Im Streit zwischen Uli Hoeneß und Lothar Matthäus haben Bayern Münchens Vereinspräsident Herbert Hainer und Sportvorstand Max Eberl Position für ihren Ehrenpräsidenten bezogen. Ausgelöst worden ist der neue Disput zwischen beiden durch die vom deutschen Fußball-Rekordmeister geplante Verpflichtung des Stuttgarter Shooting Stars Nick Woltemade.

„Man kann ja eine Meinung haben, dafür leben wir in einem freien Land. Aber so von außen – ohne Interna zu kennen – diesen Preis wie auf einem Basar nach oben zu treiben, das gehört sich nicht“, sagte Eberl in Miami bei der Klub-WM zu Aussagen von Rekordnationalspieler Matthäus in der Causa Woltemade.

Eine Ablöse von 60 Millionen Euro für den vertraglich noch bis 2028 an den DFB-Pokalsieger gebundenen Angreifer halte er für zu wenig, hatte Matthäus der „Bild“ gesagt. „Wären 80 bis 100 Millionen genannt worden, hätte mich das nicht überrascht“, sagte der 64-Jährige. Jetzt spricht Matthäus im Interview über seinen Streit mit Hoeneß und die Transferpolitik der Bayern.

Frage: Herr Matthäus, am vergangenen Sonntag sorgte Uli Hoeneß mit einer Verbal-Attacke gegen Sie für Aufregung, er sagte im „Kicker“, Sie hätten „nicht mehr alle Tassen im Schrank“, weil Sie als Ablöse für Nick Woltemade „100 Millionen Euro“ in den Raum gestellt hätten. Wie haben Sie davon erfahren?

Lothar Matthäus: Ich habe diese Aussagen natürlich direkt gelesen. Verwundert haben sie mich nicht: Ich bin die Attacken von Uli Hoeneß seit 20, 25 Jahren gewohnt. Daher prallt das an mir ab. Zumal er offensichtlich nicht genau gelesen hat, was ich gesagt habe: Das waren nämlich 80 bis 100 Millionen Euro als Ablöse, nicht fixe 100 Millionen.

Frage: Zu dieser Zahl stehen Sie?

Matthäus: Natürlich. Denn wenn man den Markt analysiert und kennt, dann weiß man, was ein Spieler wie Woltemade wert ist. Er hat noch drei Jahre Vertrag beim VfB. Stuttgart ist durch gutes Wirtschaften in den vergangenen Jahren nicht auf Verkäufe angewiesen. Woltemade hat seinen Wert zuletzt immer wieder unter Beweis gestellt, sei es in der Nationalmannschaft, bei der U21-EM oder in Stuttgart, wo er Pokalsieger wurde. Zudem jagen ihn europäische Top-Klubs. Wenn man den Markt kennt, dann ist die Zahl 80 bis 100 Millionen Euro schlichtweg realistisch. Aber vielleicht lebt Uli Hoeneß hier zu sehr in seiner Welt, um das zu verstehen.

Frage: Schon bei der möglichen Ablöse von Florian Wirtz, die Sie auf 150 Millionen Euro bezifferten, kritisierte er Sie.

Matthäus: Und am Ende kostet das Gesamtpaket rund 250 Millionen Euro, wie ich vor Monaten prognostiziert hatte. Uli Hoeneß fehlt hier vielleicht der Realitätssinn: Er verlangt einerseits für eigene Spieler sehr hohe Summen – bei Jamal Musiala soll sich eine mögliche Ausstiegsklausel bei rund 180 Millionen bewegen –, sieht aber auf der anderen Seite nicht ein, dass Spieler von anderen Klubs auch ihren Preis haben. Er lebt da in seiner eigenen Welt.

Frage: Sollte Bayern denn Woltemade holen?

