Der FC Bayern steht vor einer der größten Herausforderungen der vergangenen Jahre. Der Klub muss manches ändern, um nicht den Anschluss an die europäische Spitze zu verlieren. In einem Bereich, der maßgeblich für die Entwicklung und den Erfolg des deutschen Fußball-Rekordmeisters ist: in der Transfer- und Personalpolitik.
Intern ist von einem „change of system“ die Rede. Die gesamte Entwicklung des europäischen Spitzenfußballs hat zu dieser Notwendigkeit geführt, aber auch hausgemachte Fehler. Im Fokus dieser großen Herausforderung steht Sportvorstand Max Eberl. Es geht um kurzfristige Erfolge. Und um viel mehr: die Zukunft des Vereins, die Leitplanken einer mittel- und langfristig dringend benötigten Strategie.
Wie ernst die Lage ist, hat gerade das Duo verdeutlicht, welches den FC Bayern groß gemacht hat: Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge. Im Abstand von wenigen Wochen schlugen die beiden Granden des Klubs in WELT AM SONNTAG Alarm. Hoeneß mahnte im Interview, vom berüchtigten Festgeldkonto des Klubs sei nicht mehr viel da. Rummenigge wies jüngst darauf hin, dass die Gehälter das große Problem im Fußball seien. Und viele dieses Problem noch gar nicht richtig erkannt hätten. Tatsächlich waren die Münchner bei den Gehältern ihrer Spieler zuletzt oft viel zu großzügig. Der Meister ist von dem Problem sehr betroffen.
Beim FC Bayern dreht sich viel um Gehälter. In den vergangenen Jahren hat der Klub in den Verhandlungen mit manchen Profis zu große Zugeständnisse gemacht. Spieler wie Serge Gnabry, der bis zu 18 Millionen Euro pro Jahr verdienen soll, haben zu lukrative Verträge erhalten. Das Gleiche galt für Leroy Sané, über den die dpa gerade treffend schrieb: „Fünf Bayern-Jahre und kein Robben-Moment.“
Geht es in der Kabine nur noch ums Gehalt?
Leistung und Gehalt stehen längst nicht bei jedem Bayern-Spieler in einem vernünftigen Verhältnis. Rummenigge warnt davor, in der Kabine könne Neid aufkommen, sich zu viel um das Thema Gehalt drehen. Verantwortlich für einige Vertragsverlängerungen war die Klubführung um Vorstandschef Oliver Kahn und Sportvorstand Hasan Salihamidžić, von der sich der Klub vor zwei Jahren trennte. Die Folgen aus dieser Zeit sind weitreichend.
Das Dilemma der Bayern in Zahlen: Der Klub machte zuletzt einen Umsatz von rund einer Milliarde Euro. Seine Gehaltskosten sind gestiegen. Pro Jahr gibt er rund 430 Millionen Euro für Personal aus (der Klub hat über tausend Mitarbeiter). Lediglich fünf Klubs in Europa haben noch höhere Gehaltsausgaben. Der Kader der Bayern ist über 900 Millionen Euro wert.
Dennoch haben die Münchner seit fünf Jahren nicht mehr das Finale der Champions League erreicht, schafften es in diesem Zeitraum lediglich einmal in das Halbfinale der Königsklasse. Das hat finanzielle Folgen: Eine Teilnahme am Finale bringt bis zu 40 Millionen Euro. Diese Einnahmen fehlen.
Einzig die Teilnahme an der umstrittenen, finanziell aber äußerst lukrativen Klub-WM in den USA bewahrte den Klub in diesem Jahr vor höheren Verlusten. Das 4:2 gegen Flamengo im Achtelfinale brachte den Bayern weitere 13,25 Millionen Euro, schon jetzt haben die Münchner durch das Turnier 50 Millionen Euro eingenommen. Der FC Bayern hat 25 Jahre lang immer Gewinne gemacht. „Wir dürfen nicht dahin abdriften, dass er permanent große Verluste macht“, warnt Ehrenpräsident Hoeneß.
