Der TSV 1860 München nimmt einen neuen Anlauf in die 2. Liga. Auch dank der beiden Rückkehrer Kevin Volland und Florian Niederlechner sind die Löwen bei den Buchmachern Aufstiegsfavorit. Doch die Saisonvorbereitung wird beim Drittligisten überschattet vom geplatzten Investoren-Wechsel. Spekulationen über die Gründe, warum der Jordanier Hasan Ismaik vom Verkauf seiner 60 Prozent Anteile an der Profifußball-KGaA an ein Schweizer Unternehmen zurückgetreten ist, überschlagen sich. Wir zeichnen anhand interner Dokumente das Protokoll eines Verhandlungskrimis nach.
- Am 13. April erklärte Ismaik überraschend, dass er sich bei 1860 zurückziehen wolle – nach 14 Jahren, in denen er den Deutschen Meister von 1966 vor der Insolvenz gerettet, sich aber auch viele Machtkämpfe mit dem Präsidium geliefert hat.
Am 24. April ging eine Mail an Ismaik bei dessen Statthaltern in München ein. Verfasser: Matthias Thoma, deutscher Staatsbürger und laut Signatur Managing Director einer Treuhandgesellschaft mit Sitz in Genf (Longemalle Trustees OU). Thoma repräsentiere eine Gruppe von Investoren mit deutschen Wurzeln, ansässig in der Schweiz: „Wären Sie an einem Gespräch interessiert, um einen möglichen Verkauf zu diskutieren?“
Nachdem beide Seiten eine Vertraulichkeitsvereinbarung (NDA) unterschrieben hatten, erhielt Thoma – wie jeder Interessent – am 5. Mai einen Katalog mit 17 Fragen, darunter auch zu „Motivation und Strategie“: Warum sind Sie am Kauf der Anteile unseres Unternehmens interessiert? Was sind Ihre strategischen Ziele? Wie stellen Sie sich die Entwicklung des Unternehmens in den nächsten drei bis fünf Jahren vor?
„Der Verein verdient eine neue Chance“
Thoma schwärmte von 1860 als „Traditionsklub mit tieferen Wurzeln als viele andere“, verglich ihn mit dem FC St. Pauli und Schalke 04: „Der Verein verdient eine neue Chance, um eine Rückkehr in die ersten beiden Ligen zu versuchen.“ Und: Thoma gab das höchste Angebot ab, das bei mehr als 50 Millionen Euro gelegen haben soll.
Die Ismaik-Seite kontaktierte Karl-Christian Bay, e.V.-Vizepräsident und Stellvertretender Aufsichtsratschef der KGaA. Denn der TSV 1860 München e.V. besitzt ein Vorkaufsrecht auf Ismaiks Anteile. Auch Bay befand Thomas Angebot als so gut, dass man sich damit beschäftigen müsse. Und holte von Präsident Robert Reisinger und dem weiteren Vize Norbert Steppe grünes Licht für den Verzicht auf das Vorkaufsrecht ein. Es bestand Zeitdruck, am 6. Juli würde das Präsidium abgewählt und durch ein neues ersetzt werden.
Thomas Schweizer Treuhänder Oliver Böckmann, CEO der Pilatus Verwaltungs AG in Cham, stellte am 26. Mai die geforderte Bonitätsprüfung aus. Darin wird Thoma bestätigt, „dass die Bonität Ihrer Firma (Longemalle, die Redaktion) hinreicht, um zum Stichtagstermin 30. Juni 2025 die Aktien des Vereins zu erwerben, Schulden abzutragen sowie neue Investitionen in den Spielbetrieb und einen Austragungsort zu tätigen“.
Die Ismaik-Seite ließ einen Compliance Check (Prüfung des Unternehmens) durchführen, der keine Auffälligkeiten ergab. Die Verhandlungen mit Thoma wurden fortgesetzt, dessen primäres Investitionsziel gewesen sein soll, sich am Ausbau des maroden Grünwalder Stadions zu beteiligen und von der Stadt München gegebenenfalls ein Erbbaurecht zu erhalten. Deshalb wurde für den 16. Juni eine Video-Schalte mit der für Sport zuständigen Dritten Bürgermeisterin, Verena Dietl, arrangiert. Dietl zeigte sich offen für Thomas Pläne.
