Der Wechsel Leroy Sanés vom FC Bayern zu Galatasaray Istanbul hat einen Gewinner hervorgebracht: Max Eberl. Der Sportvorstand des deutschen Fußball-Rekordmeisters hat sich nicht zu einem neuen, teuren Vertrag für den umstrittenen Nationalspieler drängen lassen. Er ist in den Verhandlungen hart geblieben. Und hat damit sein Standing im Verein und außerhalb gestärkt. Nach Sanés kurzfristigem Beraterwechsel hätten die Bayern bei einem deutlich verbesserten Angebot ihr Gesicht verloren. Das hat Eberl vermieden.
Wenngleich Sané ablösefrei geht und die Bayern vor einigen Wochen noch zuversichtlich waren, dass Sané bleibt: Den Außenstürmer abzugeben, ist logisch und richtig. Sané hat das Potenzial zum Weltklassespieler. Seine Technik und sein Tempo sind enorm, seine Statistiken bei den Bayern machen Eindruck – 220 Pflichtspiele, 61 Tore, 55 Vorlagen. In der Bundesliga spielte er trotz Verletzungsproblemen vor der Saison die statistisch beste Spielzeit seines bisherigen Lebens, erzielte elf Toren und gab sechs Vorlagen.
Doch Sané war längst nicht so flexibel und effizient wie der vor der Saison verpflichtete Michael Olise. Er rief sein Potenzial in seinen fünf Jahren bei den Bayern zu selten konstant ab, war in den großen Spielen nicht oft genug der „Unterschiedsspieler“. Seine Glanzmomente hatte er oft eher gegen die TSG Hoffenheim oder den VfL Bochum statt gegen den FC Barcelona oder Inter Mailand.
Sané hatte seit seinem Wechsel für 50 Millionen Euro von Manchester City 2020 vier Trainer in München (Hansi Flick, Julian Nagelsmann, Thomas Tuchel, Vincent Kompany) – unter keinem erfüllte er konstant die zweifellos hohen Erwartungen, gerade in der Champions League. Und verdiente sehr viel Geld beim Meister – von deutlich über 15 Millionen Euro pro Jahr ist in München die Rede.
Die Bayern sparen jetzt also viel Geld – das sie für neue Kräfte einsetzen können. Ihr Kader braucht dringend Veränderung. Ein junger Außenstürmer kann sehr belebend für die Mannschaft sein. Nico Williams von Athletic Bilbao wäre wohl die Königslösung. Es gibt weitere Kandidaten, die Bayern werden auch jeden Fall einen Spieler für diese Position holen.
Und Sané? Finanziell lohnt sich der Wechsel für ihn. In Istanbul wird er mindestens zwölf Millionen Euro netto plus Boni erhalten, sein neuer Klub veröffentlichte Ende dieser Woche sein Gehalt.
Doch sportlich ist Sanés Entscheidung gewagt. Ein Jahr vor der WM in den USA, Kanada und Mexiko verlässt er die Bundesliga. Und wechselt nicht in eine der anderen europäischen Topligen wie die Premier League, die spanische, italienische oder französische Liga. Sondern in die Süper Lig.
Mit 29 Jahren ist er in einem guten Fußballer-Alter. Mit den Bayern hätte er in den kommenden Jahren wohl um die Champions League spielen können, die Zukunft des Klubs hätte er aber nicht sein können. Nun der Wechsel in eine Liga, die als Station für alternde Stars gilt, die über ihren Zenit hinaus sind. In der Fünfjahreswertung der Uefa belegt Sanés neuer Klub Galatasaray lediglich Platz 58. Sportvorstand Eberl betonte, Sané könnte in Istanbul „sehr, sehr viel Geld verdienen. Das hätte er bei uns nicht gekonnt.“
Sané riskiert mit dem Wechsel, seinen Platz in der Nationalmannschaft zu verlieren. Die Fans in Istanbul feierten ihn bei seiner Ankunft euphorisch, sie empfingen ihn wie einen Popstar. Im Hinblick auf Wertschätzung und Anerkennung hat Sané sich nach oben gewechselt. Sportlich sehen viele seinen Wechsel als Abstieg.
Für Galatasaray ist Sané ein Gewinn. Doch ob Bundestrainer Julian Nagelsmann sehr oft in die Türkei reisen wird, um ihn zu beobachten, erscheint fraglich. Sané hat 70 Länderspiele (14 Tore) absolviert, es könnte die letzte WM sein, bei der spielen kann.
Nationalspieler spielen alle in Europas Topligen
Bei dem Bundestrainer steht zwar das Leistungsprinzip im Vordergrund, er und sein Trainerteam wollen Spielern faire Chancen geben und können Sanés Leistungen in der Türkei auch von Deutschland verfolgen. Sané kann es mit herausragenden Spielen also schaffen, 2026 bei der WM dabei zu sein. Doch einfacher wird es nicht. Zuletzt berief Nagelsmann ausschließlich Spieler aus den europäischen Topligen, aus Deutschland, England, Spanien, Italien und Frankreich.
Sané ist bereits seit Längerem nicht unumstritten in der Nationalmannschaft. Im Final Four der Nations League ließ Nagelsmann ihn gegen Portugal 60 Minuten spielen, gegen Frankreich ließ der Bundestrainer ihn die gesamte Spieldauer auf der Bank. Der Konkurrenzkampf in der Offensive der deutschen Auswahl wird nach der Rückkehr des zuletzt verletzten Jamal Musialas noch größer.
Dass Sané noch bei der Klub-WM in der Vorrunde und einem möglichen Achtelfinale für die Bayern dabei ist, erstaunt. Seine große Chance wird künftig die Champions League sein, Galatasaray ist als türkischer Meister in der Vorrunden-Ligaphase vertreten. Mit Topleistungen in der Königsklasse kann für Sané weiter vieles möglich sein. Anders als bei Bayern hat er bei Galatasaray voraussichtlich einen Stammplatz.
Leroy Sané will in der Champions League überraschen
Doch auch weil Galatasaray in den vergangenen elf Jahren nicht das Achtelfinale der Champions League erreicht hat und Sanés Spiele-Anzahl auf internationalen Spitzenniveau in der neuen Saison also äußerst begrenzt sein könnten, ist sein Wechsel riskant.
Was für Sané spricht: Er sagt offen, dass er die Diskussion um seine Wechselentscheidung im Ansatz durchaus verstehen kann. Und formuliert als Ziel, eine Führungsrolle übernehmen und in der Champions League für Überraschung sorgen zu wollen.
Die braucht er, um seinen WM-Platz zu sichern.
Julien Wolff ist Sportredakteur. Er berichtet für WELT seit vielen Jahren aus München über den FC Bayern und die Nationalmannschaft sowie über Fitness-Themen. Und sah viele Spiele von Leroy Sané in den beiden Mannschaften.
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