Am Ende des vorletzten Finaltages der Schwimm-Weltmeisterschaften in Singapur hatte Volker Grube noch etwas Überraschendes zu verkünden. Der ZDF-Kommentator, der seit Beginn der Beckenfinals kompetent und informativ gemeinsam mit Expertin Leonie Beck den Coup von Olympiasieger Lukas Märtens, das Sensations-Gold von Anna Elendt und alles andere begleitet hat, sagte im Live-Stream: „Wir freuen uns auf morgen. Und da gibt es etwas: Wir werden während des 1500-Meter-Rennens ins Hauptprogramm des ZDF rübergehen. Denn es ist natürlich wichtig, ob Florian Wellbrock sein insgesamt fünftes Gold dieser Weltmeisterschaften holt.“ Beck ergänzte: „Und ob Sven Schwarz auf dem Podium steht.“ Am Sonntag um 13.31 Uhr fällt der Startschuss. Wellbrock hatte im Freiwasser schon dreimal Einzelgold sowie mit der Staffel gewonnen.

Die 28-jährige Beck, 2023 Doppel-Weltmeisterin im Freiwasser und derzeit am Pausieren, gibt bei dieser WM ihr Debüt am Mikrofon – unkonventionell und erfrischend. Dies, aber vor allem die – bisher viermal erfolgreichen – Medaillenkämpfe deutscher Beckenschwimmer, ihr Jubel, aber auch die Tränen der Enttäuschten sowie die Auftritte internationaler Stars fristen bisher ein Schattendasein im Stream des Senders. Die Aufmerksamkeit, die durch Live-Streams generiert wird, ist eben eine andere als durch das Fernsehen. Das hatte bei Deutschlands Top-Leuten schon vorher für Kritik gesorgt, zumal die einstige Schwimmnation nach Jahren des Mittelmaßes oder auch Hinterherschwimmens mittlerweile wieder im Aufwind ist und abzusehen war, dass mehrere Athleten in den Finals um Medaillen kämpfen und mit Weltrekordhalter und Olympiasieger Märtens ein neuer Vorzeigeschwimmer im Team ist.

Durch Märtens‘ Sieg über 400 Meter Freistil, Elendts emotionalen Überraschungs-Triumph über 100 Meter Brust sowie Silber durch Sven Schwarz über 800 Meter Freistil vor Märtens sieht die bisherige Becken-Bilanz des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV) so gut aus wie lange nicht. Die Medaillenhoffnungen der Brustschwimmer Lukas Matzerath und Melvin Imoudu, Schmetterlingsspezialistin Angelina Köhler und Freistilexpertin Isabel Gose erfüllten sich zwar nicht, aber sie alle sorgten durch die Plätze vier bis sechs in den Finals für Spannung. Köhler auch am Samstagnachmittag.

Die 24 Jahre alte Berlinerin, die tags zuvor mit einer Hundertstelsekunde Vorsprung den letzten Finalplatz gesichert hatte, verpasste in 25,50 Sekunden als Vierte um nur sieben Hundertstel die Bronzemedaille, stellte aber einen neuen deutschen Rekord auf. „Ich bin super zufrieden. Ich bin vorn mit dabei, ich bin dran“, sagte Köhler, die über die 100 Meter eine Medaille anvisiert hatte und Sechste geworden war. „Das ist für mich ein versöhnlicher Abschluss. Die Woche war eine Achterbahn der Gefühle. Mental war das ein Mount-Everest-Aufstieg, den ich gemeistert habe.“ Bei den Olympischen Spielen 2028 in Los Angeles werden erstmals alle 50-Meter-Strecken im Programm stehen, bisher zählten nur die 50 Meter Freistil dazu.

Kritik von Wellbrock und Märtens

Schwimmen, eigentlich olympische Kernsportart, ist in den vergangenen Jahren im deutschen Fernsehen Mangelware geworden, teils wurde die WM nicht mal im Stream der Öffentlich-Rechtlichen gezeigt. Allerdings hatten die deutschen Athleten auch – mit wenigen Ausnahmen wie eine Zeit lang Brustschwimmer Marco Koch – den Anschluss an die Weltspitze verloren und 2012 sowie 2016 olympische Nullnummern im Becken geliefert. Das Interesse der Öffentlichkeit war gesunken.

