Die Rhein-Ruhr-Region träumt von den Olympischen Spielen. Im nächsten oder übernächsten Jahrzehnt soll der Traum in Erfüllung gehen. Mit den "World University Games" gibt es einen Testlauf - und Probleme.
Louise Wieland verstand nichts. So laut war es. Am Samstagabend stand sie als Startläuferin der deutschen 4x100-Meter-Staffel bereit und winkte in die Kamera. Was der Sprecher im Wattenscheider Lohrheidestadion sagte, bekam sie nicht mit. Dann wurde es plötzlich mucksmäuschenstill. Wieland und die Startläuferinnen der anderen Nationen gingen in die Startblöcke. Ein Schuss, Lärm und der Sieg im Vorlauf. "Es war so unfassbar laut", sagte Talea Prepens, die den zweiten Part vor der gut gefüllten Haupttribüne lief, im Gespräch mit ntv.de.
In Wattenscheid läuft der vorletzte Abend der "World University Games", eine Art Mini-Olympia. Seit zehn Tagen sind 8500 Sportlerinnen und Sportler im Ruhrgebiet und Berlin zu Gast. Sie kämpfen um Rekorde. Sie kämpfen um Gold, Silber und Bronze. Und die Region um den seit Ewigkeiten gehegten Traum, endlich die großen Spiele, die Olympischen Sommerspiele auszurichten. Die Weltspiele der Studierenden sind ein Testlauf. Einer, der das Potenzial offenlegt, aber auch gravierende Probleme.
In der Jahrhunderthalle knallt's
So voll, so stimmungsvoll wie am Samstagabend in Wattenscheid ist es bei den Wettbewerben sonst nicht. Nicht im modernisierten Lohrheidestadion, nicht an den anderen Wettkampfstätten zwischen Hagen und Duisburg. Eine Ausnahme: das 3x3-Basketballturnier in der Bochumer Jahrhunderthalle. Dort findet eine gigantische Party vor ausverkauften Rängen statt. Der DJ wirft von "Cotton Eye Joe" bis zu "Seven Nation Army" alles rein, was die Zuschauer tanzen und feiern lässt. Klar: Das Kontingent der Plätze war begrenzt, die Nachfrage deutlich höher. Der Sport erlebt seit dem vergangenen Jahr, seit der olympischen Premiere und der deutschen Goldmedaille, einen Hype. Elisa Mevius war in Paris Teil des Teams und ist es auch in Bochum. "Total krass, unrealistisch", findet sie die Atmosphäre in der Pop-up-Spielstätte in der alten Gebläsemaschinenhalle.
Paris, das ist die neue Benchmark für olympisches Flair. Bochum, Wattenscheid, Hagen, Essen, Duisburg, das klingt wie der schreckliche Gegenentwurf zur Stadt der Liebe. Ein Schlag des Schicksals, hart wie Marmelade. Nicht rosarot, nicht schockverliebt. Nein, grau, traurig, abgerockt. Eine vergessene Welt, die einst schwarz und rauchend blühte, die nun trotzig den Finger hebt und ruft: Wir sind auch noch da. Im Kampf um internationale Aufmerksamkeit, aber im Kampf mit Berlin, München und Hamburg.
Deutschland möchte endlich wieder Ausrichter der Sommerspiele werden. Womöglich 2036, womöglich 2040 oder nochmal vier Jahre später. Derzeit wird darum gerangelt, welche Region im Land die aussichtsreichste ist. Eine Entscheidung soll erst in gut einem Jahr fallen. Gut für NRW, für das Ruhrgebiet, dass man sich jetzt ins Schaufenster stellen kann. Eine Athletengruppe aus Uganda, die am Samstagabend im Lohrheidestadion die Wettbewerbe verfolgt, findet's auf jeden Fall "amazing", "cool", "geil". Wenn sie über die Tribünendächer schauen, sehen sie die alten, riesigen Flutlichtmasten, die einst die Kult-Fußballer der SG Wattenscheid 09 ausleuchteten, Souleymane Sané oder Uwe Tschiskale. Und sie sehen den Förderturm der Zeche Holland.
Große Chance wurde vertan
Es ist nicht die Schönheit des Eiffelturms, die hier strahlt. Nicht Notre-Dame und auch nicht der Arc de Triomphe. Es sind (industrielle) Erben schwarzgoldender Zeiten, die inszeniert werden. Die Jahrhunderthalle als Ort für 3x3-Basketball. Die Zeche Zollverein fürs Bogenschießen. Tennis gespielt wurde auf der roten Asche des ETUF Essen, hier schlugen einst Boris Becker, John McEnroe und Steffi Graf auf.
