Filigran am Ball, hart dagegen: Jule Brand ackert sich durch das EM-Viertelfinale. Die 22-Jährige, die künftig für den Champions-League-Rekordsieger spielt, macht ihren Trainer damit glücklich. Ihre Mitspielerinnen habe eh nur Lob für sie. Gegen Spanien braucht es genauso viel Engagement.
Es läuft die 106. Minute des deutschen Viertelfinals gegen Frankreich bei der Fußball-Europameisterschaft in der Schweiz. Seit fast 100 Minuten widersetzt sich das DFB-Team in Unterzahl der Niederlage. Im Mittelfeld bekommen Sjoeke Nüsken und Elisa Senß den Ball nicht unter ihre Kontrolle, der gelangt zu Melvine Malard. Die Französin hat freie Bahn Richtung Strafraum, sie läuft los - doch plötzlich wird sie am Schuss gehindert.
Denn da kommt eine Deutsche angesprintet, die eben noch an der Mittellinie stand. Jule Brand ist rechtzeitig zur Stelle, kann blocken, wirft sich hinein. Mehr noch, sie rappelt sich schnell wieder auf, schnappt sich den Ball, spielt Malard aus, kommt aus dem Strafraum. Gefahr vorerst gebannt. Es ist eine Szene, die Brands aufopferungsvollen Kampf im Viertelfinale zeigt. "The Brand-Mentality" überschreibt der DFB bei Instagram ein Video davon. Das Spiel war "das perfekte Beispiel für Kampf, Wille, Leidenschaft", sagt Rebecca Knaak und schaut schon aufs Halbfinale gegen Spanien (21 Uhr/ARD, DAZN und im ntv.de-Liveticker). Das wird auch im nächsten Spiel wieder wichtig sein."
Wechsel raus "aus der Komfortzone"
Jule Brand ist den meisten bekannt als Offensivfrau. Ihre feine Ballbehandlung überzeugte den französischen Topklub OL Lyonnes, zu dem sie nach dem Turnier vom VfL Wolfsburg wechselt. Und dann mit einigen ihrer Gegenspielerinnen ein Team bildet. Beim französischen Serienmeister und Königsklassen-Rekordsieger hat sie einen Vertrag bis Mitte 2028 unterschrieben. "Aus der Komfortzone herauszugehen, eine neue Sprache, wirklich den Schritt auch alleine zu machen", so begründet die 22-Jährige ihren Wechsel. "Ich kenne keinen dort, ich habe sehr viel Respekt davor. Aber ich weiß einfach, dass ich das brauche."
Weg aus Wolfsburg, wo sie seit ihrem Wechsel 2022 spielte. Weg von dem Verein, wo es auch Kritik an ihr gab. Frauenfußball-Direktor Ralf Kellermann hatte ihr im November 2023 sogar fehlende Professionalität vorgeworfen: "Wenn Jule eine Top-Spielerin werden will, muss sie hart an sich arbeiten und zu 100 Prozent für den Fußball leben." Nicht leicht für Brand, die als 17-Jährige bei der TSG Hoffenheim in der Bundesliga debütierte, als Wunderkind gehyped wurde und im Oktober 2022 die Golden-Girl-Auszeichnung als beste U21-Spielerin Europas erhielt. In der abgelaufenen Bundesliga-Saison stockt es, sie verpasst zwar nur drei Spiele, doch Brand gelingen auch nur fünf Treffer und fünf Vorlagen.
Als Ausnahmetalent gilt sie noch immer, dabei spielt sie bei der EM schon ihr viertes Turnier. Brand ist eine Schönspielerin, mit tollen Dribblings, passgenauen Flanken, schönen Schüssen. Wie ihr Tor zum Auftakt gegen Polen. Von links kommt sie wenige Meter ins Zentrum, zieht aus 21 Metern mit dem linken Fuß ins lange Eck. Ein schöner Treffer als erstes DFB-Turniertor. Der Dank ist die Auszeichnung zur Spielerin des Spiels. Auch gegen Dänemark ist sie zur Stelle, sie legt Lea Schüller den Ball zum 2:1-Siegtreffer vor.
Gegen Frankreich ist die Flügelstürmerin ebenfalls nicht nur in der Defensive beschäftigt. Zwar sind ihre Laufwege sehenswert, sie dribbelt mehrfach Französinnen aus, doch dann kommt der entscheidende letzte Pass nicht. Einmal aber hat sie auch im Angriff einen Erfolg: Ihr Einsatz im Zweikampf mit Selma Bacha bringt dem DFB-Team laut Daten die einzige Großchance. Sie wird gefoult, holt damit den Elfmeter raus - den Sjoeke Nüsken allerdings verschießt.
