Die Frauen-EM in der Schweiz sollte ihr Turnier werden. Giulia Gwinn hatte vom Titel nahe der Heimat geträumt. Nun ist für die Vorzeigefußballerin die Mission bereits beendet.

Es gab vergangene Woche eine bezeichnende Szene, die viel über Giulia Gwinn verriet. Das Mannschaftsbild vor der schönen Kulisse im Sportzentrum Buchlern von Zürich war noch nicht angefertigt, da griff die Kapitänin der deutschen Fußballerinnen in die Haare von Sara Däbritz. Könne doch nicht sein, dass die Frisur der Mitspielerin nicht richtig sitze. Auf gepflegtes Äußeres muss geachtet werden – also hat die Anführerin selbst noch mal Hand angelegt. 

Sie kümmerte sich eben auch um die Details, damit bei dieser Europameisterschaft auch bei den Deutschen alles picobello aussieht, wo doch in Zürich viele Straßen, Plätze, Hotels oder Badeanstalten wie geleckt aussehen. Das war ihr Anspruch, mit dem die 26-Jährige in diese Europameisterschaft ging. Und noch zwei Tage vor dem Auftaktspiel gegen Polen (2:0) sollte sie sagen, wie zuversichtlich sie sei, dass es mit dem neunten EM-Titel für die DFB-Frauen endlich etwas werden könnte. 

Nun ist genau bei ihr die Mission zu Ende, ehe diese Endrunde richtig angefangen hat. Zwar ist das Kreuzband nicht kaputt, wie zuerst vermutet worden war, aber eine Innenbandverletzung bedeutet für sie das Turnieraus. Bei einem Rettungsversuch gegen Ewa Pajor blieb ihr linkes Knie im Rasen hängen. Mehr als acht Millionen Fernsehzuschauer in der ARD zitterten mit: Die Nummer sieben kehrte vor der Pause im Kybunpark von St. Gallen zwar kurz zurück, sackte dann aber endgültig auf dem Spielfeld zusammen. 

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Der nächste Rückschlag für Giulia Gwinn

"Ich habe gesehen, wie sie ein sicheres Tor verhindert hat", stellte Bundestrainer Christian Wück später heraus, der ansonsten am Freitagabend noch nicht über die Diagnose spekulieren wollte. Am Samstagnachmittag sagte Sportdirektorin Nia Künzer: "Giulia ist niedergeschlagen. Sie hatte sich sehr gefreut, hatte sich gut vorbereitet – dementsprechend ist sie jetzt enttäuscht." Auch wenn das MRT den schlimmsten Verdacht nicht bestätigte, werde eine der weltbesten Rechtsverteidigerinnen "mehrere Wochen" fehlen. Topfavorit ohne die Führungskraft sind die Deutschen gewiss nicht mehr. Künzer wollte aber betont haben: "In dieser Mannschaft herrscht ein guter Teamspirit. Sportlich hat die Mannschaft für Giulia eine Reaktion gezeigt."

Bereits in der Nacht zu Samstag hatte sich die 45-Jährige fast ehrenhaft um die Gwinn-Familie gekümmert, die ja allesamt die kurze Tour rund um den Bodensee genommen waren. Eltern, Geschwister, Freund. Und später blickten sie, in ihren weißen Gwinn-Trikots mit der Nummer sieben, fast paralysiert mit feuchten Augen vor dem Mannschaftsbus in ein schwarzes Loch. Es wird auch für die Vorzeigespielerin vom FC Bayern dauern, mit dem nächsten Rückschlag ihrer Karriere fertig zu werden.

Ihr Stern ging bei der WM 2019 in Frankreich auf, als sie im ersten Spiel gegen China (1:0) mal frech das Siegtor schoss. Damals war viel von der "schönen Giulia" die Rede, denn Alexandra Popp prägte damals den Spruch, die Newcomerin Gwinn sei "die Hübscheste". Das Etikett klebte erstmal an ihr. Dann der erste Rückschlag: In einem EM-Qualifikationsspiel gegen Irland im Herbst 2020 riss das Kreuzband im rechten Knie.

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Viele schwere Knieverletzungen bei DFB-Maßnahmen

Während eines Trainings mit der deutschen Nationalmannschaft ging im Herbst 2022 auch das Kreuzband im linken Knie kaputt. Die damalige Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg brach sofort die Einheit ab, weil viele Spielerinnen weinten. Die lange Leidenszeit hat sie in ihrem Buch "Write your own story – mein Weg vom Bolzplatz in die Weltspitze" beschrieben.

Sie erzählte in diesem Zusammenhang, wie sich die Galionsfigur des FC Bayern bei ihr meldete. "Ich lag im Krankenhaus nach meinem neuerlichen Kreuzbandriss, wachte gerade aus der OP auf. Da kam ein Anruf – anonym. Es war Uli Hoeneß, der mir sagen wollte, dass der ganze FC Bayern hinter mir steht und ich mich immer bei ihm melden kann. Er hätte das nicht machen müssen. Umso mehr hat es mir bedeutet."

