Wenn die Gegnerinnen nach dem Spiel richtig schlecht gelaunt sind, ist das ein gutes Zeichen für das DFB-Team. Die Nationalelf zieht mit dem Wissen ins Halbfinale ein, gegen Frankreich den großen Kampf gewonnen zu haben. Zu verdanken ist das auch zwei Spielerinnen, die bislang eine Nebenrolle hatten.
"Sie haben nichts geboten, sie haben gut verteidigt, sie waren aggressiv, aber wir haben sie von A bis Z dominiert", sagte Selma Bacha laut "L'Équipe" nach dem Viertelfinal-Krimi gegen das DFB-Team. "Sie sind qualifiziert. Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber nicht einmal verdient", so die 24-Jährige, die zugab: "Ich bin eine schlechte Verliererin". Der Frust sitzt tief bei den Französinnen. Auch Sakina Karchaoui klagte: "Es ist unfair, aber was soll ich sagen?" Noch nie konnten sie bei einem Turnier (EM, WM und Olympia) gegen Deutschland gewinnen. Noch nie waren sie so nah dran wie bei dieser EM in der Schweiz. Und doch verloren sie in Überzahl mit 5:6 (1:1;1:1;1:1) im Elfmeterschießen.
Ein Spiel, das auch die spanischen Halbfinal-Gegnerinnen (Mittwoch, 21 Uhr/ARD, DAZN und im ntv.de-Liveticker) sicher beobachtet haben. "Ich glaube, sie werden auch Respekt vor uns haben", so Sophia Kleinherne. Denn die Weltmeisterinnen sahen wie sich das DFB-Team in einem Spiel voller Irrungen und Wirrungen aufrieb, abrackerte und kämpfte bis zum Umfallen - teils im wahrsten Sinne.
Wie etwa Franziska Kett. Erstmals bei der EM im Einsatz, das erste Turnier-Spiel überhaupt in ihrer Karriere - und erst das vierte Länderspiel. Vor dem Turnier war es durchaus mit Skepsis aufgenommen worden, dass Bundestrainer Christian Wück der 20-Jährigen den Vorzug gab vor der gestandenen Felicitas Rauch. Noch zumal die Spielerin vom FC Bayern noch gar nicht so lange als Verteidigerin agiert. Erst seit der abgelaufenen Saison, in der sie auch noch die erste Hälfte nach einer Operation und dann mit einer Sprunggelenkverletzung ausfiel. "Da habe ich mir schon oft die Frage gestellt, ob das Ganze überhaupt noch Sinn ergibt", sagte sie t-online. Und das mit gerade einmal 20 Jahren. Nur in sieben Bundesliga-Partien kam sie zum Einsatz, zweimal im DFB-Pokal, einmal in der Champions League. Nur ein Spiel davon stand sie in der Startelf - genauso häufig wie jetzt schon bei der EM.
Bundestrainer "muss den Hut ziehen"
Bislang hatte Kett offensiv gespielt, doch die Umstellung von Bayern-Trainer Alexander Straus hatte so viel Erfolg, dass auch der Bundestrainer auf sie aufmerksam wurde. Dass sie nun zu ihrem Debüt kam, lag auch an Wücks Not in der Verteidigung. Weil mit Giulia Gwinn (verletzt) und Carlotta Wamser (Rotsperre) beiden nominellen Rechtsverteidigerinnen ausfielen, verschob er Sarai Linder von links auf rechts. So rückte Kett nach - und das mit Bravour. "Ich muss den Hut ziehen, wie sie heute gegen eine Gegnerin gespielt hat, die außergewöhnlich ist. Das zeigt, wie viel Potenzial in ihr steckt", sagte Wück.
Kett nahm ihre Gegenspielerin Delphine Cascarino aus dem Spiel - was ob der Angst, die vorher vor der Französin ob ihrer bisherigen Turnierleistungen geschürt worden war, nicht hoch genug einzuschätzen ist. Cascarino wurde in der 76. Minute ohne Torbeteiligung ausgewechselt. "Ich glaube, die Französinnen haben sich genervt gefühlt von mir", sagte sie selbst. Und: "Ich bin mit dem Gedanken rein, dass ich nichts verlieren kann. Ich habe alles gegeben." Das war deutlich sichtbar, Kett wirbelte bis zur 114. Minute weiter, dann ging sie mit Schmerzen in den Beinen zu Boden, musste erst behandelt, dann ausgewechselt werden.
Kleinherne ist "dauer-ready"
Was für ein Debüt für die junge Frau, die unmittelbar vor dem Turnier noch ihr Abitur absolviert hatte und wegen der Feier später ins Trainingslager nach Herzogenaurach reiste. Statt der Abifahrt gibt es für sie nun die EM-Reise. Unter anderem mit Sophia Kleinherne. Die 25-Jährige ist schon deutlich länger im Kreis des DFB-Teams, konnte sich bislang aber nicht richtig durchsetzen. Die EM 2022 war ihr erstes Turnier: drei Einsätze, nur einmal Startelf - und das im wertlosen dritten Gruppenspiel gegen Finnland, im Viertelfinale gegen Österreich kam sie in der 90. Minute. Bei der WM 2023 war sie die einzige Feldspielerin, die bis zum desaströsen Aus nach der Gruppenphase zuschauen musste. Und auch bei dieser EM musste sich Kleinherne in Geduld üben. "Im Turnier wird jeglicher Egoismus hinten angestellt" sagte sie. "Im Turnier sind wirklich alle 23 Spielerinnen enorm wichtig. Natürlich stehen elf Mädels auf dem Platz, aber wenn eine nicht mehr kann, bringt eine andere es zu Ende."