Doch bei allem romantischen Mief der Vergangenheit: die "World University Games" sind im Ruhrgebiet nicht da angekommen, wo sie hätten ankommen wollen. Sie sind nicht in den Köpfen der Menschen gelandet. Zwar wurde großflächig plakatiert, aber offenbar verfing die Kampagne nicht. (Zu) viele bekamen nicht mit, dass ihnen hochklassiger Sport direkt vor der dicht besiedelten Haustür für einen fairen Kurs geboten wird. Das lag womöglich auch an dem sperrigen Begriff, der ihnen entgegengeworfen wurde: FISU Games. Lehrer und viele Studierende aus der Region sehen eine vertane Chance, dass zu wenig Aktionswerbung gemacht wurde.
Ein wichtiger Lobbyarbeiter für den olympischen Traum der Rhein-Ruhr-Region ist NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst. "Wir zeigen mit den FISU World University Games, dass wir große Sportveranstaltungen können", sagte er bei der Eröffnungsfeier der größten Multisportveranstaltung nach Olympia. "Wir geben damit auch eine Visitenkarte ab für eine mögliche olympische Bewerbung." Wie gut diese beim Internationalen Olympischen Komitee ankommt, das Vertreter vor Ort hat?
Olympia-Bewerbung "kein Selbstläufer"
Der Präsident des Hochschulsportverbands FISU, Leonz Eder, sieht in den University Games eine Chance, aber auch Risiken. Für Deutschland erkennt er vor allem Imageschwierigkeiten, wie er der Funke Mediengruppe sagte: "Was im Moment ein Problem ist: die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die Probleme mit der Bahn, Streiks, die Infrastruktur, die 30, 40 Jahre hinterher ist. Als Beobachter nimmt man das zur Kenntnis und fragt sich: Hat das einen Einfluss auf künftige Bewerbungen? Fragen sich die Leute, die entscheiden, nicht: Funktioniert denn am Ende der Bahn- oder Flugverkehr", sagte Eder. Eine deutsche Olympia-Bewerbung sei "kein Selbstläufer".
Kaum ein Ort der FISU Games offenbart den Spagat zwischen infrastruktureller Steinzeit und moderner Anlage mehr als das Lohrheidestadion, das für zig Millionen zur modernsten Leichtathletikarena des Landes aufgepeppt wurde. Der Weg zur Arena führt durch eine kleine Straße in einem abgerockten Industriegebiet. Es ist fast nicht vorstellbar, dass hier einst der FC Bayern herfuhr, um Bundesliga-Fußball zu spielen. Aber so muss es gewesen sein. So holprig der Weg zum Stadion, so holprig war auch der Weg zu den Spielen. Das mit 113 Millionen Euro angesetzte Budget wuchs auf rund 160 Millionen Euro an. Bund und Land NRW zahlten jeweils 67,5 Millionen Euro, zusätzlich investierte das Land 44 Millionen Euro in die Sanierung bestehender Sportstätten. Düsseldorf stieg wegen der Mehrkosten als Austragungsort aus. Berlin übernahm kurzfristig, um das Projekt zu retten.
Was noch einen Schatten auf das Event wirft: Laut Recherchen von "Süddeutscher Zeitung" und Deutschlandfunk sollen die Macher im Vorfeld durch Unregelmäßigkeiten bei Ausschreibungen aufgefallen sein.
"Planungsstand ist viel zu früh für ein Preisschild"
Die Olympischen Spiele wären derweil ein Projekt in ganz anderen Sphären. Drei bis sechs Milliarden Euro könnten Sommerspiele kosten. Ob das in einer chronisch strukturschwachen Region mit vielen Sorgen eine breite Mehrheit finden würde? Wie viel in NRW nötig wäre, ließ Wüst zuletzt offen: "Der Planungsstand ist viel zu früh für ein Preisschild", betonte der Ministerpräsident bei der Vorstellung des Bewerbungskonzepts. "Es wird keine enormen Kosten geben, die nur für Olympia da sind."
Das Konzept setzt stark auf vorhandene Infrastruktur - plant aber auch spektakuläre Inszenierungen: So sollen die Schwimmwettbewerbe in der Schalker Fußballarena vor 60.000 Zuschauern stattfinden. Für die Leichtathletik ist ein temporäres Stadion vorgesehen, verbunden mit einem noch zu bauenden Olympischen Dorf. Ob die Visionen tragfähig sind? Zumindest im Lohrheidestadion, am Samstagabend, kann man sich das für einige Momente gut vorstellen. Auch wenn die Olympischen Spiele hier sicher vorbeiziehen würden. Aber vorerst wird hier gekämpft. Um Gold, Silber und Bronze. Und für den ewigen Traum des Ruhrgebiets.
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