.
Trotz des für viele ernüchternden Endes ist die Halle nach dem Spiel voll euphorischer Gesichter. Einer der Menschen im Publikum ist Sebastian Weishaar. Er ist seit etwa 20 Jahren Teil der Electronic Sports League (ESL), die das Event in Köln organisiert und arbeitet dort inzwischen unter dem Titel "President E-Sport". Es ist bereits die zwölfte Ausgabe der IEM in Köln, erzählt er. Alle zwölf waren ausverkauft. Über das Wochenende hinweg sollen rund 45.000 Fans dagewesen sein. "Es gibt kaum was Cooleres als eine volle Lanxess-Arena, die begeistert ist, wo alle ausflippen. Das ist eines dieser Wochenenden im Jahr, an dem man daran erinnert wird, wofür man den Rest des Jahres arbeitet", sagt Weishaar.
Kölner ESL prägt E-Sport von Beginn an
Für Weishaar, der vor mehr als zwei Jahrzehnten selbst zu den weltbesten Spielern des Strategie-Spiels Warcraft 2 gehörte, ist E-Sport die Zukunft. "Das ist eine der größten Formen des Entertainments, die es gibt. Games machen einen höheren Umsatz als die Filmindustrie." Er selbst habe damals mit seinem Können "so um die 500 Euro pro Jahr" verdienen können. Die Intel Extreme Masters haben nun ein Gesamtpreisgeld von einer Million Euro. Der E-Sport ist schnell gewachsen.
Kaum ein anderes Unternehmen hat dieses weltweite Wachstum so geprägt, wie die ESL aus Köln, die dieses Jahr 25 Jahre alt wird. Doch die Anfänge waren deutlich bescheidener. Begonnen habe es mit 50 Zuschauern auf kleinen LAN-Parties. "Am Anfang war alles chaotisch, da waren wir noch zehn bis zwölf Leute. Wir hatten nichts außer unserer Passion. Da saß der CEO unterm Tisch und hat den Rechner verkabelt, während der CFO Monitore geschleppt hat."
Dann folgte der Sponsoren-Deal mit Halbleiterhersteller Intel, der erste Vorstoß ins Fernsehen mit dem Sender Giga und das erste große Offlineevent im polnischen Katowice, das 2013 direkt ausverkauft war. "Wir haben viel gegen Windmühlen gekämpft", sagt Weishaar heute. "Wir waren dieser verrückte Haufen, der glaubte, dass man mal vor Zehntausenden Computerspiele spielen wird. Damit haben wir die Basisarbeit in Deutschland gemacht."
Besonders Counterstrike lockt die Massen an. Für viele ist das Spiel ein Name, der vor allem mit der Killerspiel-Debatte Anfang der 2000er verbunden ist. Die These damals: Videospiele, die Gewalt abbilden, fördern auch Gewalttätigkeit im echten Leben. Für Weishaar ist das ein Vorurteil. "Jeder, der mal hier war, denkt so etwas danach nicht mehr. Die Fans hier sind unfassbar friedlich und harmonisch. Ich bin in meinem Leben schon bei hunderten Sportveranstaltungen gewesen und das hier ist die friedlichste, die ich gesehen habe." Das spiegele sich auch in Gesprächen mit den Sicherheitskräften wider. "Für die ist das hier das einfachste Event."
Auch in der Halle bestätigt sich das. Die Stimmung ist aufgeladen und angespannt, aber sie schwappt nie über. Was sich auch zeigt: Es geht bei professionellem Counterstrike nicht um stumpfes Ballern, das Spiel ist hoch taktisch und mitreißend. Die Spieler brauchen starke Nerven, Reaktionsschnelligkeit, Kommunikation und jede Menge strategisches Verständnis. Nicht die Abbildung von Gewalt steht im Vordergrund, sondern Ausnahmetalente, die ihre Fähigkeiten zeigen können.
Und das hält das Publikum bei Laune. Während der rund 45 Minuten langen Runden ist niemand am Handy, alle Blicke kleben am großen Bildschirm über der Bühne, auf dem das Spielgeschehen gezeigt wird. "Counterstrike ist wahrscheinlich das Spiel, bei dem es aus meiner Sicht am meisten Spaß macht, zuzugucken", sagt auch Weishaar. "Es passiert immer sehr viel, es ist immer Action, aber es ist auch einfach zu verstehen." Er kenne viele Menschen, die das Spiel selbst nicht spielen, aber trotzdem jedes Jahr auf das Turnier kommen würden.
"Wir sind bei 20 Prozent"
Für die Zukunft des E-Sport sieht Weishaar noch sehr viel Luft nach oben. "Ich glaube, wir sind bei 20 Prozent von dem, was wir mal werden können. Wir haben mal gesagt, E-Sport soll hinter Fußball die zweitgrößte Sportart der Welt werden", sagt er. "Eigentlich strebe ich immer an, Nummer eins zu sein bei allem. Das ist das einzige Thema, wo ich es akzeptiere, Nummer zwei zu sein." Jeder Mensch, der zwischen 15 und 20 Jahre alt ist, habe an irgendeinem Punkt seines Lebens wahrscheinlich mal etwas mit Computerspielen zu tun gehabt. "Und jeder, der Spaß an Computerspielen hat, ist ein potenzieller E-Sport-Fan", sagte Weishaar.
