Andreas Bornemanns Motor läuft auch im heißen Hamburger Sommer auf Hochtouren, Abgänge und Zugänge müssen gemanagt werden. Der Sportchef des Fußball-Bundesligisten FC St. Pauli hat früh schon die Weichen für die kommende Saison gestellt und wichtige erste Transfers getätigt. So wurde für das zentrale Mittelfeld der Japaner Joel Chima Fujita verpflichtet, auch die Angreifer Mathias Pereira Lage oder Andréas Hountondji kommen. Der FC hat dazu im zweiten Bundesligajahr auch finanziell neue Möglichkeiten. Der 53-Jährige, seit sechs Jahren bei den Kiezkickern, sieht dennoch einige Hürden auf dem Weg zu dem Ziel, ein etablierter Bundesligist zu werden.
WELT: Der FC St. Pauli startet in die zweite Saison nach dem Aufstieg – was sind die größten Herausforderungen in der laufenden Transferperiode?
Andreas Bornemann: Wir schauen immer, wo man sich verändern und verbessern kann. Das Ganze aufbauend auf den Erfahrungen der abgelaufenen Saison – und natürlich immer im Rahmen der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten in einem großen, kompetitiven Wettbewerb wie der Bundesliga.
WELT: Der FC St. Pauli will sich vom ambitionierten Aufsteiger zum etablierten Bundesligisten entwickeln. Was fehlt denn dazu noch?
Bornemann: Ein paar Jahre mehr Bundesliga! Unser Ziel war ja immer, langfristig unter den Top-25-Teams in Deutschland zu sein. Etablierter Bundesligist zu werden, hieße für uns, zunächst mal in den nächsten vier bis fünf Jahren häufiger in der ersten als in der Zweiten Bundesliga zu sein. Das kurzfristige Ziel für die kommende Spielzeit ist der Klassenerhalt. Es werden dabei oft Vergleiche zu Mainz und Augsburg herangezogen, die mutmaßlich nicht so weit weg sein könnten. Zu diesen Vereinen klaffen aber große Lücken mit Etatunterschieden von 20 bis 30 Millionen Euro und 16 sowie 14 Jahre fortlaufender Bundesligazugehörigkeit.
WELT: Die jetzt höheren TV-Gelder könnten neue Möglichkeiten bei Transferausgaben ermöglichen.
Bornemann: Sehen Sie, die Deutsche Fußball Liga wertet solche Zahlen jährlich in ihren Berichten aus und bildet Cluster. Da kann man sich den Transfer- und Personalaufwand ansehen und die Möglichkeiten, auf welchem Niveau die Teams Spieler bezahlen können. Das Gehaltssegment ist sehr entscheidend dafür, wo ich mich auch sportlich bewege. Bei der Gruppen- oder Clusterbildung hat sich in der Bundesliga eine Vierteilung herausgebildet. Der Unterschied vom ersten Cluster zum vierten Cluster ist so hoch, dass man gar nicht davon reden kann, in derselben Liga zu spielen. Während der FC St. Pauli im abgelaufenen Geschäftsjahr beim Umsatz erstmals die 100-Millionen-Marke geknackt hat, hat der FC Bayern die Milliardenmarke erreicht.
WELT: Da die Unterschiede so signifikant sind – Welche strukturellen Änderungen würden Sie im Gefüge des Profifußballs befürworten? Und gäbe es dafür überhaupt eine Chance?
Bornemann: Ich glaube schon, dass es sich lohnt, über Maßnahmen nachzudenken, die den Wettbewerb wieder ausgeglichener machen, etwa über Anpassungen beim Verteilungsschlüssel für die TV-Gelder oder der konsequenten Anwendung der 50+1-Regel. Ein spannender Wettbewerb sollte schließlich auch im Sinne der Liga sein. Natürlich gibt es bei solchen Themen auch immer viele unterschiedliche Interessen, aber wir möchten uns weiter für einen möglichst gerechten Fußball einsetzen, so wie es zum Beispiel unser Präsident Oke Göttlich in seiner langjährigen Funktion als Mitglied des DFL-Präsidiums tut.