Offensive und Defensive brauchen Verstärkung
Er und Aufsichtsrat Rummenigge machen klar: Der FC Bayern muss sparen. Gleichzeitig benötigt der Kader aber dringend frisches Personal. Nach dem Ende von Klubikone Thomas Müller als Bayern-Spieler und Sanés (ablösefreiem) Wechsel zu Galatasaray Istanbul braucht es Offensivkräfte. Und auch die Defensive kann Verstärkung gebrauchen.
Was ist die Lösung? Was konkret müssen die Bayern anders machen?
Die sportliche Führung um Eberl leidet quasi unter „Altlasten“. Unter Salihamidzic wurden so große Verträge gemacht, dass es schwierig ist, dieses Rad zurückzudrehen. Doch die Bayern müssen es. Im Klub sehen sie Paris St. Germain als Vorbild. Der französische Klub reduzierte sein Gehaltsvolumen zuletzt deutlich, gab Superstars ab – und gewann die Champions League. PSG gibt immer noch viel Geld aus, aber deutlich weniger als vor Jahren, auch wegen der verschärften Regeln der Uefa.
Gleichzeitig sollen sich die Einnahmen bei den Bayern erhöhen. Das geht vor allem mit sportlichen Erfolgen. Weniger Geld ausgeben, mehr Titel holen – eine schwierige Mission für Eberl. Von ihm wird sehr viel erwartet.
Auch Eberl und Freund verlängerten zuletzt für viel Geld Verträge, mit Joshua Kimmich, Alphonso Davies und Jamal Musiala. Doch im Klub ist man sich einig: Bei diesen Schlüsselspielern waren die Verlängerungen zwar kostspielig, die Summen aber berechtigt.
Eberl und Freund haben sich ein klares Konzept überlegt, das den Aufsichtsrat überzeugt hat. 14 bis 16 Spieler sollen auf, wie es aus dem Gremium heißt, „sehr anständigem Niveau“ verdienen. Vier bis sechs Spieler auf einem niedrigeren. Der restliche Kader soll aus Spielern bestehen, die am FC-Bayern-Campus ausgebildet wurden, im Nachwuchsleistungszentrum.
Dieser Weg ist der richtige für den FC Bayern. Dieses Konzept ist notwendig und konsequent. Nun muss es effektiv und mit voller Überzeugung umgesetzt werden. Aleksandar Pavlović ist ein Beispiel, wie es funktionieren kann. Er schaffte es aus dem Nachwuchs in die Nationalmannschaft und zur wichtigen Kraft beim FC Bayern. In Lennart Karl stieß zuletzt erneut ein vielversprechendes Talent zum Profikader. In den vergangenen Jahren schafften es aber zu wenig Campus-Spieler in die Profi-Elf.
Campus-Quote muss endlich gesteigert werden
Die Klubbosse verfolgen genau, wie viele junge Spieler der ehemalige FCB-Trainer Hansi Flick beim FC Barcelona einsetzt. Die Campus-Quote bei den Bayern muss endlich gesteigert werden. Seit Jahren reden und hoffen sie im Klub, doch bislang kommt zu wenig. Von Trainer Vicent Kompany erfordert es Mut und Geduld, die jungen Spieler einzubauen und auch nach Rückschlägen an ihnen festzuhalten. Es könnte sich aber enorm auszahlen.
Die Achse der Bayern für die neue Saison ist klar: Torwart Manuel Neuer, Innenverteidiger Dayot Upamecano, Führungsspieler Joshua Kimmich, Spielgestalter Jamal Musiala, Außenstürmer Michael Olise, Stürmer Harry Kane.
