Seit Jahren beklagen Fachleute zunehmende Resistenzen von bakteriellen Krankheitserregern gegen Antibiotika – und gleichzeitig einen Mangel an neuen Medikamenten, die Bakterien abtöten. Jetzt schreibt eine Kommentatorin im renommierten Medizin-Fachblatt „The Lancet“ von einem „Grund zum Feiern“. Der Grund: Einer großen Studie zufolge hilft ein neues Antibiotikum gegen Gonorrhoe – eine der häufigsten sexuell übertragbaren Infektionen, auch als Tripper bekannt – ähnlich gut wie die gängige Kombinationstherapie.
Gerade der Erreger Neisseria gonorrhoeae – oft Gonokokkus genannt – sei ein Paradebeispiel für ein Bakterium, das in kurzer Zeit Resistenzen entwickeln könne, sagt Viviane Bremer vom Robert Koch-Institut (RKI). „Mittlerweile haben wir nur noch ganz wenige Therapieoptionen, und auch da gab es schon Resistenzen“, erläutert die Leiterin des Fachgebiets für HIV/Aids und andere sexuell oder durch Blut übertragbare Infektionen. „Wir sind fast am Ende der Fahnenstange.“ Daher hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) der Entwicklung neuer Antibiotika gegen Gonorrhoe schon vor Jahren eine hohe Priorität bescheinigt.
In der aktuellen internationalen Phase-3-Studie - vorgestellt in „The Lancet“ -heilte der Wirkstoff Zoliflodacin 91 Prozent der Teilnehmer, die auf zwei Antibiotika basierende Standardtherapie schnitt mit 96 Prozent leicht besser ab. Kurz nach Veröffentlichung der Untersuchung wurde das Präparat in den USA für die Behandlung von unkomplizierter urogenitaler Gonorrhoe zugelassen - als erster neuer Wirkstoff seit Jahrzehnten, so die Autoren der Studie.
Eine der häufigsten Geschlechtskrankheiten
„Die Resultate dieser ehrgeizigen multinationalen Studie bedeuten einen wichtigen Fortschritt in der Gonokokken-Therapie“, schreibt Kimberly Workowski von der Emory University School of Medicine in Atlanta in ihrem „Lancet“-Kommentar. Denn im Gegensatz zum zentralen Gonorrhoe-Antibiotikum Ceftriaxon, das intramuskulär gespritzt werden muss, wird Zoliflodacin als Granulat in Wasser gelöst und ist somit wesentlich leichter einzunehmen – vor allem in Regionen ohne gute medizinische Versorgung.
Auch Norbert Brockmeyer, Präsident der Deutschen STI-Gesellschaft – Gesellschaft zur Förderung der Sexuellen Gesundheit (DSTIG), spricht von einem großen Erfolg. Das Präparat müsse allerdings umsichtig eingesetzt werden, mahnt der Mediziner, um diesen Fortschritt nicht aufs Spiel zu setzen.
Denn die durch Gonokokken verursachte Gonorrhoe ist weitverbreitet. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass sich allein im Jahr 2020 weltweit mehr als 82 Millionen Erwachsene mit den Erregern infiziert haben.
Starker Anstieg der Infektionen in Sachsen
Anstecken können sich Menschen typischerweise beim Geschlechtsverkehr, doch mitunter – bei Infektionen des Rachenraums mit den Bakterien – kann auch Küssen oder Kontakt mit Speichel ausreichen, wie Brockmeyer erläutert. Ein Symptom bei Infektionen des Genitaltrakts ist etwa schmerzhafter und übel riechender Harnausfluss. Nicht selten verlaufen Infektionen symptomfrei - und werden dann eher weitergegeben. Umgekehrt können die Erreger, wenn sie ins Blut gelangen, in seltenen Einzelfällen eine lebensgefährliche Sepsis verursachen.
Damit nicht genug: Durch die Gonokokken angestoßene Entzündungsprozesse steigern laut Brockmeyer das Risiko dafür, dass Infizierte einerseits sich mit anderen sexuell übertragenen Erregern wie Chlamydien, Humanen Papillomaviren (HPV) oder HI-Viren anstecken und dass sie anderseits solche Erreger an Kontaktpersonen weitergeben.
„Im Jahr 2018 war die Gonorrhoe mit über 100.000 Infektionen aus 28 Ländern die zweithäufigste gemeldete sexuell übertragbare Infektion in der Europäischen Union (EU)“, schreibt das RKI. Für Deutschland schätzt Brockmeyer die Zahl der jährlichen Infektionen auf bis zu 30.000.