Am 3. Juli saßen die Parteien beim Notar
Nachdem zwischen der Ismaik-Seite und Thoma alles ausverhandelt war, ging der Verkauf am 3. Juli – drei Tage vor der Mitgliederversammlung bei 1860 – bei einem Frankfurter Notar durch bevollmächtigte Anwälte beider Seiten über die Bühne. Alle Verträge standen unter aufschiebender Bedingung der Zahlung des Kaufpreises. Dieser war sofort, spätestens jedoch ohne schuldhaftes Zögern fällig.
Zwischen der Ismaik-Seite und Thoma wurde Stillschweigen bis zum Vollzug der Transaktion vereinbart. Aber: Das scheidende 1860-Präsidium teilte der Ismaik-Seite mit, es habe sich rechtlich beraten lassen und müsse im Rahmen des Rechenschaftsberichts die Mitglieder über die Transaktion informieren. Zwar hegte die Ismaik-Seite den Verdacht, Präsident Reisinger wolle sich bei seinem Abschied feiern lassen, weil er 1860 von Ismaik und den Schulden befreit und die Zukunft des Stadions in Giesing gesichert habe. Trotzdem wurde zähneknirschend zugestimmt, dass am Vorabend der Versammlung eine Pressemitteilung herausgegeben wird. Auch Thoma gab am Abend des 5. Juli sein Okay: „Ich denke, Sie haben recht, wir sollten diese Pressemitteilung jetzt herausgeben.“ Ex-Vize Bay reagierte auf Anfrage nicht.
Ismaik erklärte zu seinem – vermeintlichen – Ausscheiden: „Ich habe keine Zweifel, dass der TSV 1860 bei meinem Nachfolger in guten Händen ist.“ Es kam ganz anders.
Nachdem Ismaiks Bank am Folgetag die KYC-Sicherheitsprüfung („Know your Customer“) abgeschlossen hatte, hätte Thoma umgehend den Kaufpreis zahlen müssen. Doch stattdessen traten immer neue Verzögerungen ein, für die Thoma fehlende Unterlagen für seinen Schweizer Treuhänder, Schwierigkeiten mit der Bank wegen der Due Diligence (Prüfung zur Verhinderung von Finanzkriminalität), einen Kaufvertrag, den er nie erhalten habe, und technische Probleme seines Mail-Accounts verantwortlich machte. Die Redaktion kennt seine Mails.
„Sie halten jetzt bitte ihre Zunge und Füße still“
Am 9. Juli ging von der Ismaik-Seite eine mahnende Mail an Thoma: „Aus Sicht meines Klienten wäre ein Mindestmaß an Transparenz wünschenswert, was die Zeitschiene betrifft.“ Vorgeschlagen werde eine Video-Schalte mit dem Ziel zu klären, „welche Schritte schon unternommen wurden, was – wenn überhaupt – noch aussteht und wann die Zahlung realistischerweise erwartet werden kann“.
Doch Thoma vertröstete weiter – und forderte in einer Mail vom 15. Juli: „Sie halten jetzt bitte ihre Zunge und Füße still, damit wir das abschließen können. Die Alternativen werden für niemanden von Vorteil sein. Nicht nur in finanzieller Hinsicht, denn ich weiß, dass das nächstbeste Angebot nicht einmal annähernd so gut war. Sondern auch in Bezug auf das Image in der Öffentlichkeit.“
Am 17. Juli stellte die Ismaik-Seite Thoma ein letztes Ultimatum: Sollte bis zum 18. Juli, 12.00 Uhr, keine Bestätigung des Auszahlungstermins von Thomas Bank in Liechtenstein eingegangen sein, werde man sich alle rechtlichen Schritte einschließlich des Rücktritts vom Vertrag vorbehalten.