Für den damals 22-jährigen Olise zahlten die Bayern vor einem Jahr rund 53 Millionen Euro Ablöse an Crystal Palace. Es war bislang der beste Einkauf Eberls. Ihm gelang auch der ablösefreie Transfer von National-Verteidiger Jonathan Tah von Bayer Leverkusen, zudem verpflichteten die Bayern zuletzt Tom Bischof von der TSG Hoffenheim. Sinnvolle Zugänge – doch noch reicht das nicht, damit das Aufgebot der Bayern besser ist als vergangene Saison.
Bryan Zaragoza wohl zu Celta Vigo
In diesem Sommer müssen die Münchner noch Spieler verkaufen. Es heißt, Eberl habe den Auftrag, mindestens 70 Millionen Euro zu erwirtschaften. Tottenham Hotspur zahlt für Mathys Tel 35 Millionen, von denen die Bayern dem Vernehmen nach 25 Prozent an dessen Ausbildungsverein Stade Rennes abgeben müssen. Bryan Zaragoza, der bei Bayern nie eine Rolle spielte, wechselt wohl zu Celta Vigo.
Joao Palhinha ist bislang ein Flop. Für ihn zahlten die Bayern rund 51 Millionen Euro an den FC Fulham. Auch Innenverteidiger Minjae Kim könnte den Klub nach zwei Jahren bei einem entsprechenden Angebot wieder verlassen. Für den oft kritisierten Außenverteidiger Sacha Boey zahlten die Bayern Anfang 2024 heute kaum fassbare 30 Millionen Euro. Er ist ein Verkaufskandidat genau wie Leon Goretzka, Kingsley Coman und Gnabry. Coman und Gnabry überzeugten zuletzt zu selten konstant auf der Außenposition. Ein neuer Außenstürmer würde den Bayern guttun.
Beim Rekordmeister spüren sie, wie viel sich in den vergangenen Jahren verändert hat. Früher sagten kaum Spieler Nein, wenn die Münchner interessiert waren. Heute ziehen sie mitunter andere Klubs vor. Das zeigte zuletzt das Beispiel Florian Wirtz, der sich für den FC Liverpool entschied. Spaniens Jungstar Nico Williams von Athletic Bilbao bekommen sie wohl auch nicht. Und bei dem Engländer Jamie Gittens kam Eberl offenbar zu spät, er wechselt von Borussia Dortmund wohl zum FC Chelsea.
Harry Kane wird bald 32 Jahre
Dafür soll jetzt Nick Woltemade kommen. Es heißt, Spieler und Klub seien sich einig. Der VfB Stuttgart soll bis zu 100 Millionen Euro für den Stürmer fordern. Das wäre deutlich zu viel für Woltemade. Er hat zwar mit 23 Jahren noch viel Entwicklungspotenzial und ist derzeit der beste deutsche Stürmer. Doch er hat noch nie in der Champions League gespielt und ist erst seit knapp einem Jahr in der Bundesliga eine wichtige Kraft.
Woltemade könnte kurzfristig hinter Kane spielen und ihn mittel- und langfristig ersetzen. Kanes Vertrag gilt bis 30. Juni 2027, der Superstar wird Ende Juli 32 Jahre. Und will vor Ende seiner Karriere wohl noch mal in der Premier League spielen. Woltemade wäre ein sinnvoller Transfer, sofern er nicht mehr als 60 Millionen Euro kostet.
Der Systemwandel beim FC Bayern muss für die Zukunft des Klubs bedeuten: ein Gerüst aus erfahrenen Profis, dazu idealerweise Spieler zwischen 18 und Anfang 20, die den Profifußball kennen, aber noch keine teuren Stars sind. Diese müssen Eberl und sein Team früh entdecken und verpflichten. Und mit Kompany immer wieder Talente vom Campus fördern und fordern. Nur wenn das gelingt, kann der FC Bayern wieder die absolute Spitze des europäischen Fußballs erreichen.
Julien Wolff ist Sportredakteur. Er berichtet für WELT seit vielen Jahren aus München über den FC Bayern und die Nationalmannschaft sowie über weitere Fußball- und Fitness-Themen.
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