Die Bayern sind allerdings "not amused", dass ihr Stareinkauf Lena Oberdorf bis heute kein Spiel bestritten hat, weil sie sich vor einem Jahr in einem EM-Qualifikationsspiel das Kreuzband gerissen hat. Hinter vorgehaltener Hand beklagen auch andere Vereine, dass so viele schwere Knieverletzungen bei DFB-Maßnahmen passieren. Gwinn ist der fünfte Fall innerhalb von zwei Jahren. Erst Carolin Simon kurz vor der WM 2023, dann Oberdorf vor den Olympischen Spielen, im Februar dieses Jahres die Nachwuchstorhüterin Sophia Winkler und die U23-Nationalspielerin Marie Müller. Nun Gwinn, die viel Last die letzten Wochen und Tage auf ihre Schultern geladen hatte.

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Mitspielerinnen müssen Bilder schnell aus den Köpfen kriegen

Markus Högner, als Trainer bei der SGS Essen der Wegbereiter vieler Karrieren und kurze Zeit auch Co-Trainer der Nationalmannschaft, vermutet seit längerem einen Zusammenhang zwischen dem mentalen Stress und den auftretenden Verletzungen. Seine Torhüterin Winkler verletzte sich auf dem DFB-Campus im Februar ganz schwer am Knie, als die gerade ihren Wechsel zu Eintracht Frankfurt verkündet hatte.

Auch Gwinn wird darüber nachdenken, warum immer wieder Träume wie jetzt in der Schweiz platzen. Gleich im ersten Kapitel richtet sich ihr Buch an "kleine und große Träumerinnen in dieser Welt." Es geht darum, "wie ich mit meiner Oma und meinem Bruder unseren großen Traum aufgeschrieben und in einer Zauberkugel versteckt habe. Das ist eine meiner Lieblingsstellen, weil ein Grundton gesetzt wird: Mit sechs Jahren hatte ich aufgeschrieben, dass ich Fußballerin werden will. 15 Jahre später ist mir das wieder in die Hände gefallen – und da hat sich gezeigt: Was man als kleines Kind träumt, kann Wirklichkeit werden." Aber harte Landungen gibt es immer noch.

Die Bilder aus St. Gallen müssen die Mitspielerinnen schnell aus den Köpfen kriegen. "Das war ein brutaler Schock, wir kennen alle ihre Vorgeschichte. Wir müssen nun als Mannschaft zusammenstehen", erklärte Abwehrchefin Janina Minge, die nun vermutlich für den Rest des Turniers als Spielführerin fungiert. Vereinskollegin Linda Dallmann versprach, dass das Team für Gwinn da sein werde, "weil sie auch für jede von uns da ist, wann immer sie kann".

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Gwinns Credo: Kommunikation auf Augenhöhe

Die Kapitänin hat diesmal bei der Quartierauswahl mitgeredet, um einen Reinfall wie mit einem Basecamp bei der WM 2023 in der australischen Einöde in Wyong zu vermeiden. Bei den Prämienverhandlungen musste sie gar nicht viel tun, weil der DFB von sich aus 120.000 Euro für den Titel anbot. Sie berührte es, wie die Spielerinnen in Zürich vom DFB-Teammanagement empfangen worden sind. Mit Bildern und Briefen: "So etwas sieht und liest man gerne."

Gwinn wollte das Team bei dieser EM anders führen als ihre Vorgängerin Popp. Ein bisschen sanfter, denn so viele Ecken und Kanten bietet sie nicht. Probleme wollte sie über das Zwischenmenschliche regeln: "Wenn etwas nicht läuft, dass man den Mut hat, Dinge anzusprechen; dass einem nicht der Kopf abgerissen wird: Wenn man drüber spricht, kann man viel aus der Welt schaffen." Ihr Credo: Kommunikation auf Augenhöhe. 

Sie ist die letzte, die Wünsche der Fans nicht erfüllen würde. "Man macht ein Bild oder gibt ein Autogramm – das ist eigentlich immer ein netter Austausch. Ich sehe das immer noch als große Wertschätzung. Ich glaube nicht, dass es so krass ist wie bei den Männern, die sich ja gar nicht mehr draußen bewegen können." Sie ist davon überzeugt, dass bei den Frauen der Spagat gelingen kann. Kürzlich sagte sie: "Ich bin jetzt Teil der großen Fußballwelt. Trotzdem will ich mir diese Leichtigkeit, dieses Wilde erhalten. Eine gute Mischung aus Disziplin, Fokus – und eben auch Unbekümmertheit." 

Sie hatte auch mit eingefädelt, dass Schlagerstar Wolfgang Petry im Trainingslager aufschlug. Zum Hit "Verlieben, verloren, vergessen, verzeih’n" kam sogar eine Turnierhymne heraus. Von "Engelsstimmen" hatte Gwinn am Mittwoch, einen Tag vor ihrem Geburtstag berichtet und gelacht. Am Tag danach bildeten die Mitspielerinnen beim Training einen Kreis, um für sie zu klatschen. Am Freitag rief Bundestrainer Wück seine Mannschaft nach dem Pflichtsieg nur wenige Sekunden wieder einen Kreis zusammen. Dann sollten alle schnell in die Kabine, um Giulia Gwinn zu trösten. Immerhin ist es nicht ganz so schlimm gekommen. Aber heftig für Deutschland bekannteste Fußballerin ist das Drama vom Bodensee allemal.

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