Die rosige Zukunft, die Weishaar für den E -Sport sieht, ist eine Geschichte, die man unmöglich erzählen kann, ohne auch Saudi-Arabien zu erwähnen. Die E-Sport-Weltmeisterschaften finden derzeit zum zweiten Mal in der Hauptstadt Riad statt. Das Gesamtpreisgeld beträgt über 70 Millionen Dollar. Auch die ersten Olympischen Spiele im E-Sport gingen an Saudi-Arabien. Lange war das Internationale Olympische Komitee (IOC) um das Thema E-Sport herumgeschlichen und hatte sich davor gedrückt, eine richtige E-Sport-Veranstaltung zur olympischen Riege hinzuzufügen. 2024 dann die Kehrtwende: E-Sport bekommt neben den Sommer- und Winterspielen eine eigene olympische Veranstaltung. 2027 wird sie das erste Mal stattfinden - auch in Riad.
38 Millionen Dollar will das Land insgesamt in die Gaming-Industrie investieren. Es ist dasselbe Thema, das auch Fans von Sportarten wie Fußball und der Formel 1 seit Langem beschäftigt. Der Vorwurf an den Ölstaat: Sportswashing. Mit Investment in Teams und Veranstaltungen wolle man das eigene Image aufbessern. Denn trotz sozialer Reformen ist die Menschenrechtssituation in Saudi-Arabien laut Amnesty International "katastrophal".
Menschenrechtsorganisationen zufolge werden weiter Grundrechte unterdrückt, das autoritäre Regime geht rigoros gegen Regierungskritiker, Journalisten und Frauenrechtlerinnen vor. Homosexualität ist verboten und immer wieder werden Regierungsgegner hingerichtet. Unter anderem wurde 2018 der regierungskritische Journalist Jamal Khashoggi ermordet.
Auch die ESL, als kleines kölnisches Unternehmen gestartet, gehört inzwischen der Savvy Gaming Group, einer hundertprozentigen Tochter des Saudi-Arabischen Staatsfonds Public Investment Fund (PIF). Rund 1 Milliarde Dollar kostete die Übernahme im Jahr 2022. Die ESL hatte zuvor der schwedischen Modern Times Group gehört.
Weishaar sieht in der öffentlichen Ablehnung gegen Saudi-Arabien jedoch auch "sehr viele Vorurteile, die nicht wahnsinnig qualifiziert sind". Das Führungsteam der ESL habe sich vor der Entscheidung zum Verkauf viel mit der Thematik auseinandergesetzt. Was er Kritikern empfehlen würde? "Fahrt einfach mal nach Saudi-Arabien, lernt das Land und die Menschen kennen. Danach kann man sich immer noch kritisch hinsetzen und darüber sprechen."
Eine ähnliche Linie fährt auch ESL-Chef Ralf Reichert. Gegenüber der "Zeit" betonte er, dass Saudi-Arabien sich weiterentwickeln und öffnen wolle. "Mir ist durchaus bewusst, dass es an vielen Stellen berechtigte Kritik gibt, aber an vielen Stellen ist es auch einfach Unwissenheit und unberechtigte Kritik", sagte Reichert. Frauenrechte seien dort beispielsweise auf dem Vormarsch.
Viele Unternehmen schreiben rote Zahlen
Der E-Sport braucht Saudi-Arabien auch wegen der aktuellen Finanzierungs-Situation. Nach dem E-Sport-Boom infolge der Corona-Pandemie wurde schnell klar: Die hohen Erwartungen an die noch junge Szene überstiegen die Realität. Sponsoren wanderten wieder ab. Viele Unternehmen schreiben bis heute rote Zahlen - auch die ESL. Für Weishaar keine Überraschung. Kaum ein Sport sei nur zehn bis zwanzig Jahre nach seiner Entstehung bereits profitabel gewesen. "Die Zeit ist auf unserer Seite. Alle Kinder auf der ganzen Welt werden mit Videospielen groß. Das erhöht automatisch unsere Zielgruppe und die Zuschauerzahlen." Mittelfristig werde sich der E-Sport dem Geschäftsmodell anderer Sportarten annähern, Zusatzcontent hinter Paywalls und Übertragungsrechte dürften dann mehr Geld einspielen. Noch fährt die Szene einen anderen Kurs: Reichweite über Profitabilität.
Um im E-Sport also große Turniere mit gigantischen Preisgeldern anzubieten, helfen Geldgeber wie Saudi-Arabien, die sich in der wachsenden Szene früh genug positionieren. In der Community regt sich jedoch heftige Gegenwehr. Viele der Kommentatoren boykottierten die vom Ölstaat finanzierte Weltmeisterschaft. Influencer und Streamer, die gegen hohe Summen das Turnier unterstützten, sahen sich heftigen Shitstorms ausgesetzt.
Ein Teil der insgesamt recht jungen und liberalen E-Sport-Szene wehrt sich gegen die Einmischung aus Saudi-Arabien. Der deutsche Influencer und Besitzer des E-Sport-Teams Eintracht Spandau, "Handofblood", sprach in Bezug auf die Weltmeisterschaft von einer "kognitiven Dissonanz" der Szene: "Alle lassen sich engagieren oder aufkaufen."
Trotz der Gegenwehr sprechen die Zahlen eine klare Sprache: Die zweite Ausgabe der E-Sport-Weltmeisterschaft stößt auf großes Interesse. In der Spitze sahen über eine Million Zuschauer gleichzeitig das Finale des League-of-Legends-Turniers allein auf der Plattform Twitch.
Auch die Zuschauer in der Lanxess-Arena in Köln sind nach drei Tagen Counterstrike sichtlich euphorisch. Als nach dem Finalspiel verkündet wird, dass das Turnier nächstes Jahr in die "Major"-Kategorie aufsteigt und damit noch größer wird, gibt es kein Halten mehr. Das bedeutet mehr Teams, mehr Geld und mehr Prestige. Ein Mann rennt mit zwei Bieren in den Händen durch die Halle und umarmt wildfremde Fans. Immer wieder schreit er fassungslos mit heiserer Stimme: "Major! Major!" Es sind Momente, in denen es schwer ist, E-Sport nicht zu lieben.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke