Plötzlich mittendrin statt nur dabei: Carlotta Wamser ist die unwahrscheinlichste DFB-Spielerin bei der Fußball-Europameisterschaft. Erst glaubt sie selbst nicht an eine Nominierung, dann muss sie als Ersatzspielerin die verletzte Kapitänin ersetzen. Ganz schön viel los in einer kurzen Karriere.
Ganz am Anfang, noch vor Anpfiff, hatte Carlotta Wamser einen wichtigen Auftrag zu erfüllen. Einen, den die 21-Jährige von ihrer Mutter erhalten hatte: "Carlotta, wenn du die Hymne singst, sing laut mit!" Erstmals konnte jeder - auch im TV - das direkt überprüfen, denn beim EM-Gruppenspiel gegen Dänemark (2:1) feierte Wamser ihre Premiere in der Startelf des DFB-Teams.
Sie hatte nun einige Tage Zeit, sich darauf vorzubereiten. Das Drama um die eigentliche DFB-Kapitänin Giulia Gwinn hatte sie von einer Ersatzspielerin zu einer der Hauptfiguren im Team gemacht. Weil Gwinn mit ihrer Innenbandverletzung ausfällt, muss und darf die Neu-Leverkusenerin als Rechtsverteidigerin ran.
"Das Gute ist, dass ich nicht so viel nachdenke. Ich muss das nach dem Turnier erstmal sacken lassen und realisieren, was da alles passiert ist", sagte sie nach dem Spiel. Ihr Team hatte ihr volles Vertrauen geschenkt. "Sie ist keine Spielerin, die sich da Megadruck macht", sagte Linda Dallmann vor dem Spiel. "Jetzt hat auch der Letzte gesehen, dass sie zurecht bei uns ist", hatte Bundestrainer Christian Wück gesagt, nachdem Wamser Gwinn kurz vor der Halbzeit beim EM-Auftakt gegen Polen (2:0) ersetzen musste. Denn die 21-Jährige war eine der Überraschungen im deutschen Kader. Sie selbst hatte gar nicht mit einer Nominierung gerechnet, hatte vor der EM lediglich 55 Minuten bei zwei Einsätzen für die DFB-Elf gespielt.
Kurios erfuhr sie von Wücks Entscheidung: "Christian hatte nur die Nummer meiner Mutter und hat sie dann angerufen. Meine Mutter ist, glaube ich, dreimal nicht drangegangen", hatte Wamser beim Mediaday des DFB wenige Tage vor der EM gesagt.
Von der Stürmerin zur Verteidigerin
Gut, dass Wück es schaffte, seine Botschaft zu überbringen, denn nun ist Wamser noch wichtiger als zunächst gedacht. Schon beim Auftaktspiel hatte sie sich gleich einbringen können und vor dem 1:0 mitgeholfen, dass die Polinnen Torschützin Jule Brand nicht entscheidend angriffen. Beim 2:0 spielte sie den vorletzten Pass vor dem Treffer von Lea Schüller. Auch gegen Dänemark knüpfte sie daran an.
Anfangs war ihr noch anzumerken, dass es für die 21-Jährige keine Selbstverständlichkeit ist, in einem EM-Spiel von Beginn an ranzudürfen, vor 34.165 Menschen zu spielen, davon mehr als 17.000 deutschen Fans. Offensichtlich darum bemüht, sich an das Konzept zu halten, die Position zu halten. Das vermeintliche 1:0 durch Klara Bühl (18.), das dann nach minutenlanger VAR-Prüfung wegen minimalem Abseits von Sjoeke Nüsken nicht gegeben wurde, hatte sie dann mit eingeleitet. Wamsers passgenaue Flanke setzte Lea Schüller kurz nach ihrem Führungstreffer neben das Tor.
Der Bundestrainer hatte aufgetragen, "dass wir mutig sein sollen". Wamser war es. Ihre zwei Schüsse aufs Tor hatte die dänische Torhüterin Maja Bay Östergaard aber. "Ich denke, wenn wer besser steht, spiele ich lieber ab. Ich habe dann zweimal geschossen, aber es ist nichts draus geworden", sagte Wamser. In der Defensive musste zudem die zur Kapitänin aufgestiegene Abwehrchefin Janina Minge so manche Lücke stopfen.
