Die Tour de France muss am Nachmittag den gefürchteten Mont Ventoux bezwingen, mit der ersten Gipfelankunft seit 2013. Die 1909 Meter Bosheit sorgten in der Vergangenheit für legendäre Geschichten, wilde Ego-Duelle - und einen traurigen Todesfall.
Der normannische Philosoph Roland Barthes schrieb 1957: "Der Mont Ventoux ist ein Gott der Bosheit, dem Opfer dargebracht werden müssen. Er vergibt niemals Schwäche, er fordert ein schier ungerechtes Maß an Leiden."
Jener 1909 Meter hohe Gott der Bosheit erwartet die Tour de France heute zur ersten Gipfelankunft seit 2013. Seit jeher steht der kahle Riese der Provence für schiere Qual, und nicht alle, die sich hinauf wagten, kamen lebend wieder hinunter. Ein Rückblick auf Episoden aus fast 75 Ventoux-Jahren.
1951: 48 Jahre lang machte die Tour einen Bogen um den Ventoux, ehe sie ihn erstmals überquerte. Als erster erreichte Lucien Lazaridès den Gipfel, ein in Griechenland geborener Franzose. Die brutale Etappe über 224 Kilometer zwischen Montpellier und Avignon gewann Louison Bobet, der später erster Dreifach-Champion der Tour wurde und mit nur 58 Jahren dem Krebs erlag.
Simpson kollabiert mit Amphetamin und Brandy-Cola
1958: Das erste Etappenfinale auf dem Ventoux war gleich ein besonderes Spektakel - ein Bergzeitfahren über 21,5 Kilometer durch die glutheiße Mondlandschaft. Der Luxemburger Charly Gaul siegte im epischen Duell gegen Spaniens Topmann Federico Bahamontes und gewann die Tour.
1967: Der schwärzeste Tag der Tour. Bei 42 Grad Lufttemperatur und 54 Grad auf dem Asphalt machte sich der britische Ex-Weltmeister Tom Simpson mit Amphetamin im Blut und weiteren Tablettendöschen im Trikot an den Anstieg, kippte am Fuß des Berges zum Aufputschen noch Brandy-Cola. Klingt nach Wahnsinn, war damals im Radsport aber Folklore. Simpson bezahlte mit seinem Leben, kollabierte in der Steinwüste. Er wurde nur 29 Jahre alt.
1970: Eddy Merckx fuhr mit dem Fahrrad den Ventoux hoch und im Rettungswagen hinab. Nach seinem einzigen Sieg auf dem Bergriesen war der Belgier fertig mit der Welt und atmete halb ohnmächtig aus der Sauerstoffflasche. Er habe schiere Angst um sein Leben gehabt, gestand der Kannibale damals. Simpson wirkte nach.
Armstrong bringt Pantani auf die Palme
1987: Aber als hätte man aus dem Schicksal Simpsons nichts gelernt, war das zweite Ventoux-Zeitfahren am 20. Todestag des Briten doppelt so lang wie das erste. In dieser 36,5-Kilometer-Hitzeschlacht zerstörte der Franzose Jean-Francois Bernard, später bei vier Tour-Siegen Indurain-Helfer, die Konkurrenz, siegte mit 1:39 Minuten Vorsprung. "Jeder hat gesehen, wie stark ich war. Die Tour werde ich gewinnen", tönte Bernard. Der Ventoux rächte sich: Dem Franzosen fehlte in der letzten Tour-Woche die Kraft, er wurde Dritter.
1994: Eros Poli hat den womöglich schönsten Namen der Tour-Historie und war vielleicht der bestaussehende Fahrer. "Beau Eros" hatte allerdings den Ruf, als Profi nicht hart genug zu sein. Das änderte sich am Ventoux: Bei sengender Hitze fuhr Poli 170 Kilometer dem Feld alleine voraus, ging mit 20 Minuten Vorsprung in den Anstieg, von denen er 3:39 ins Ziel in Carpentras rettete. "Der schönste Tag in meinem Leben", sagte der schöne Eros. Weniger schön: Die Tour beendete er auf dem drittletzten Platz.
2000: Ego-Duell in der Epo-Epoche: Die Alphatiere Marco Pantani und Lance Armstrong gaben es sich am Ventoux richtig. Armstrong war der stärkere, überließ dem "Piraten" aber gönnerhaft den Sieg. Was wiederum Pantani die Zornesröte ins Gesicht trieb.
Froome sprintet Mont Ventoux zu Fuß hinauf
2009: Ein Deutscher siegte nie am Ventoux. Am nächsten dran war kein Altig oder Ullrich, sondern Tony Martin. Bei seiner Tour-Premiere wurde der Cottbuser knapp hinter dem Spanier Juan Manuel Garate Zweiter. Aus Martin wurde dann aber doch kein neuer Rundfahrt-Gigant, sondern einer der besten Zeitfahrer der Geschichte.
2016: Als jeder Beobachter der Meinung war, in mehr als 100 Tour-Jahren schon alles erlebt zu haben, lief Chris Froome im Gelben Trikot den Ventoux hinauf. Ein TV-Motorrad war vor dem Briten im Menschengetümmel steckengeblieben, Froome fuhr auf und demolierte sein Rad, Ersatz war weit entfernt, per pedes statt per Pedal ging es für Froome einige Hundert Meter weiter, nach einem Jury-Entscheid behielt er Gelb. Wegen starker Winde wurde das Ziel von der Bergspitze 500 Meter bergab verlegt - ganz oben hatte als bis heute letzter Fahrer Froome drei Jahre zuvor triumphiert.
2021: Was ist härter als der Mont Ventoux? Zweimal der Mont Ventoux! Auf der Suche nach einem vor allem TV-gerechten Spektakel inmitten der Corona-Krise schickte Streckenchef Thierry Gouvenou das Feld doppelt über den Provence-Riesen. Die Ausnahme-Quälerei fand einen außergewöhnlichen Sieger: In Malaucène am Fuße des riesigen Geröllhaufens gewann kein Kletterer, sondern Alleskönner Wout van Aert.
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