Für die Sprinter wird die Tour de France immer unattraktiver, auch das Finale auf den Champs Élysées gehört nicht mehr ihnen allein. Erik Zabels und Mark Cavendishs Erben fristen ein Schattendasein. Gehen sie der Rundfahrt bald womöglich gänzlich von der Stange?
Phil Bauhaus quälte sich mit einer Dreiviertelstunde Verspätung hinter Tadej Pogacar den Col de la Loze hinauf, kämpfte in den Alpen wie ein Löwe ums sportliche Überleben. Wie schon am Ventoux, wie schon in den Pyrenäen. Typisches Sprinterschicksal eben. Nur: Diesmal wartet am Ende der Qualen für die schnellsten Leute der Tour de France kein großer Showdown: Nach "Märtyrerbergen" in Serie steht am Sonntag der dreimalige Montmartre dem klassischen Massenspurt auf den Champs Élysées im Weg.
Die Sprinter spielen bei der Frankreich-Rundfahrt eine stets kleiner werdende Rolle. "Die Schere geht immer weiter auseinander", sagt Bauhaus, derzeit der beste deutsche Spurter und Dritter der dritten Etappe. Und Radprofis wie Bauhaus stellen sich mittlerweile die Sinnfrage: Was sollen sie noch bei einer Tour, deren Streckenführung sie zunehmend als Schikane empfinden müssen.
Fünf echte Siegchancen hatten die Sprinter bei der 112. Großen Schleife. Noch 2017 gewann alleine der damalige Topspurter Marcel Kittel fünf Etappen, insgesamt gingen zehn von 21 Tagessiegen an Sprinter. Und selbst an der allerheiligsten Sprint-Kuh schnippelten die Organiatoren.
"Jetzt nimmt man den Sprintern ihren größten Tag weg"
"Mein Traum war es immer, einmal auf den Champs Élysées zu sprinten", sagt Bauhaus. Doch vor dem traditionellen Finale der Schlussetappe auf der Pariser Prachtmeile hat Tour-Streckenchef Thierry Gouvenou drei Bergwertungen auf dem Montmartre eingebaut - weil das eben beim olympischen Straßenrennen 2024 schön stimmungsvoll war. "Jetzt nimmt man den Sprintern ihren größten Tag weg", sagte Olympiasieger Remco Evenepoel, der - nicht deswegen - bei der Tour bereits ausgestiegen ist.
Auch die einst größte Sprintertrophäe durchlebt einen Bedeutungswandel: In der Wertung des Grünen Trikots, das dem punktbesten Fahrer verliehen wird, fanden sich vor der letzten Bergetappe nur drei klassische Sprinter unter den Top 10. Zwar führte Spurtstar Jonathan Milan, dahinter lag aber gleich Kletterkönig Tadej Pogacar. Wäre Milan am Zeitlimit gescheitert (die Gefahr bestand), hätte in Pogacar erstmals seit Eddy Merckx 1972 ein Klassementfahrer die Grün-Wertung gewonnen.
Grün-Rekordgewinner ist Peter Sagan (7) vor Erik Zabel (6), beides klassische Sprinter, wenngleich durchaus bergfest. Heute ist ein reiner Spurter im Kampf um Grün oft chancenlos: Bauhaus lag am Freitag auf Rang 32 - 15 Plätze hinter Rundfahrer Florian Lipowitz.
Sprinter-Schattendasein ist gewollt
Das Sprinter-Schattendasein ist gewollt - das sieht auch Rolf Aldag, einst Zabel-Lokomotive im Telekom-Sprintzug, so. "Das wird sehr bewusst so gemacht", sagt der heutige Sportliche Leiter des Red-Bull-Teams: "Selbst als Radsport-Experte kann man sich nicht unbedingt eine sechsstündige Sprint-Etappe von Anfang bis Ende im TV anschauen." Ziel der Organisatoren sei es, die Tour und ihre Etappen von Beginn an unvorhersehbar und spannend zu machen, "und nicht nur für die letzten 200 Meter", sagt Aldag.
Die Tour soll eine dreiwöchige fortlaufende Erzählung mit großen Hauptfiguren sein - Pogacar, Vingegaard, Lipowitz. Und da ist es wie in einer Netflix-Serie: Zu viele Nebenfiguren wie ein Bauhaus stören den Fluss der Handlung.
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