WELT: Gibt es dennoch mehr Durchzug und Bewegung in den Transfers, auch durch die verstetigten besseren Mittel eine Liga höher?
Bornemann: Die Kaderstruktur ist für uns eine Möglichkeit, uns sukzessive nach unseren Vorstellungen zu verbessern und anzupassen. Das war schon in den vergangenen Jahren in der Zweiten Liga so. Auf der anderen Seite müssen wir immer wieder gute Leihspieler abgeben, darüber hinaus haben wir Spieler verkauft, wie nun Elias Saad an den FC Augsburg. Veränderung und Fluktuation in unserem Kader findet also teilweise auch unfreiwillig statt, zahlt sich aber ein Stück weit auch aus. Transfereinnahmen zu generieren ist ja auch Teil unserer Idee, um insgesamt den nächsten Entwicklungsschritt gehen zu können. Dazu gehören neben dem Sportlichen große Infrastrukturprojekte, wie die Erweiterung des Trainingsgeländes.
WELT: Ist das alles also ein Spagat aus Ausbildungs- oder eher Weiterentwicklungsverein und gestandenem Bundesligisten?
Bornemann: Wenn es nach einer Saison keinen Spieler unseres Kaders geben würde, der das Interesse von Vereinen mit anderen sportlichen und wirtschaftlichen Möglichkeiten weckt, hätten wir wiederum auch keine Chance, uns weiterzuentwickeln. Der Preis ist, dass man eventuell sportliche Substanz verliert. Zugleich ist es eine Chance, diese Lücken so zu füllen, dass wir das Niveau konstant halten oder den Kader sogar weiterentwickeln.
WELT: Durchlauferhitzer für Toptalente wollen Sie aber vermutlich nicht auf Dauer sein?
Bornemann: Nein, es liegt aber ein Stück weit in der Natur der Sache, dass sich höher rangierende Vereine bei dir bedienen. Wenn wir die richtigen Spieler für uns bekommen, müssen wir auch zusehen, dass wir sie weiterentwickeln. Das ist kein Automatismus und nur mit viel Aufwand und vor allem vielen guten Mitarbeitern im Verein möglich.
WELT: Wie lautet denn Ihr Fazit der vergangenen Saison?
Bornemann: Ich hatte bei dem einen oder anderen Spiel das Gefühl, wir hätten mehr verdient. Da waren unsere Leistungen besser als der Ertrag. Vor der Saison haben wir den Aufstiegstrainer Fabian Hürzeler sowie in Marcel Hartel eine zentrale spielerische Stütze verloren, dazu kamen immer wieder Verletzungsprobleme. Trotz dieser Umstände haben wir es mit unserer sehr guten Defensivstruktur geschafft, schnell in der Liga anzukommen. Wir waren den anderen Mannschaften ein würdiger Gegner und haben uns auch im eigenen Ballbesitz, einer guten Spieleröffnung und einer klaren Idee Anerkennung in der Liga erspielt.
WELT: Was müssen und wollen Sie von dieser Basis aus kommende Saison besser machen?
Bornemann: Wir treffen in der Bundesliga ja oft auf individuell deutlich besser besetzte Mannschaften. Da ist es wichtig, dass alle bei uns gegen den Ball arbeiten. Das ging in der Vergangenheit sicher auch auf Kosten unserer Offensive. In dem Bereich wollen wir eine bessere Balance finden. Es geht darum, besser in die Umschaltmomente zu kommen, auch durch unsere Neuzugänge mehr Tempo in den vordersten Reihen zu kreieren. Auch durch Standards können wir mehr Gefahr erzeugen, wir wollen insgesamt mehr Tore erzielen.
WELT: Das Spielsystem muss also angepasst werden. Dabei spielt dann Cheftrainer Alexander Blessin die entscheidende Rolle.