Dass die Tendenz zunimmt, legen Zahlen aus Sachsen nahe, dem laut Brockmeyer einzigen Bundesland mit einer allgemeinen Gonorrhoe-Meldepflicht: Dort stieg die Zahl der Infektionen pro 100.000 Einwohner laut RKI zwischen 2001 und 2019 von 1,8 auf 19,9. „Verantwortlich hierfür ist wahrscheinlich ein Zusammenspiel eines echten Anstiegs von Gonokokken-Infektionen sowie eine Verbesserung im Beratungs- und Testangebot“, erläutert das Institut.
930 Teilnehmer mit Gonorrhoe
Zusätzliche Sorge macht Gesundheitsbehörden die Fähigkeit der Erreger, sehr rasch Resistenzen gegen Antibiotika zu entwickeln. Besonders stark betroffen sind Regionen in Südostasien wie Kambodscha oder Vietnam, wo der aktuellen Studie zufolge ein Viertel bis ein Drittel der Erreger auf gängige Antibiotika – zumindest in niedriger Dosierung – unempfindlich reagieren.
Das ist auch deshalb ein Problem, weil viele Pharmaunternehmen das Interesse an solchen Präparaten verloren haben. „Die Entwicklung von Antibiotika ist teuer und aufwendig“, erläutert RKI-Expertin Bremer. „Wenn dann ein neues Mittel kommt, dann wird es möglichst als Reserveantibiotikum zurückgehalten. Das macht es für Unternehmen maximal unattraktiv.“
Auch Zoliflodacin war ursprünglich vom Pharmakonzern Astrazeneca entwickelt worden, der sich jedoch von seiner Antibiotika-Sparte trennte. In der aktuellen Studie – finanziert unter anderem vom Bundesforschungsministerium – prüfte das Team um Alison Luckey von der Global Antibiotic Research & Development Partnership (GARDP) in Genf das neue Präparat in fünf Ländern weltweit: in Südafrika, Thailand, den USA, Belgien und den Niederlanden.
Von den insgesamt 930 Teilnehmern mit unkomplizierter urogenitaler Gonorrhoe bekamen zwei Drittel eine Einzeldosis von drei Gramm Zoliflodacin, die übrigen dagegen die Kombitherapie aus einer Ceftriaxon-Injektion und dem oral eingenommenen Azithromycin. Das Durchschnittsalter betrug rund 30 Jahre, 88 Prozent waren Männer. Auch in Deutschland werden nach Angaben von Bremer die weitaus meisten Infektionen bei Männern behandelt – möglicherweise weil sie bei Frauen besonders oft symptomfrei verlaufen.
„Die Resultate der Studie sollten gefeiert werden“
Die Verträglichkeit war in beiden Gruppen ähnlich. Häufigste Nebenwirkung von Zoliflodacin waren Kopfschmerzen, bei etwa zehn Prozent der Probanden. Seltener kam es zu Neutropenie und Leukopenie – beides sind Verringerungen bestimmter weißer Blutkörperchen – sowie zu Schwindel und Übelkeit. Schwere Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet.
Dass eine Einzeldosis Zoliflodacin Gonorrhoe zuverlässig heile, sei sehr ermutigend, schreibt das Team in „The Lancet“ – zumal vorher andere über den Mund (oral) eingenommene Medikamente in Studien wiederholt gescheitert waren.
Kurz nach Veröffentlichung der Studie ließ die US-Zulassungsbehörde FDA den Wirkstoff (Handelsname: Nuzolvence) nach einem beschleunigten Zulassungsverfahren für Menschen ab zwölf Jahren mit unkomplizierter urogenitaler Gonorrhoe zu. Ebenfalls dafür zugelassen wurde der Wirkstoff Gepotidacin (Handelsname: Blujepa), der vorher bereits für Harnwegsinfekte erhältlich war. Der bei der FDA für Infektionskrankheiten zuständige Leiter Adam Sherwat sprach von einem „wichtigen Meilenstein“ für Menschen mit der Erkrankung.
Die Resultate der Studie sollten gefeiert werden, betont „Lancet“-Kommentatorin Workowski. „Aber trotz des durch diese neue orale Gonokokken-Therapie erzeugten Enthusiasmus hat N. gonorrhoeae eine bemerkenswerte Anpassungsfähigkeit, um mit der Zeit Resistenzen zu bilden.“
Diesen Punkt unterstreicht auch der deutsche Experte Brockmeyer mit Nachdruck. Diese einfache Therapie mit dem Granulat sei zwar gerade in ärmeren Ländern gut umsetzbar, doch genau dies berge eine Gefahr: „Wenn es dazu kommt, dass dieses Medikament weltweit breit als Monotherapie eingesetzt wird, dann wird es in spätestens fünf Jahren massive Resistenzen geben.“ Er plädiert dafür, die beiden neuen Wirkstoffe jeweils in Kombination mit dem Standardmedikament Ceftriaxon zu verwenden.
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