Toni Kroos hat gut reden. Die Gladbacher sollen sich nicht so anstellen, sondern einfach „drüberstehen“, sagte der ehemalige Nationalspieler von Real Madrid. Was sei denn schon passiert?
Kroos spielte auf einen Vorfall an, der das „Sommerloch“ in der Bundesliga zumindest zeitweise recht ordentlich ausfüllte: das Video, in dem sich Florian Neuhaus fast um Kopf und Kragen redete – weil ein Tabu der Branche brach: niemals öffentlich über Geld zu sprechen. Für „eins, zwei, drei, vier Millionen“ habe er 2023 seinen Vertrag bei Borussia Mönchengladbach verlängert, sagte er – und wurde dabei von Fans gefilmt.
Mit dem von Kroos geforderten „Drüberstehen“ ist das so eine Sache – vor allem, weil in dem Videoschnipsel, der viral ging, auch die Rede von dem Mann ist, der ihm diesen Vertrag gegeben hat: Roland Virkus.
„Don Rollo“ wurde der Geschäftsführer Sport in dem launigen Gespräch, das auf Mallorca aufgenommen wurde, von Neuhaus genannt. Das geht ja wirklich noch. Dann allerdings ist da auch noch eine schwer zuzuordnende Stimme zu hören, die Virkus als den „schlechtesten Manager der Welt“ bezeichnet.
100.000 Euro Strafe für Florian Neuhaus
Die Gladbacher regierten jedenfalls. Sie verdonnerten Neuhaus dem Vernehmen nach zu 100.000 Euro Geldstrafe und zu vier Wochen Straftraining bei der U23. Das sei zu hart, befand Kroos. „Wenn man nicht hundertprozentig zufrieden aus einer Saison kommt, dann ist das, was der Flo da gesagt hat, wahrscheinlich noch mit Abstand das Harmloseste, was Fußballer ansonsten über Mitspieler, Trainer, Verantwortliche im Urlaub gesagt haben“, sagte Kroos in seinem Podcast „Einfach mal luppen“. Sei doch alles „gar nicht schlimm“.
Das sehen sie in Mönchengladbach anders – vor allem Virkus, der offenbar bis ins Mark getroffen ist. Der 58-Jährige, der seit 1990 im Verein arbeitet und im Februar 2022 als Nachfolger von Max Eberl in die Geschäftsführung rückte, möchte sich zu der Causa am liebsten gar nicht äußern.
Damit Virkus nicht in die Verlegenheit dazu kam, wurden Vorkehrung getroffen. Vor einer Woche, als die Gladbacher in die Saisonvorbereitung starteten und die Medienvertreter für den Anlass ungewöhnlich zahlreich erschienen, erklärte er nur knapp: „Ich denke, dazu ist genug gesagt.“
Auch Stefan Stegemann, seit Anfang des Jahres neuer CEO des Bundesligazehnten, sagte nicht mehr als das Nötigste. „Wir drei (Stegemann, Virkus und Marketinggeschäftsführer Markus Aretz) haben alle mit Florian Neuhaus gesprochen und unseren Standpunkt klargemacht, daran gibt es nichts zu rütteln“, betonte er.
Natürlich werde man, „wieder miteinander sprechen, wenn eine bestimmte Zeit vorbei ist, und dann blickt man in die Zukunft“, so Stegemann. Was das heißt, ließ er offen. Gelegenheit zur Nachfrage gab es nicht. Die Gesprächsrunde mit der Geschäftsführung wurde von Stadionsprecher Torsten Knippertz moderiert.
Immerhin verriet Stegemann, dass die Entscheidung „gut überlegt“ und „eng mit Präsidium und Aufsichtsrat abgestimmt“ worden sei. Das mag als Indiz gedeutet werden, dass es auch die Überlegung gab, Neuhaus fristlos vor der Tür zu setzen. Doch so einfach ist das nicht: Der 28-Jährige steht noch für zwei weitere Saisons unter Vertrag.
In jedem Fall kommt der Skandal – oder um mit Kroos zu sprechen: das Skandälchen – zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Der Verein rüstet für ein besonderes Jubiläum. Am 1. und 2. August soll das 125-jährige Bestehen des fünfmaligen Deutschen Meisters im festlichen Rahmen begangen werden.
Vor allem aber wollen die Gladbacher, hinter denen schwierige Jahre liegen, eine Aufbruchstimmung erzeugen, um es in der kommenden Bundesligasaison vielleicht sogar endlich mal wieder in den Europapokal zu schaffen. Es wäre das erste Mal seit 2020.