So wie Kleinherne zum Beispiel. Gegen Frankreich kam sie ab der 20. Minute zum Einsatz, weil Sarai Linder verletzt ausgewechselt werden musste. "Ich muss dauer-ready sein, um diesen einen Moment zu nutzen, wenn ich ihn bekommen sollte", hatte sie vorher der ARD-"Sportschau" gesagt. Sie war es. Und das auf der Außenverteidigerposition, die sie schon seit einiger Zeit nicht mehr regelmäßig spielt. Bei Eintracht Frankfurt war sie vor gut zwei Jahren von rechts auf die Innenverteidigerposition umgestellt worden. Ins kalte Wasser geworfen, zeigte sie aber, dass sie nichts verlernt hat. Im Gegenteil, die Französinnen kamen nicht entscheidend durch - wie Kett nervte auch sie ihre Gegenspielerinnen gehörig. Ein Spiel, das zeigt, dass Kleinherne es ernst meint, wenn sie sagt: "Ich will nicht immer nur in der zweiten Reihe sein."
In die erste Reihe wechselt Kleinherne nach der EM auch auf Vereinsebene. Von Frankfurt zieht es sie zum VfL Wolfsburg. Der Topklub, an dem die Eintracht bislang nicht vorbeikommt. Acht Jahre spielte sie in Frankfurt, war "komplett in meiner Komfortzone". Die Begründung für ihren Wechsel: "Ich wollte meine Ansprüche und Grenzen verschieben." Mit Wolfsburg spielt sie definitiv international, während die Eintracht erst noch durch die Champions-League-Qualifikation muss.
"Man muss Spaß und Liebe daran finden, zu verteidigen"
In der ersten Reihe ist der Platz auch im Halbfinale frei. Denn "eine Kapsel-Band-Verletzung am linken Sprunggelenk" macht Linders Mitwirken unmöglich. Eine Mitteilung des DFB, die es Bundestrainer Wück vor dem Duell mit den Weltmeisterinnen nicht gerade leichter macht. Oder doch, weil sich die Defensive jetzt fast schon von selbst ergibt? "Was wir bewiesen haben, ist, dass wir Rote Karten, Ausfälle, Verletzungen kompensieren können", sagte Sportdirektorin Nia Künzer. Kett und Kleinherne jedenfalls empfahlen sich für weitere Spielzeit. Nach Linders Ausfall dürfte Ketts Einsatz auf links feststehen, Kleinherne oder die nach Absitzen ihrer Sperre wieder einsatzfähige Wamser wird es auf rechts heißen. Wahlweise könnte Kleinherne eben auch auf ihrer angestammten Position in der Innenverteidigung ran. Mit Kapitänin Janina Minge und Rebecca Knaak oder für die Zweitgenannte.
Die Aufgabe gegen die Spanierinnen, die über eine "ungeheure Passqualität" und "eine gewisse Abgezocktheit" verfügen, so Künzer, wird nicht leichter. Mit 16 Toren aus vier Spielen stellt Spanien die beste Offensive, mit Alexia Putellas und Weltfußballerin Aitana Bonmati warten Weltstars. Wie Frankreich ein Team, deren schnelle Vorderleute dem Spiel ihren Stempel aufdrücken wollen. Wieder ein Team, das dem DFB-Team viel "Defensivlust" (Künzer) abverlangt?
"Vielleicht bin ich ein bisschen voreingenommen mit meiner Meinung, weil ich Verteidigerin bin. Aber ich glaube, man muss Spaß und Liebe daran finden, zu verteidigen. Und solange du kein Gegentor kassiert, stehen die Chancen sehr, sehr gut, dass du Spiele gewinnst. Weil ich einfach so sehr auf unsere Offensive auch vertraue", sagt Kleinherne. "Ich glaube, das ist ein ganz, ganz wichtiger Faktor, gerade im Turnier, dass jede Spielerin auf dem Platz ist, bereit ist, Meter nach hinten zu machen, gegen den Ball zu kämpfen."
Die Statistik spricht schon wie gegen Frankreich für das DFB-Team: In acht Duellen gab es noch keine Niederlage. Das letzte Aufeinandertreffen gab es bei den Olympischen Spielen 2024 im Kampf um Bronze - mit dem Erfolg für die Deutschen. Auch bei der EM 2022 gab es einen Sieg, 2:0 in der Gruppenphase. "Nicht weil wir den meisten Ballbesitz hatten oder weil wir die beste Passquote hatten, sondern weil wir die Zweikämpfe angenommen haben, weil wir einen unglaublichen Willen an den Tag gelegt haben", so Kleinherne rückblickend.
"Gegen den Ball haben wir enorm viel in der Defensive investiert, und ich glaube, das haben wir gegen Frankreich gesehen, dass darin auch der Schlüssel liegt. Dass man über die Defensive Spiele gewinnt, dass eine gewisse Mentalität gefragt ist, dass Leidenschaft und Bereitschaft gefragt sind. Und dann bin ich sehr optimistisch, dass wir gegen Spanien ein sehr, sehr intensives, aber auch erfolgreiches Spiel absolvieren werden." Denn ihr Ziel ist klar: "Wir wissen, was wir können. Unser Anspruch ist nach wie vor, dass wir uns den Titel holen."
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