Der SC Magdeburg kassiert in der abgelaufenen Saison zahlreiche Nackenschläge, der Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt mit Toten und Hunderten Verletzten ist ein dramatischer Tiefpunkt. Am Ende aber steht das Team ganz oben.

Ganz am Ende bekam der Magdeburger Triumph, der Magdeburger Geist das passende Gesicht: Gisli Kristjansson durfte nach dem Sieg des SC Magdeburg im Champions-League-Finale die Trophäe für den besten Spieler des Finalturniers in die Luft recken. Der Isländer hatte gerade im rein deutschen Endspiel sein Team gegen die Füchse Berlin zum Sieg geführt, war selbst mit acht Treffern der gefährlichste Schütze im letzten Spiel einer ewigen Saison. Einer Saison, in der sich der Mannschaft auf dem Weg zum Erfolg wirklich alles in den Weg warf, was man sich vorstellen kann - und auch eine Tragödie, die den Rahmen des Vorstellbaren sprengt. Und dann stand eben ganz am Ende Gisli Kristjansson im Scheinwerferlicht, mit der Trophäe im rechten Arm und der linken Schulter schwer lädiert.

32:26 (16:12) schlug der erst am vergangenen Wochenende nach einer dramatischen Titelhatz entthronte Meister seinen Nachfolger aus Berlin. Es war ein Triumph der Resilienz: Dass Kristjanson mitmischen konnte, war ein kleines medizinisches Wunder, wahrscheinlich pure Unvernunft, sicher aber großer Kampfgeist: Der Isländer war vor zwei Wochen im Spiel gegen die SG Flensburg-Handewitt aus großer Höhe auf die schon mehrfach schwer lädierte Schulter gekracht und musste unter Tränen vom Feld.

"Tut weh, aber scheißegal"

Zum Finalturnier kehrte er zurück. "Heute Morgen, als ich aufgestanden bin, war es schon hart. Die ersten Schritte heute Morgen und das erste Gefühl mit der Schulter", sagte Kristjansson "Bild". Klar, auch nach dem Spiel "tut es weh, aber scheißegal." Kristjanssons hart erkämpftes, hart erlittenes Comeback nach der sechsten schweren Schulterverletzung seiner Karriere steht als Sinnbild am Ende dieses Spieljahres.

"Natürlich war die Saison sehr speziell. Was diese Mannschaft über die gesamte Saison für Widerstandsfähigkeit gezeigt hat: Das ist für uns natürlich ein vergoldeter Abschluss und auch, das muss man schon so sagen, Balsam auf unseren Seelen", sagte der völlig erschöpfte Magdeburger Trainer Bennet Wiegert hinterher. "Wir haben im Super-Globe-Finale in der Verlängerung gegen Veszprem verloren. Wir haben im Supercup-Finale gegen Berlin verloren. Wir haben das Finale um die Deutsche Meisterschaft mit einem Punkt gegen Berlin verloren. Das hätte schon eine harte Saison sein können", blickt Wiegert zurück auf ein Jahr mit endlosen Herausforderungen.

Was Wiegert auslässt in seiner Aufzählung - und das ehrt in über die Maßen - ist die schreckliche Tragödie, die das Land am 20. Dezember vergangenen Jahres erschütterte: Ein Mann pflügte mit einem Pkw über den Magdeburger Weihnachtsmarkt, sechs Menschen starben bei der Amokfahrt, Hunderte wurden teils schwer verletzt. Als Folge des Anschlags wurden die Heimspiele gegen den HC Erlangen und ThSV Eisenach verlegt.

"Es ist aus unserer Sicht nicht der Zeitpunkt, bereits wieder stimmungsvolle Großveranstaltungen so unmittelbar nach dem verheerenden Terroranschlag in Magdeburg durchzuführen", erklärte SCM-Geschäftsführer Marc-Henrik Schmedt damals: "In einer Stadt mit rund 240.000 Einwohnern hat wahrscheinlich jeder direkten oder indirekten Kontakt zu Opfern, Verletzten oder Einsatzkräften." Der SC Magdeburg sei sich "seiner Rolle als identitätsstiftender Leuchtturm bewusst", sagte Schmedt. Magdeburg brauche aber "Zeit und Ruhe, um die schrecklichen Ereignisse zu verarbeiten".