„Die Ambitionen sind da, die Herausforderungen auch“, sagte Gerardo Seoane, der mit der Mannschaft in die dritte Saison geht. Seit der Schweizer, der zweite Trainer, der von Virkus ausgewählt wurde, in der Verantwortung ist, hat es massive Umbrüche gegeben. Ein jahrelanger Transferstau, verursacht durch die Corona-Krise, wurde aufgelöst. Das sorgte für gewissen Spielraum – ging allerdings auch mit Substanzverlust einher. Stammkräfte wie Lars Stindl, Marcus Thuram, Rami Bensebaini, Jonas Hofmann, Christoph Kramer und Manu Koné gingen.
Der Neuaufbau war schwierig. Das ließ sich auch an Tabellenplätzen und Leistungen ablesen. Gladbach schien im Niemandsland der Tabelle gefangen, geriet zwischenzeitlich sogar in Abstiegsgefahr. Erst in der vergangenen Saison gelang es, wieder eine Perspektive zu entwickeln.
Am 27. Spieltag kletterte die Mannschaft, die mit Tim Kleindienst endlich wieder einen Torjäger hatte, auf den 5. Platz – danach allerdings konnte kein weiteres Spiel mehr gewonnen werden, wodurch die internationale Qualifikation erneut in weite Ferne geriet. Das tat weh.
„Die Vorbereitungsstarts waren jeweils von Enttäuschungen aus der Vorsaison begleitet. Natürlich nimmt man die Erfahrungen mit“, sagte Seoane. Diesmal kommt eine spezielle Hypothek dazu: Ausgerechnet Kleindienst, der 16 Saisontreffer erzielt hat, wird wegen einer Knieverletzung, die er sich am vorletzten Spieltag zuzog, bis November ausfallen.
„Ihn eins zu eins zu ersetzen, wird kaum möglich sein“, so der Trainer, der hofft, eventuell einen Ersatz für den Mittelstürmer, der auch seine Teilnahme an der Nations League absagen musste, verpflichten zu können.
Doch das ist unwahrscheinlich. Denn der Klub, der bislang mit Rechtsverteidiger Kevin Diks vom FC Kopenhagen und Mittelfeldspieler Jens Castrop vom 1.FC Nürnberg nur zwei Zugänge geholt hat, will den Konsolidierungskurs fortsetzen. Gladbach sei „von Transferablösen abhängig, um auf dem Markt agieren zu können“, sagte Stegemann.
Auftakt gegen den Hamburger SV
Das Problem ist nur: Der Markt kommt immer später in Bewegung, in dieser Sommerpause wegen der Klub-WM wohl sogar noch später. Der Dominoeffekt, der entsteht, sobald die finanzstarken Vereine ihre ersten Ein- und Verkäufe getätigt haben, wird auf sich warten lassen. Das macht es Virkus schwer, den Kader bis zum Saisonauftakt am 24. August, wenn es gegen den Hamburger SV geht, stehen zu haben. „Wir müssen die Transferzeit begrenzen, darüber sind sich die Bundesligisten auch einig. Im Ligakreis sprechen wird darüber“, sagte der Manager gegenüber WELT.
Die Ziele werden deshalb bewusst unkonkret gehalten. In drei bis fünf Jahren, so die interne Kalkulation, möchte Gladbach wieder zur Spitzengruppe der Liga zählen. Viel lieber spricht Stegemann, der besonders für finanzielle Zurückhaltung steht, davon, „Talente zu entwickeln und zum ‚Fohlenfußball‘ zurückzukehren.“
Das ist ein Motto, das gut zum bevorstehenden Jubiläum passt, aber nicht gerade Hoffnung auf eine schnelle Rückkehr auf die internationale Bühne macht. Denn die Mannschaft ist in den vergangenen Jahren bereits deutlich verjüngt worden ist. „Wenn man auf den Trainingsplatz schaut, sieht man mindestens zwölf Spieler, die unter 22 sind“, erklärte Seoane.
Er erweist darauf, in der vergangenen Saison bereits „jungen Spielern deutlich mehr Spielzeit“ gegeben zu haben. Um erfolgreich zu sein, benötige dieser Weg aber „Zeit und Geduld“. Mit anderen Worten: Mit dem einen oder anderen erfahrenen Zugang könnte der Traum von Europa unter Umständen schneller realisiert werden.
Umso wichtiger wäre es, einen Spieler wie Neuhaus, der in der vergangenen Saison nur ganze zweimal in der Startelf stand, von der Gehaltsliste zu bekommen. Doch das wird schwer. Denn die von ihm verratenen „eins, zwei, drei, vier“ Millionen machen ihn zu einem Großverdiener. Kein Wunder, dass er seinen Vertrag offenbar erfüllen will.
Oliver Müller ist Fußball-Reporter und Podcaster. Er berichtet für WELT vor allem über Borussia Dortmund und andere Klubs aus dem Westen Deutschlands.
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