Denn durchaus ähnlich offensiv wie Giulia Gwinn interpretiert Wamser die Rolle der Rechtsverteidigerin. Kein Wunder, denn wie Gwinn wurde sie von der offensiven auf die defensive Außenbahn zurückversetzt. Und zwar erst kürzlich. In der U23 hatte Nationaltrainerin Kathrin Peter diese Idee. Der Versuch erwies sich als großer Erfolg. Anpassungsfähig also ist die Frau, die nebenbei ein Sportstudium absolviert und für die Grundausbildung bei der Bundeswehr war, offenbar.
Frankfurt lässt das Toptalent ziehen
Anders als es aus Frankfurt zu hören war, wo Wamser bislang bei der Eintracht unter Vertrag stand. Drei Jahre war sie bei den Hessinnen, richtig glücklich verlief die Zusammenarbeit nicht. Ein halbes Jahr hatte sich Wamser sogar zum 1. FC Köln ausleihen lassen. Trainer Niko Arnautis setzte nicht auf das "unfassbare Energiebündel", als welches Mitspielerin Laura Freigang sie bezeichnet.
Erst als die U23-Umschulung in die Defensive so erfolgreich verlief, probierte auch Arnautis es - und prompt verdrängte Wamser in den letzten Saisonspielen ihre Teamkollegin Pia-Sophie Wolter aus der Eintracht-Startelf. "Sie hat hinten raus in der Saison immer stärkere Leistungen gezeigt, ist gereift, auch taktisch", sagte Arnautis. Doch die Eintracht wird von einem möglichen EM-Hype nichts mehr haben. Weil Wamser zum Ligarivalen Bayer Leverkusen wechselt.
"Wir haben in ihr eine Entwicklung gesehen, viel gesprochen, Wege aufgezeigt für die Zukunft. Natürlich hätten wir sie gerne weiter in Frankfurt gesehen", so Arnautis gegenüber der dpa. "Der Wechsel nach Leverkusen ist schade, aber sie hat sich schon vor ihrem Leistungshoch damit beschäftigt und dann letztlich für diesen Weg entschieden, auch um nochmal einen kompletten Neuanfang zu machen." Allerdings soll das Angebot zur Vertragsverlängerung laut "Frankfurter Rundschau" auch "eher mittelprächtig" gewesen sein.
"Sie ist nur ein Mädchen"
Und so geht Wamser nach der EM den nächsten Schritt. Bis sie 16 Jahre alt war, hatte sie in einem Team mit Jungs gespielt. Während sie die Vorteile schätzt, "den Körpereinsatz, die Schnelligkeit und das Spielverständnis" habe sie dort gelernt, gab es einige, denen ihre Anwesenheit bei den Jungs nicht gefiel: "Ich habe oft Sprüche von den Eltern der Gegner bekommen: 'Grätsch' sie um, sie ist nur ein Mädchen' oder dergleichen." Sprüche, die auch andere Nationalspielerinnen ertragen mussten.
Mit 16 Jahren wechselte Wamser dann zur SGS Essen. Bei dem Klub, der mit den DFB-Stars Lena Oberdorf, Lea Schüller, Linda Dallmann, Elisa Senß und zahlreichen weiteren Spielerinnen als ein herausragender Ausbildungsverein bekannt ist, gab Wamser ihr Debüt in der Bundesliga. Als Stürmerin.
Nun muss sie sich bei der EM etwas mehr zügeln, das gelang ihr mit der zunehmenden Spieldauer immer besser. Gegen die starken Schwedinnen wird sie wohl noch mehr zurückgedrängt werden. Im Duell der beiden Teams (Samstag, 21 Uhr/ZDF und im ntv.de-Liveticker) geht es um den Gruppensieg - beide sind nach zwei Siegen in den ersten beiden Spielen bereits fix für das Viertelfinale qualifiziert. Die Richtung gibt die neue Vize-Kapitänin vor: "Wir wollen Gruppenerster werden" so Nüsken. Auch mit Wamsers Einsatz.
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