Marc-André ter Stegen weiß nun, dass der FC Barcelona ohne ihn platt. Nach über einem gemeinsamen Jahrzehnt geht die Zeit als unwürdiges Schauspiel zu Ende. Denn will ter Stegen seine eigenen Ambitionen nicht begraben, muss er wechseln.

Das, was der FC Barcelona macht, ist mindestens sanfte Erpressung. Im Wissen darum, dass Marc-André ter Stegen es sich nicht erlauben will, die Karriere in der Bedeutungslosigkeit ausklingen zu lassen, degradiert der Verein seine langjährige Nummer eins. Nach einem "ehrlichen Gespräch im Trainingszentrum" mit Trainer Hansi Flick weiß der Keeper nun, dass er in der Hierarchie abgestürzt ist. Er ist nicht mehr Stammkraft, er ist nicht mehr erster Vertreter der Stammkraft, nein, er ist nur noch Nummer drei. Ein fairer sportlicher Kampf um seinen Platz wird ihm verwehrt. Die Aussicht auf Spielzeit: gleich null.

Das schafft ein Szenario, das der Torwart nach 422 Spielen für die Katalanen, nach 19 Titeln, unter anderem dem Triumph in der Champions League, nicht akzeptieren kann. Nach einer Ewigkeit als manchmal wütender und immer verzweifelter Thronfolger von König Manuel Neuer in der Nationalmannschaft soll seine Zeit endlich gekommen sein. Ter Stegen möchte Deutschland beweisen, dass auch er ein Titan ist. Ein Turnier-Titan. Wenn das DFB-Team und der gallige Bundestrainer Julian Nagelsmann im kommenden Jahr in den USA nach dem WM--Titel greifen, möchte der 33-Jährige der Rückhalt sein, der die Mannschaft trägt.

Ohne Spielpraxis geht nix

Dass er solch gigantische Aufgaben schultern kann, hat er beim FC Barcelona über ein Jahrzehnt lang gezeigt. Aber das geht eben nur, wenn ter Stegen in Form ist, wenn er spielt. Ohne Stammplatz wäre er als deutsche Nummer eins nicht zu halten. Zumal Nagelsmann mit Oliver Baumann (TSG Hoffenheim) und Alexander Nübel (VfB Stuttgart) ambitionierte Alternativen hat.

Doch spielen, das hat er in der vergangenen Saison lange Zeit nicht tun können, weil er schwer verletzt war. Ohne eigenes Zutun ist er damit in eine ganz bittere Situation geraten. Sein Vertreter Wojciech Tomasz Szczęsny, der reaktivierte Rentner, hat bisweilen überragende Leistungen geboten. Und mit Joan Garcia war in diesem Sommer für nicht allzu viel Geld ein junger, vielversprechender Torwart vom Stadtrivalen Espanyol abzugreifen. Barça fühlte sich auch ohne ter Stegen wohl, fühlt sich sicher für die Zukunft. Eine womöglich riskante Wette. Wie wohl sich Flick damit fühlt, das weiß indes man nicht.

Und so würde man das Gehalt des Deutschen gerne einsparen. Gut sechs Millionen Euro pro Jahr sollen das sein. Garica und Szczęsny sollen Medienberichten zufolge zusammen etwa das gleiche Salär einstreichen. Weil der Klub seit Jahren einen gigantischen Schuldenberg angehäuft hat, der dem Himalaya-Gebirge reichlich Schatten spenden würde, ist eingespartes Geld sehr willkommen. Auch um Spielraum für neue Fußballer zu haben, die nicht nur in der Anschaffung und Unterhaltung teuer sind, sondern auch in der Registrierung. Und da kennt die Liga keinen Spaß. Bereits in der vergangenen Saison dauerte es lange, bis Dani Olmo endlich ran durfte. Und als zuletzt die Gerüchte im Nico Williams heiß wurden (der in Bilbao bleibt), war die Registrierung wieder Thema.

"Ich muss nicht mit ihm sprechen"

Der Fall ter Stegen wuchs sich bereits in den vergangenen Wochen zu einem zermürbenden Theater aus. So hatte ihm unter anderen Sportdirektor Deco eiskalt die Tür gewiesen. Es gebe keinen Vertrag, in dem stehe, dass man spielen werde, sagte er der Zeitung "La Vanguardia". Ter Stegens da schon geäußertem Wunsch, über seine Situation bei Barça zu sprechen, erteilte Deco eine Abfuhr. "Ich muss nicht mit ihm sprechen. Meine Aufgabe ist es, die bestmögliche Mannschaft für den Trainer zusammenzustellen."

An Gerüchten über mögliche Interessenten für ter Stegen mangelt es seit Wochen nicht. Zuletzt wurde etwa die AS Monaco genannt. Zuvor wurden auch die Topklubs FC Chelsea, Manchester City, Manchester United und Galatasaray Istanbul als mögliche neue Arbeitgeber gehandelt. Das alles war indes vor dem Gespräch mit Flick, vor der nicht zu ertragenden Degradierung.

Der FC Barcelona zwingt die eigene Not nun ter Stegen auf. Der will zwar unbedingt um seinen Platz kämpfen und sich ähnlich behaupten, wie der eigentlich schon abgeschriebene Niederländer Frenkie de Jong. Aber ob sich Barça darauf einlässt? Garcia müsste schon über alle Maßen enttäuschen und Szczęsny einen gravierenden Form-Zusammenbruch erleben, damit es zu einem Umdenken kommt. Das ist schon ein reichlich unwürdiges Schauspiel, das dem Kapitän ter Stegen, der dem Klub auch in Krisen loyal zur Seite stand, nur einen Weg aufzwingt. Den Weg zur Tür, zu einem neuen Verein. Denn so bockig kann der Keeper eigentlich nicht sein, dass er nach all den Jahren der Verzweiflung seine große Chance auf den deutschen WM-Stammplatz wegwirft.

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