Bornemann: Die Ausrichtung und Kaderzusammenstellung sind Gemeinschaftsprodukte der sportlichen Leitung, der Scoutingabteilung und des Trainerteams. Die tägliche Arbeit mit der Mannschaft auf dem Platz, die Ausarbeitung des Matchplans, die Vorbereitung auf den jeweiligen Gegner und mit welchen Spielern das nächste Spiel zu bestreiten ist, ist die Zuständigkeit des Trainers.
WELT: Wenn es doch schlecht laufen sollte – wäre ein Abstieg ein Drama für den Verein?
Bornemann: Sportlich hilft uns für unsere Weiterentwicklung und bei dem, was wir vorhaben, natürlich jedes weitere Jahr in der Bundesliga. Nicht nur finanziell, auch darin, als etablierter Bundesligist wahrgenommen zu werden. Es gibt auch keinen Automatismus, sofort wieder aufzusteigen. Wir wissen, dass es eintreten kann, wollen uns aber mit aller Kraft dagegen wehren. Das darf aber nie dazu führen, dass wir uns wirtschaftlich übernehmen oder falsche Erwartungen wecken.
WELT: Präsident Oke Göttlich sagt, St. Pauli sei als Marke unter den ersten sechs, sieben der Liga anzusiedeln. Ist es Ihr Job, dies sportlich auf Augenhöhe zu bringen?
Bornemann: Es ist nie so eindeutig voneinander zu trennen. St. Pauli ist ein besonderer Standort, mit besonderen Fans und besonderer Haltung. Auch das Merchandising hatte sich zu Zweitligazeiten ja sehr gut etabliert. Um aber sportlich in der Bundesliga auf Rang sechs zu kommen, müssten wir zwei Cluster überspringen. Zudem müssten wir uns auch in den anderen Kategorien auf dieses Niveau entwickeln, um zu den Vereinen da oben aufzuschließen: Umsatztechnisch, was den Transfer- und Personalaufwand betrifft, bei Stadion- und Vermarktungserlösen. Es wäre nicht realistisch, diese sportlichen Ziele zu formulieren oder diese Erwartungen zu schüren.
WELT: Sie gehen auch bei der Finanzierung eigene Wege. Wie lautet die bisherige Bilanz zur im Februar gegründeten Genossenschaft? Bisher wurden rund 30 Millionen Euro eingenommen.
Bornemann: Der Verein hat sich ja ganz bewusst gegen gewisse Finanzierungsformen, beispielsweise von Investoren, positioniert. Wenn er sich in diesem Wettbewerb etablieren will, muss er aber Antworten haben. Leitsatz bei uns ist ja: Ein anderer Fußball und auch eine andere Finanzierungsform sind möglich. Dafür ist diese Genossenschaft mit diesem sehr partizipativen Gedanken das perfekte Vehikel. Die Mittel werden ja auch nicht direkt in den Sport, sondern in andere Bereiche fließen.
WELT: In welche?
Bornemann: Die Genossenschaft wird eine Mehrheitsbeteiligung am Millerntor-Stadion erwerben. Und wir können, wie bereits gesagt, auch die Infrastruktur verbessern. Ohne die Genossenschaft hätten wir für diese Entwicklung vier bis acht Jahre länger gebraucht. Davon profitiert zumindest indirekt natürlich auch der Sport.
WELT: Es wird schon früh in der neuen Saison, nämlich gleich am zweiten Spieltag, zum Hamburger Stadtderby gegen den Hamburger SV kommen. Wer ist denn momentan die Nummer eins im Hamburger Fußball?
Bornemann: (lacht) Die Frage beschäftigt mich nicht großartig. Es wird zwei Stadtderbys geben. Danach wird ein Strich drunter gezogen. Wir waren ein Jahr in der Bundesliga, der HSV nicht, insofern sind wir momentan die Nummer eins. Für mich hat das in der täglichen Arbeit aber keine Relevanz. Was diese Derbys für die Fans bedeuten, weiß ich natürlich. Wenn wir beide am Ende absteigen sollten, bringt die Stadtmeisterschaft aber nichts. Wir sollten uns stattdessen auf zwei stimmungsvolle Spiele freuen.
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