Beim EM-Finale müssen die deutschen Fußballerinnen zuschauen, der DFB bezeichnet den Halbfinal-Einzug aber als großen Erfolg. Zurecht, nur werden mit Blick auf die Finalistinnen auch große Unterschiede deutlich. Was vom Turnier übrig bleibt - und was auch die UEFA lernen sollte. Die Lehren der Fußball-Europameisterschaft in der Schweiz.

DFB-Team braucht mehr als deutsche Tugenden

Am Ende ist es ein 0:1 in der Verlängerung, das das DFB-Team aus der EM wirft. Spanien ist nur ein Tor besser - so besagt es die Statistik. Der Wirklichkeit entspricht das aber nicht. Sowohl im Viertelfinale, das gegen Frankreich zum absoluten Krimi inklusive Elfmeterschießen wird, als auch im Halbfinale ist das Team von Bundestrainer Christian Wück spielerisch unterlegen. Dass sich das nicht auswirkt, liegt an den deutschen Tugenden, die neu belebt werden: Mentalität, Kampf, Wille. Allen Widerständen zum Trotz - die Verletzung von Kapitänin Giulia Gwinn im Auftaktspiel gegen Polen, die zwei Roten Karten von Carlotta Wamser und Kathrin Hendrich, die Gelbsperre von Sjoeke Nüsken, die weiteren Verletzungen von Sarai Linder und Sophia Kleinherne - hielt das DFB-Team als echte Gemeinschaft sich lange im Turnier. Länger als so manche Kritiker vorher gedacht hatten.

"Talent schlägt Mentalität", sagte Wück nach der Niederlage gegen Spanien. Die Mentalität hat dem Team viele Herzen zufliegen lassen, die TV-Quoten waren top, das Mitfiebern echt. Um das in Nachhaltigkeit umzumünzen, muss aber mehr auf die Mentalität folgen. Vor dem Turnier wurde die Offensive als die große Stärke des Teams ausgemacht, die Defensive als die Wackelkomponente. Am Ende war es der pure Kampf und Wille im Spiel gegen den Ball, der die Deutschen so lange im Turnier hielt. Die Erkenntnis nach dem Aus ist, dass das DFB-Team in keiner seiner fünf Partien spielerisch überzeugen konnte. Almuth Schult, Ex-Nationaltorhüterin und heutige ARD-Expertin bringt es auf den Punkt, wenn sie feststellt, dass das Nations-League-Spiel gegen die Niederlande (4:0) bislang Wücks einziges "richtig gutes" Spiel mit den DFB-Frauen war.

Nun kam er neu hinzu, als es einen Umbruch im Team gab, da war kein Wunderfußball zu erwarten. Um aber mit den Topnationen mithalten zu können, braucht es eine Weiterentwicklung. Da nimmt Wück auch die Bundesligisten und die Nachwuchsleistungszentren in die Pflicht. Doch auch er muss für das DFB-Team eine klare Spielidee ausarbeiten. Auf seine Aussage, "nicht alles über den Haufen werfen" zu wollen, erfolgte im Viertelfinale ja dennoch genau das. Purer Verteidigungskampf gegen Frankreich und Spanien. Für das Turnier mag es gewirkt haben, auf Dauer aber ist das kein zukunftsträchtiger Ansatz.

An der Spitze wird es enger - Deutschland muss sich anstrengen

8:0, 7:0 - solche Kantersiege gehören der Vergangenheit an. Längst qualifiziert sich nicht mehr jede Nation für die EM, die es auch nur irgendwie versucht. Die Zeiten, in denen Deutschland das Geschehen nach Belieben dominierte, dauernd Europameister (insgesamt achtmal, davon sechsmal hintereinander) wurde, sind vorbei. 2013 gab es den bislang letzten Titel. Nach dem Sieg der Niederlande 2017 im eigenen Land hat es nun England geschafft, den Titel zu verteidigen. Es war haarscharf gegen Spanien - erst das Elfmeterschießen entschied. Die Spitze ist nah beieinander. Die Spielerinnen sind athletischer geworden, technisch besser, das Spiel ist schneller. Natürlich ist nicht jede Partie dieser EM auf Top-Niveau, aber das gibt es genauso wenig bei den Männern.

Es macht den Fußball der Frauen attraktiver, die Aufmerksamkeit ist groß wie nie. Für Deutschland bedeutet es gleichzeitig die Gefahr, den Anschluss an die ganz Großen zu verlieren. Nicht nur angesichts der laufenden Bewerbung um die Ausrichtung der nächsten EM 2029 ist das zu beachten. Es braucht eine gemeinsame Anstrengung - auch mit der Liga. Die wird ab der kommenden Saison von 12 auf 14 Teams aufgestockt, mit dem 1. FC Nürnberg und dem Hamburger SV kommen zwei Teams mit großem Fanpotenzial hinzu. Allerdings ist noch nicht absehbar, wie sich die Aufstockung auf die Spielqualität auswirkt und ob der Abstand zur 2. Liga womöglich unüberbrückbar groß wird.

Dass der DFB die U23 wiedereingeführt hat, ist ein guter Schritt. Vorher gab es nur die U19, nun können Toptalente enger an den DFB angebunden und auf das A-Team vorbereitet werden. "Wir müssen schauen, dass wir diese Talentförderung auf das nächste Level heben", sagte Wück, der im Vergleich mit den Männern großen Nachholbedarf sieht. In das Bild passt auch, dass die beiden Außenverteidigerinnen Carlotta Wamser und Franziska Kett, die in der Verletzungsnot einspringen mussten und überzeugten, bei ihren Klubs Eintracht Frankfurt beziehungsweise FC Bayern über weite Teile der Saison nicht zum Zug gekommen waren.