Matthäus: Ich weiß nicht, ob man ihn sofort holen sollte. Es steht fest, dass er ein super Spieler ist. Aber ich frage mich schon wieder, warum Bayern seine Qualitäten nicht schon früher – wie der VfB Stuttgart – erkannt hat. Seine Stärken waren ja sichtbar. Bayern sollte sich auf jeden Fall seine Dienste für die Zukunft sichern! Eine Option wäre, dass er noch ein Jahr in Stuttgart bleibt, dann nach der WM 2026 zu den Bayern kommt. Die Bayern sollten Woltemade jetzt schon klarmachen. Aber sicher ist: Er wäre kein Kane-Ersatz, er ist eher auf der Position von Thomas Müller – hinter der echten Spitze – gut aufgehoben.

Frage: Wie könnte Bayern mit Woltemade agieren?

Matthäus: Ich mache mir Gedanken: Wo soll Woltemade spielen? In das System, das Kompany ein Jahr lang gewählt hat, passt er nicht rein. Außer Jamal Musiala weicht etwas nach links – dann bräuchte man keinen Linksaußen mehr. Es wäre dann ein System wie mit Thomas Müller vor zwei Jahren, es ist aber kein klares 4-2-3-1 mehr. Das Bayern-System verändert sich! Es ist ein bisschen, wie wenn Florian Wirtz gekommen wäre. Musiala und Woltemade sind zentrale Spieler. Die Statik wird sich mit Woltemade ändern. Ich denke, dass er keine Ergänzung wäre, sondern bei seinen Leistungen und der Summe, die im Gespräch ist, erst einmal gesetzt wäre.

Frage: Also sehen Sie auch durch einen möglichen Wechsel das WM-Ticket nicht gefährdet?

Matthäus: Veränderungen sind ein Schritt nach vorne. Der Konkurrenzkampf bei Bayern ist hart. Es kommen im Laufe der Karriere Kurven in die andere Richtung. Seine erste Saison war ein Märchen, ich freue mich für ihn. Er ist von der Position her und mit seiner Art einer, der Thomas Müller ablösen könnte – auch wenn er dafür ein paar Jahre brauchen wird. Aber Nick Woltemade hat das Potenzial, auf und außerhalb des Platzes Müller zu ersetzen. Er ist in der Nationalmannschaft gut angekommen, ein Leader der U21, eine Stimmungskanone mit guten Sprüchen für uns Journalisten. Einfach ein guter Typ.

Frage: Der FC Bayern kämpft aktuell um den Titel bei der Klub-WM in den USA. Rund um den Verein gibt es einige Baustellen. Lassen Sie uns zunächst die sportlichen Fragen behandeln. Ist der Kader qualitativ in der Spitze und der Breite gut genug besetzt, um in der neuen Saison die Champions League gewinnen zu können?

Matthäus: Nein, das ist er noch nicht. Aber es wird sich hoffentlich noch etwas tun. Die Spieler, welche den Verein nun verlassen haben, müssen mit hoher Qualität ersetzt werden. Ich denke vor allem an Thomas Müller und Leroy Sané, die wichtig waren. Aber auch mir fehlt im Kader der Bayern etwas. Deswegen ist Max Eberl ja auch zwischenzeitlich zurück nach München gereist: Weil er weiß, dass sich noch einiges tun muss.

Frage: Was sind aus Ihrer Sicht die größten Transfer-Baustellen?

Matthäus: Rechts hinten fehlt mir ein gelernter Verteidiger, ein optimaler Spieler für diese Position. Konrad Laimer macht es gut, er ist ein Spitzenspieler mit super Mentalität. Aber Laimer ist dort kein Spezialist wie inzwischen Alphonso Davies als Linksverteidiger. Zudem braucht es auf der offensiven linken Flügelposition eine Verstärkung, die der Verein ja nun anscheinend mit großer Vehemenz sucht. Eine zweite Nummer 9 hinter Harry Kane zu finden ist schwierig, teuer und deswegen für mich unmöglich. Aber wenn man Serge Gnabry gut auf diese Rolle vorbereitet, traue ich ihm zu, dass er sie ausfüllen kann, falls Kane ausfällt beziehungsweise einmal eine Pause braucht.