12,3 Kilometer gelaufen gegen Frankreich
Brand untermauert in dem Spiel dennoch vor allem, was es heißt, wenn Mitspielerin Sophia Kleinherne sagt: "Man muss Spaß und Liebe daran finden, zu verteidigen." So weit wollte Brand selbst nicht gehen. "In dem Spiel hat man das einfach gebraucht", sagt sie der ARD. Gerade in Unterzahl sei es "mein Auftrag gewesen, auch hinten zu verteidigen". Und in Unterzahl war das DFB-Team seit der 13. Minute, als Innenverteidigerin Kathrin Hendrich nach ihrem Zopf-Ziehen mit Rot vom Platz gestellt worden war.
Mit welchem Engagement sie ihre Aufgabe angeht, zeigt die Statistik. 12,3 Kilometer ist sie laut UEFA gelaufen, das Portal Sofascore weist 34 Zweikämpfe für sie aus, zehn mehr als jede andere am Spiel Beteiligte. 18 davon konnte sie für sich entscheiden. Ihre insgesamt 41 gewonnenen Duelle machen sie bis dato zur besten Zweikämpferin des Turniers.
Bundestrainer Christian Wück ist "sehr, sehr zufrieden": "Sie hat bewiesen, dass sie sich in die richtige Richtung weiterentwickelt hat, sowohl offensiv als auch defensiv. Und es ist für uns alle unheimlich wichtig, dass die Offensivspielerin natürlich auch kapieren, dass sie defensiv mitarbeiten müssen. Und die Defensivspielerin müssen kapieren, dass sie auch für unsere Offensivleistung verantwortlich sind."
Brand bereitet Gegnern Kopfzerbrechen
Auch gegen die Spanierinnen dürfte kompakte und leidenschaftliche Defensivarbeit wieder vonnöten sein. Vor allem mit Alexia Putellas und Aitana Bonmati kommen zwei Offensiv-Weltstars auf das DFB-Team zu. "Wir werden auch den Spanierinnen einen heißen Tanz liefern. Genauso wie die sich natürlich gegen uns mit allem wehren, was sie haben. Und dann schauen wir, wer sich am Ende durchsetzt", so Wück.
Ex-Nationalspielerin Inka Grings sieht Chancen, Spanien sei schlagbar, sagt sie bei ntv/RTL: "Gerade in der Gruppenphase gegen Belgien und Italien hat man gesehen, dass sie extrem anfällig sind, wenn sie den Ball verlieren. Mit schnellem Umschaltspiel, mit dem ersten Kontakt in die Tiefe - da sind wir mit Spielerinnen wie Klara Bühl, Giovanna Hoffmann und Jule Brand gut aufgestellt." Auch Ex-Nationalspielerin Melanie Leupolz setzt auf die Offensive: "Ich hoffe, dass wir die Schwäche in der Abwehr der Spanierinnen mit unseren starken Flügelspielerinnen für uns nutzen können, dass wir da durchbrechen und das eine oder andere Tor erzielen", sagt sie der "Bild". Auch Julia Simic glaubt, dass Brand eine ist, die Spanien Kopfzerbrechen bereitet. Jeder Gegner gehe "bei der Vorbereitung sehr genau auf Jule Brand" ein, sagt sie bei ran.
Ihre DFB-Mitspielerinnen wissen ebenfalls, was sie an Brand haben: "Ich glaube, wenn sie selbstbewusst auf dem Platz ist, dann ist sie unschlagbar", so Nüsken. "Ich glaube, dass Jule einen ganz großen Weg vor sich hat", sagt Linda Dallmann. Wenn da nicht Brands Ruf als Tollpatsch und Schussel wäre. Damit ziehen ihre Mitspielerinnen sie ebenfalls auf. Die nun verletzte Kapitänin Giulia Gwinn sagt in der ARD-Dokumentation "Shootingstars - Deutschlands neue Fußballgeneration: Brand, Gwinn, Nüsken": "Ich glaube, wenn bei Jule der Kopf nicht angewachsen wäre, würde sie ihn schon mal vergessen."
Mit ihren 22 Jahren ist Brand noch immer eine der Jüngeren im DFB-Team, sie hat aber bereits 64 Länderspiele absolviert. "Ich gehöre nicht mehr zu den Jungen", sagt sie über sich selbst. "Ich will einfach konstant spielen und dem Team helfen, mit Assists, mit Toren." Und mit ewigen Sprints für die Defensive. Denn ihr Ziel ist klar: Der Titel: "Wir haben das EM-Finale 2022 verloren, das ärgert mich immer noch."
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