Thomas Reaktion am selben Tag: „Ich versichere Ihnen, dass diese Verzögerung nicht auf Geldmangel oder unangemessene Langsamkeit meinerseits oder seitens unseres Schweizer Treuhänders zurückzuführen ist. Wir hoffen, die Angelegenheit bis zum Ende des Tages mit der Bank geklärt zu haben.“
Am 20. Juli zog die Ismaik-Seite die Reißleine, da Thoma das Ultimatum hatte verstreichen lassen. Und trat vom Kaufvertrag zurück – nicht ohne weitere rechtliche Schritte anzukündigen.
„Es werden sich noch mehr Menschen blamieren“
In einer Mail an die Ismaik-Seite verteidigte sich Thoma am selben Tag – und warnte: „Ich bin kein Richter, ich will nicht den Ausgang dieses Verfahrens vorwegnehmen. Nur zwei Dinge sind sicher: Es werden sich noch mehr Menschen blamieren. Und die Einzigen, die mit Sicherheit Geld verdienen werden, sind die Anwälte auf beiden Seiten.“
Thomas Vorschlag: Ismaik solle zustimmen, dass der Kaufvertrag gültig bleibe. Und seine negativen Posts in den Sozialen Netzwerken löschen. Mit der erfundenen Begründung, sein Account sei gehackt worden. Parallel würden sich beide Seiten auf ein für alle akzeptables „Closing Date“ (Datum, an dem eine Transaktion vollzogen wird) einigen. Im Gegenzug werde Thoma eine „faire Entschädigung“ für die Verspätung und Unbequemlichkeiten zahlen.
Für die Ismaik-Seite sind Thoma und Böckmann Scharlatane, die Türen sind zu. Auf Anfrage zum geplatzten Deal mit 1860 wollte sich Thoma unter Hinweis auf die Vertraulichkeitsvereinbarung nicht äußern. Gegenüber dem Online-Portal „dieblaue24“ behauptete Thoma: „Ich wäre nicht der Käufer gewesen, sondern habe nur für den vorgesehenen Käufer gesprochen.“
Was zwar auf der ersten Ebene richtig ist: Käufer wäre die Beteiligungsgesellschaft Helvetic Corporate Finance AG in Genf gewesen. Aber: In einer Mail an den Frankfurter Notar vom 27. Juni erklärte Thoma im Rahmen der vorgeschriebenen Geldwäsche-Prüfung: „Eigentümer der Aktien (an der Helvetic AG) ist MMM Trust, Jersey. Nach angelsächsischem Recht ist damit der wirtschaftlich Berechtigte Longemalle Trustees OU for MMM Trust / der Trustee (Treuhänder), vertreten durch mich als Managing Director von Longemalle.“
Und dann ist da noch die Immobilie in Süddeutschland
Die Begünstigten des Trusts (verwaltet und transferiert Vermögen zwischen natürlichen oder juristischen Personen wie Unternehmen) seien seine Söhne Maximilian und Mason Thoma. Er, Matthias Thoma, sei daher im Transparenzregister als „fiktiver Berechtigter“ eingetragen.
Aufgrund der Berichterstattung über den geplatzten Deal hat sich bei der Ismaik-Seite inzwischen ein Anwalt gemeldet, dessen Mandant Anfang Juli eine Immobilie in Süddeutschland verkauft hatte. An Helvetic Corporate Finance AG. Mit Thoma als deren bevollmächtigtem Vertreter. Und einer Bonitätsprüfung von Böckmann. „Sport Bild“ kontaktierte den Mandanten, der bestätigte: Bis zum Fristablauf vorige Woche wurde der Kaufpreis nicht bezahlt.
Wie geht es bei 1860 weiter? Ismaik betont sein Interesse an einer konstruktiven Zusammenarbeit mit dem neuen Präsidium um Gernot Mang. Und dass er weiterhin seine Anteile verkaufen wolle: „Wenn es jemanden gibt, der 1860 mehr bieten kann als ich, dann möge er mit einem ernsthaften Vorschlag vor mich treten.“
Das Interview wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, „Bild“, „Sport Bild“) erstellt und zuerst in der „Bild“ veröffentlicht.
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