Auf der 11. Etappe erlebt Tadej Pogačar mit seinem Sturz kurz vor dem Ziel eine Schrecksekunde, doch die packt er schneller weg als seiner Konkurrenz lieb sein kann. Am Tag danach zeigt der Slowene, wie viel besser er ist als der Rest der Radsportwelt.
Jonas Vingegaard kämpfte um jeden Meter, um jede Sekunde. Doch mit jedem Meter, mit jeder Sekunde verlor der dänische Radsportstar am Donnerstag seinen Kampf. Und womöglich auch die Tour de France. Gegen den einmal unfassbaren Tadej Pogacar war er chancenlos. Gut elf Kilometer vor dem Ziel hatte der erbarmunslose Slowene am knüppelharten Anstieg hinauf nach Hautacam angegriffen. Sein angeschlagenes UAE-Team hatte diese Attacke herausragend vorbereitet. Wie einst die US-Postal-Equipe von Lance Armstrong waren sie volle Lotte in den Anstieg hineingerast, hatten dafür gesorgt, dass Vingegaard isoliert wurde und Pogacar losflog.
Wie alter Lack an einem vor sich hin modernden Boot waren Vindegaards Domestiken Sepp Kuss, Simon Yates und Matteo Jorgenson vom Feld abgeplatzt, als Tim Wellens, Adam Yates und Jhonatan Narváez wie die Wilden das Tempo anzogen. Vingegaard hielt dem Druck stand, bis Pogacar zu seinem gefürchteten Power-Sprint anzog. In aberwitziger Dominanz legte er zehn, elf, zwölf Sekunden zwischen sich und seinem Hauptkonkurrenten um das Gelbe Trikot. Der Däne bekam zwar über sein Teamradio mitgeteilt, dass er sich den Slowenen noch holen könne, doch mit jedem Meter, mit jeder Sekunde verlor er den Glauben daran. Und sein Team vermutlich auch.
Pogacar füttert das Phrasenschwein
Dabei hatten sie zuvor alles versucht, um Pogacar in die Enge zu treiben, der am Tag zuvor gestürzt war und um dessen Zustand es leichte Fragezeichen gab. Wie absurd es war, die Verfassung des Giganten überhaupt infrage zu stellen, machte der auf dem Schlussanstieg deutlich. Er hämmerte den Berg hinauf, gierig, nicht bereit auch noch eine Sekunde herzuschenken. Erst als sich der Vorsprung der Marke von zwei Minuten näherte, als das Ziel in Sichtweite war, gönnte sich der 26-Jährige ein kleines Lächeln. Ein Siegerlächeln. Ein Gesamtsiegerlächeln?
Nein. Noch nicht. Trotz einer wieder einmal kaum zu begreifenden Machtdemonstration. Trotz der Rückkehr ins Gelbe Trikot. "Das Rennen ist noch nicht vorbei, man muss nur auf die nächsten Etappen schauen, und dann gibt es auch noch die nächste Woche", sagte er. Und gebe es im Radsport wie im Fußball ein Phrasenschwein, es wäre Zahltag für den Slowenen gewesen. "Ich bin überglücklich, dass ich an diesem Anstieg Zeit gutmachen und gewinnen konnte", sagte der 26-Jährige: "Man weiß nicht, wie der Körper nach einem Sturz reagiert. Es war nicht so schlimm. Das Team hat einen super Job gemacht."
Für den Iren Ben Healy, dem er das Leader-Jersey wieder abnahm, hatte Pogacar freundliche Worte übrig: "Healy hat es versucht, er hat großen Kampfgeist gezeigt. Es war heute für alle hart", sagte er.
Hätte Lipowitz doch früher attackiert ...
Gibt es bei dieser Tour tatsächlich noch einen echten Kampf ums Gelbe Trikot? Oder geht es nur noch darum, den besten Fahrer der Welt hinter Pogacar zu finden? Noch ist das Vingegaard, der aber hinauf nach Hautacam mächtig Druck bekam. Von Florian Lipowitz, der deutschen Tour-Sensation. Der Co-Kapitän von Red Bull-Bora-hansgrohe konnte der heftigen Attacke von Pogacar und der Verfolgung des Dänen zunächst nicht folgen, als er sich dann aber von seinen Begleitern absetzte, flog er an Vingegaard heran. Was wäre möglich gewesen, wenn er früher attackiert hätte, wenn er seinen Kapitän Primoz Roglic früher hätte zurückgelassen?
Nach mehr als der Tour-Hälfte liegt der Sensationsmann nun bereits auf Platz vier der Gesamtwertung, der am Donnerstag mehrfach schwächelnde Olympiasieger Remco Evenepoel auf dem dritten Platz ist nur 49 Sekunden voraus. Das Tour-Podest ist absolut in Griffweite. Und damit dann auch das Weiße Trikot des besten Jungprofis.
"Das war nicht Jonas beste Leistung"
Für Vingegaard und Visma Lease a Bike ist Lipowitz noch kein Thema. Noch müssen sie die zweite große Klatsche bei dieser Tour verarbeiten, nach dem Einzelzeitfahren auf der 5. Etappe. Und noch wissen sie nicht, was da am Donnerstag eigentlich passiert ist. "Ich habe noch nichts gesehen und auch nicht mit Jonas gesprochen, aber ich glaube nicht, dass das heute Jonas' beste Leistung war. Gegen Ende hat er etwas nachgelassen", befand Visma-Teamchef Grischa Niemann."Das ist eine schwere Niederlage, denn wir hatten uns mehr erhofft. Aber Jonas ist immer noch Zweiter geworden. Das ist nicht das Ende der Welt, aber heute hat Tadej gezeigt, wer der beste Fahrer ist, und das wird in den nächsten Wochen schwer zu ändern sein."
Eigentlich hatte Visma geplant, selbst den großen Favoriten auf den Gesamtsieg bei der Tour de France attackieren zu können. "Unser Plan war es, das Rennen so hart wie möglich zu gestalten. Das haben wir getan, aber leider wurde Matteo (Jorgenson, Anm. d. Red.) früh abgehängt", erklärte der 49-Jährige weiter. "Von da an haben wir das Tempo etwas gedrosselt, aber das Ziel war immer noch, dass Jonas auf dem Hautacam angreifen sollte", gab Niemann den in Hose gegangenen Plan preis: "Dort hat sich Pogacar dann als klar stärkster Fahrer erwiesen." Vor dem Bergzeitfahren am Freitag liegt Vingegaard nun 3:31 Minuten hinter Pogacar.
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