Dann kam Florian Wellbrock, mit seinen Erfolgen im Becken sowie im Freiwasser aber änderte sich medial erst mal nichts, er war auch eher Alleinkämpfer an der Spitze. Das hat sich mittlerweile geändert.

Dennoch, die Fernseh-Planung für diese WM sah von vornherein vor: Das ZDF streamt das Beckenschwimmen, live im Fernsehen kommt nichts, obwohl Deutschland wieder eine größere Breite in der Spitze hat. Und alles andere – Freiwasser, Wasserspringen, Synchronschwimmen und Wasserball – wird nur bei eurovisionsport.com zu sehen. Verständlich beim Freiwasser angesichts der ursprünglich geplanten Startzeiten von 2 Uhr deutscher Zeit. Die Finals im Becken hingegen sind täglich um 13 Uhr.

„Das ist tatsächlich frustrierend“, sagt Wellbrock vorher WELT. „Wir merken im deutschen Team, dass die Fanbase, die Community wächst und etwas sehen möchte. Natürlich ist das auf fast 84 Millionen Deutsche gesehen ein relativ kleiner Teil, aber wir nehmen dieses größer werdende Interesse am Schwimmsport deutlich wahr. Und dann werden paradoxerweise die Medienzeiten heruntergefahren. Das erschließt sich mir nicht, ist schade und traurig.“ Und: „Gerade, wenn man sich Paris anschaut mit Medaillen von Lukas Märtens und Isabel Gose sowie vierte und fünfte Plätze durch Angelina Köhler, Melvin Imoudu und Lukas Matzerath, hat sich einiges verändert. Es ist wieder spannend, wir hatten ja ganz andere Zeiten im deutschen Schwimmsport. Jetzt haben wir international wieder etwas zu bieten.“

Märtens pflichtete seinem Magdeburger Trainingskollegen bei. „Das ist für mich eine Enttäuschung – vor allem nach dem letzten Jahr, nach den Erfolgen des deutschen Schwimmens hat man natürlich gehofft, dass es wieder ein bisschen präsenter wird“, sagte er WELT. Uns bleibt nichts anderes übrig, als weiter erfolgreich zu sein, weiter schnelle Zeit ins Wasser zu bringen und Medaillen zu holen – in der Hoffnung, dass Schwimmen irgendwann wieder live im TV zu sehen sein wird.“

Wellbrock und Schwarz vor Showdown am Sonntag

Zumindest das Finale über 1500 Meter wird nun live im Fernsehen gezeigt. Am Samstagvormittag hatten sich in Singapur Wellbrock, der mit historischen vier WM-Titeln im Freiwasser brilliert hatte, und Sven Schwarz in den Vorläufen über 1500 Meter gestellt und souverän das Finale am Sonntag erreicht. Wellbrock schwamm dabei in 14:44,81 Minuten die beste Zeit aller Starter. Bei den Olympischen Spielen von Paris war er über diese Strecke, über die er in Tokio Olympia-Bronze und bereits WM-Gold, -Silber sowie -Bronze gewonnen hatte, völlig überraschend im Vorlauf gescheitert. Insgesamt waren es für ihn Spiele zum Vergessen gewesen.

Die WM in Singapur aber markiert seit dem ersten Rennen im Freiwasser seine beeindruckende Rückkehr an die Weltspitze, bei der er nun auch bei seinem ersten Becken-Einsatz überzeugen konnte. „Es ist schon extrem cool, dass es so geklappt hat“, sagte er. Topfavorit ist Wellbrock im Finale nicht, aber einer von vielen Mitfavoriten. Egal, welche Farbe eine Medaille hätte – es wäre ein Erfolg.

Auch Schwarz, bereits WM-Zweiter über 800 Meter, wird im Finale um die Medaillen kämpfen. Er belegte in 14:45,31 Minuten Rang vier der Vorläufe. „Ich denke, das wird ein sehr enges Rennen“, sagte er mit Blick auf den Endlauf. „Da kann jeder jeden schlagen. Von Platz acht bis eins ist alles drin. Mal sehen, was da so geht.“

Melanie Haack ist Sport-Redakteurin. Für WELT berichtet sie seit 2011 über olympischen Sport, extreme Ausdauer-Abenteuer sowie über Fitness & Gesundheit. Hier finden Sie alle ihre Artikel.

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