Frage: Was muss der FC Bayern machen, damit die Mannschaft wieder realistisch um den Sieg in der Champions League mitspielen kann?

Matthäus: Sie müssen sich weniger Fehler in den entscheidenden Spielen erlauben, siehe die Standard-Situationen gegen Inter Mailand. Sie brauchen das Glück, in den wichtigsten Spielen die Top-Spieler fit und gesund auf dem Platz zu haben. Das war gegen Inter Mailand eben nicht der Fall. Neben den angesprochenen benötigten Verstärkungen sollten einige Spieler verkauft werden, um die Bayern-Kasse wieder aufzufüllen: Wenn zum Beispiel ein Palhinha bei der Klub-WM schon kaum zum Einsatz kommt, dann ist er mehr oder weniger überflüssig und deswegen auch ein Verkaufskandidat. Mir fehlt auf manchen Positionen das entscheidende Etwas. Es braucht noch mehr Qualität, Spezialisten und Mentalität. Denn auf diesem Niveau reden wir über Nuancen. Wenn dort Coman oder Gnabry auflaufen sollten, dann muss man sie auch stärken und ihnen das Vertrauen aussprechen.

Frage: Hat Trainer Vincent Kompany nun sein Lehrjahr hinter sich und muss zeigen, dass er auch international ein Top-Coach ist?

Matthäus: Ich glaube, dass er sich weiterentwickeln wird und muss. Mit Kompany kamen wieder Zusammenhalt und Menschlichkeit zum FC Bayern, die hat unter seinen Vorgängern gelitten. Er hat das Team vereint. Das Fehlen von entscheidenden Spielern gegen Inter kann man Kompany ja nicht vorwerfen. Ich bin überzeugt, dass er es auch international kann. Aber die Ausrede, dass durch die Klub-WM die Vorbereitung zu kurz sei, lasse ich nicht zählen. Das Problem haben andere Top-Teams auch. Es gibt auch Punkte, die Kompany verbessern muss.

Frage: Welche sind das?

Matthäus: Die Jugendarbeit kommt beim FC Bayern zu kurz, weil bei den Profis kaum Talente eingesetzt oder nicht erkannt werden, so wie Angelo Stiller oder Kenan Yildiz. Selbst bei Spielen im Saisonendspurt, die schon entschieden waren, gab er den Youngstern wenige Minuten. Oder nun bei der Klub-WM. Wenn Kompany das selbst nicht ändern will, muss er von Max Eberl und Christoph Freund klare Ansagen bekommen und das geregelt werden. Und: Ich sehe auch auf der Torwart-Position Probleme auf den FC Bayern zukommen.

Frage: Inwiefern?

Matthäus: Dass Manuel Neuer bei der Klub-WM kein Spiel abgeben wollte und auch gegen Benfica Lissabon im Tor stand, sollte den Verantwortlichen schon mal zu denken geben. Klappt die Absprache wirklich, dass Jonas Urbig genug Spiele bekommt? Es sieht so aus, dass das gleiche Szenario wie bei Alexander Nübel droht. Da wollte Neuer ja auch nichts abgeben. Das ist nun die klare Aufgabe von den sportlich Verantwortlichen: Sie müssen das regeln und in den Griff bekommen.

Frage: Sie sprechen Max Eberl an: Der stand zuletzt in der Kritik, reiste ab, um seine Transfer-Bemühungen voranzutreiben. Was denken Sie: Ist Eberl heute in einem Jahr noch Sportvorstand beim FC Bayern?

Matthäus: Das hängt auch von den Transfers in diesem Sommer und den Ergebnissen ab. Die Sicherheit, dass er dann noch bei Bayern ist, hat er nicht. Man darf ihn nicht für alles verantwortlich machen. Aber es gibt Dinge, die nicht gut liefen: die Trainersuche im vergangenen Jahr, auch wenn Max Eberl am Ende ein gutes und glückliches Händchen hatte. Der Wirtz-Deal hat nicht geklappt. Dazu der Umgang mit verschiedenen Themen in der Öffentlichkeit: Die Außendarstellung bei Thomas Müller, bei Leroy Sané oder die Reise von einigen Spielern nach Ibiza waren nicht Bayern-like. Den Transfer von Michael Olise darf er in der Umsetzung für sich verbuchen. Aber er ist jetzt – wie auch ein Trainer – von Ergebnissen abhängig und muss liefern. Beim FC Bayern hat keiner eine Garantie.