Unglaubliche Sarina Wiegman

Wer einen Europameister-Titel gewinnen will, braucht Sarina Wiegman. So wirkt es zumindest. Denn die Niederländerin hat nun schon ihren dritten EM-Titel in Folge gewonnen. Damit holte sie die Deutsche Tina Theune an, der der Hattrick ebenfalls einst geglückt war (1997, 2001 und 2005). Wiegmann siegte 2017 noch mit ihrem Heimatland Niederlande, 2022 und 2025 mit England. Noch zugleich ist es das fünfte Finale, das die Trainerin hintereinander bei EM und WM am Seitenrand begleitete. Eine unglaubliche Serie. Nicht umsonst soll die 55-Jährige nun nach der erfolgreichen Revanche für das verlorene WM-Finale 2023 gegen Spanien die Ritterwürde erhalten.

Wiegman hat es geschafft, gegen alle Widerstände im Turnier. "Es ist das chaotischste Turnier, das ich je erlebt habe. Von Anfang an war irgendwie Chaos. Das erste Spielen und dann Europameisterin werden, das ist einfach unglaublich", sagt sie. Denn der Auftakt gegen Frankreich ging mit 1:2 verloren, es kamen sofort Zweifel an den Fähigkeiten der Titelverteidigerinnen auf. Frankreich dominierte derart, das Ergebnis kaschierte die schwache Leistung. Auch das 4:0 im zweiten Gruppenspiel gegen die Niederlande wirkt deutlicher als es auf dem Spielfeld war. Der 6:1-Sieg gegen den EM-Debütanten Wales war eingepreist. Doch es ging mit Zweifeln weiter in die K.-o.-Runde: Das Viertelfinale gegen Schweden entscheidet sich erst im Elfmeterschießen, gegen Überraschungsgegner Italien musste Wiegmans Team in die Verlängerung. Und jetzt das Elfmeterschießen im Finale. In allen drei Spielen lag England zurück - die Comebacks beweisen Nervenstärke und Glauben an sich selbst. "Ich kann es nicht glauben, sie waren ein tolles Team bis zum Schluss", sagt Wiegman. "Wir können irgendwie gewinnen, mit allen Mitteln. Ich bin unglaublich stolz."

Ein Fluch liegt auf dem zweiten Halbfinalisten

Wer zuerst spielt, gewinnt: So zumindest sagt es die Statistik von Fußball-Großturnieren aus. Und zwar bei Männern und Frauen. Wenn die Halbfinals bei Europa- und Weltmeisterschaften nicht am selben Tag ausgetragen werden, gewinnt seit 2005 fast immer das im ersten Halbfinale siegreiche Team am Ende auch das Turnier. So ist es auch 2025: England spielte sein Halbfinale gegen Italien einen Tag vor den Spanierinnen aus, die das DFB-Team besiegten.

Ein Tag mehr Erholung - ist das der entscheidende Faktor? Die DFB-Frauen wollten das schon vor dem Halbfinale nicht gelten lassen. Sophia Kleinherne sagte auf den Fakt angesprochen, sie sehe das nicht so. Dabei hatte Spanien sein Viertelfinale gegen die Schweiz einen Tag früher gespielt und sich noch dazu in 90 Minuten recht locker (2:0) durchgesetzt. Und Deutschland hatte erst 24 Stunden später den nervlich und körperlich aufreibenden Krimi inklusive Verlängerung und Elfmeterschießen gegen Frankreich zu bestehen. Womöglich ist also doch was dran an der Erholungszeit. Klar ist das aber nicht, die Statistik fürs Finale kann auch einfach nur ein zufälliger Fluch sein.

UEFA will Großes und denkt (zu) klein

Rekorde über Rekorde: Die UEFA feiert sich für so viele Zuschauer wie noch nie zuvor bei einer EM der Frauen. 29 von 31 Spielen sind ausverkauft, vor den meisten Stadien stehen vor Anpfiff Menschen, die noch Tickets suchen. Die Unterstützung ist groß und lautstark, die Kulisse gut. Und doch drängt sich die Frage auf, ob da nicht noch mehr gegangen wäre. Das größte Stadion, in dem bei der EM gespielt wird, ist der Basler St.-Jakob-Park. 34.128 Fans konnten den Viertelfinal-Krimi des DFB-Teams gegen Frankreich verfolgen. Im Halbfinale gegen Spanien hatten nur 22.432 die Chance, hautnah im Züricher Letzigrund dabei zu sein. Es sind die beiden größten Stadien, es wurde auch in Sion (7500 Plätze) und Thun (8500 Plätze) gespielt. Klar, es ist sicherlich besser für die Kulisse, volle Stadien zu haben, als große Arenen, die halbleer sind. Doch der Andrang war groß - zu groß für das kleine Land Schweiz, das keine größeren Stadien hat?

Auswirkungen haben die kleinen Stadien auch für Medienschaffende. Denn nicht alle, die über die Spiele berichten wollten, durften auch in die Stadien. Für jedes Spiel braucht es eine neue Akkreditierung, doch die Pressetribünen hatten oft nicht genug Platz. Es wirkt widersinnig, dass die UEFA viel Berichterstattung möchte, dem Interesse der Medien dann aber nicht Herr werden kann.

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