"Nur geschrien und geweint"

Auch die Mannschaft schüttelte die Wahnsinnstat nicht einfach ab: "Die Saison war hart und, ehrlich gesagt, auch mental anstrengend. Der Anschlag auf Magdeburg bleibt irgendwo natürlich auch hängen. Das war auch eine Sache, an der man zu knabbern hatte", sagte Nationalspieler Lukas Mertens der "Sportschau". Abwehrspieler Antonio Serradilla, der nun im Endspiel von Köln eine zweifelhafte Rote Karte sah, sei nur wenige Meter vom Auto des Attentäters entfernt gewesen, berichtete Wiegert. Als er mit dem Spanier telefonierte, habe der "nur geschrien und geweint". Der Erfolgstrainer selbst war tiefbewegt: "Ich bin in dieser Stadt geboren, es ist meine Heimatstadt. Ich bezweifle, dass man da jemals drüber wegkommt."

Die Spiele wurden schließlich im neuen Jahr nachgeholt, der ohnehin gesundheitsgefährdende Kalender der Bundesliga-Topteams wurde dadurch im Endspurt für Magdeburg in noch engerer Taktung durchgezogen. Der Triumphzug von Köln war das 61. Pflichtspiel des SC Magdeburg in dieser Saison. Tribut hatten sie den Belastungen da längst gezollt: Abwehrkante Oscar Bergendahl und Weltklasse-Rückraumspieler Omar Ingi Magnusson verletzten sich im Dezember am Sprunggelenk, Neuzugang Manuel Zehnder zerfetzte es kurz vor der WM im Januar das Kreuzband, auch Kapitän Christian O'Sullivan musste nach dem Turnier am Knie operiert werden und fiel aus. Im April schließlich riss sich der emotionale Anführer Matthias Musche die Achillessehne. Linksaußen Tim Hornke und der schwedische Spielmacher Felix Claar waren schon verletzt von den Olympischen Spielen im Sommer an die Börde zurückgekehrt. Und dann fiel auch noch Gisli Kristjansson aus. Um triumphal zurückzukehren.

"Wir haben unser Ding gemacht"

Es war ein kleines sportliches Wunder, dass sie diesen Höllenritt durch Liga und Champions League im neuen überstanden: Monatelang trieben sie die Füchse Berlin nach der Pleite im Bundesliga-Rückspiel vor sich her, bis zur letzten Sekunde. Es ist eine große Geschichte dieser Saison, dass sich die Topteams bis zum Schluss in einen Titelthriller steigerten. Vorzuwerfen hatte sich Magdeburg nichts. In der Champions League sorgte man schlicht für Staunen und Kopfschütteln, längst hatte man sich vom Boden des Rationalen entfernt: Das Viertelfinal-Rückspiel beim ungarischen Topklub Veszprem wurde mit dem letzten Wurf entschieden - 28:27 nach 26:26 im Hinspiel -im Kölner Halbfinale beendete das Team mit der Schlusssirene mit dem 31:30 die Träume des FC Barcelona von der Titelverteidigung.

Das Finale war dann angesichts all der Widrigkeiten beinahe ein Selbstläufer. "Was heute besonders war: unsere Ausstrahlung, unsere Energie. Ich hatte von meiner Seite das Gefühl: Wir sind ready. Das war schon ein geiles Gefühl, wenn man so was merkt", sagte Kristjansson nach dem Final-Spektakel, in dem man dem Deutschen Meister und Welthandballer Mathias Gidsel nie eine wirkliche Chance gelassen hatte, der "Bild". "Wir haben das einfach konsequent von der ersten bis zur letzten Minute gemacht. Einfach geil." Es war das große, das triumphale Ende einer Saison, die so niemand mehr erleben möchte. "Jetzt können wir wirklich durchatmen, zur Ruhe kommen und sagen: Wir haben unser Ding gemacht", sagte Bennet Wiegert zum Abschluss.

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