Frage: Welche Gesamtnote geben Sie ihm bislang für seine Arbeit beim FC Bayern?

Matthäus: Eine Note 4. Es gab zu viele Ungereimtheiten. Und in seiner Außendarstellung ist mir Max Eberl oft zu süffisant, er versucht, Dinge wegzulächeln und attackiert sein Gegenüber. Eberl muss einfach souveräner werden!

Frage: Ist es überhaupt möglich, souverän als Sportchef beim FC Bayern zu arbeiten, wenn im Hintergrund mächtige Männer wie Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge großen Einfluss haben?

Matthäus: Das ist es ganz sicher! Christoph Freund arbeitet doch auch seriös und ruhig im Hintergrund. Genauso bekommt es Vincent Kompany hin, er bleibt immer gelassen und antwortet so, dass es keine Angriffsfläche gibt, geht auch mit Kritik gut um. Eberl macht zu viele Dinge, die meist wie ein Bumerang zurückkommen. Er muss sich in seiner Position Nachfragen gefallen lassen und kann nicht als Reaktion die Fragesteller attackieren.

Frage: Was hören Sie über das Verhältnis der Bosse zu Eberl?

Matthäus: Ich glaube, dass die Verantwortlichen so ähnlich denken wie ich. Eberl sollte souveräner, klarer, respektvoller auftreten. Keiner will ihm etwas Böses.

Frage: Entscheidet die Transfer-Phase über seine Zukunft?

Matthäus: Es wird extrem wichtig für den FC Bayern, aber auch für Eberl, geeignete Spieler zu finden. Es geht nicht nur um Qualität, sondern darum, dass Spieler kommen, die die Bayern-DNA verinnerlicht haben und vorleben. So wie es Arjen Robben und Franck Ribéry in Perfektion gemacht haben. Max Eberl braucht nun ein sehr gutes Händchen. Ich hätte Leroy Sané behalten, er hat unter Kompany seine beste Saison gespielt. Er war für die Kabine ein Gewinn, und gerade für die Gruppe um Jamal Musiala, Alphonso Davies und Michael Olise sehr wichtig. Daher hätte ich mehr um ihn gekämpft. Aber man wollte ein Exempel statuieren und hart bleiben. Mit den Konsequenzen muss man jetzt leben.

Frage: Müller muss der FC Bayern nicht nur als Spieler, sondern auch als Typen ersetzen, wer kann dieses Vakuum in der Kabine ausfüllen?

Matthäus: Ich sehe keinen, sowohl sportlich als auch als Typ. Er ist einzigartig und wird den Bayern fehlen. Aber trotzdem kann ich die Entscheidung nachvollziehen.

Frage: Wie heißt für Sie das Innenverteidiger-Duo für die kommende Saison?

Matthäus: Upamecano und Tah. Upa war in der vergangenen Saison der stabilste Innenverteidiger bei Bayern. Mit Tah hat man einen Spieler bekommen, der Verantwortung übernehmen muss. Wobei ich auch betone: Er hat in Leverkusen Dreierkette gespielt, dort viel mehr überzeugt als in den Spielen bei der Nationalmannschaft, die wie die Bayern mit der Viererkette agiert.

Frage: Zum Abschluss noch einmal zurück zu Hoeneß: Würden Sie sich mit ihm an einen Tisch setzen?

Matthäus: Sich mit Uli Hoeneß an einen Tisch zu setzen, macht keinen Sinn mehr. So wie ich sein Lebenswerk respektiere, kann er das umgekehrt anscheinend nicht.

Das Interview wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, „Bild“, „Sport Bild“) erstellt und zuerst in der „Bild“ veröffentlicht.

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