Im Frühjahr 2026 soll in Deutschland ein neues Früherkennungsprogramm für Lungenkrebs eingeführt werden. Es richtet sich an Menschen ab 50 bis 75 Jahre, die jahrzehntelang stark geraucht haben.

Eine Forschungsgruppe mehrerer Universitätskliniken kommt in einer Studie nun zu dem Schluss: Das reicht nicht. Um mehr Krebsfälle frühzeitig zu erkennen, müssten weitere Risikofaktoren berücksichtigt werden, fordern die Forscherinnen und Forscher im Fachmagazin „The Lancet Oncology“. Studienleiter Jens Vogel-Claussen ist Direktor der Klinik für Radiologie an der Charité Berlin.

WELT: Wieso sterben so viele Menschen in Deutschland an Lungenkrebs?

Jens Vogel-Claussen: Lungenkrebs ist einer der häufigsten Tumore in der Bevölkerung, oft mit tödlichem Ausgang. Jedes Jahr werden etwa 57.000 neue Diagnosen gestellt, mehr als 40.000 Erkrankte sterben. In den allermeisten Fällen ist es, weil der Lungenkrebs zu spät entdeckt wurde. Betroffene bemerken im frühen Stadium keine Symptome. Wenn sie mit Symptomen zum Arzt gehen, ist der Tumor häufig bereits im fortgeschrittenen Stadium drei oder vier. Die Überlebensrate nach fünf Jahren liegt dann nur noch bei knapp 20 Prozent.

WELT: Bei welcher Art von Husten oder Atemproblemen sollten Menschen unbedingt zum Arzt gehen?

Vogel-Claussen: Husten kann viele Ursachen haben. Sie sollten unbedingt einen Arzt aufsuchen, wenn der Husten von Atemnot, blutigem Auswurf oder deutlicher Verschlechterung des Allgemeinzustands begleitet wird. Auch lang anhaltender Husten von länger als sechs Wochen ist ein Warnsignal. Bei der Lungenkrebsfrüherkennung sprechen wir jedoch Menschen an, die noch gar keine Symptome haben.

WELT: Warum braucht es ein neues Früherkennungsprogramm für Lungenkrebs?

Vogel-Claussen: Die Tumore sollen früh erkannt werden, wenn die Heilungschancen noch weit höher liegen – mehr als 90 Prozent bei einem Tumor in Stadium eins. Dabei wird mittels Computertomografie (CT) überprüft, ob verdächtige Veränderungen der Lunge vorliegen. Die Früherkennungsrichtlinie des Gemeinsamen Bundeszuschusses (G-BA) wurde erst im September für Lungenkrebs erweitert. Damit wird das Niedrigdosis-CT nun erstmals zugänglich für die Lungenkrebsfrüherkennung und ab April 2026 von den Krankenkassen bezahlt. Die Strahlendosis ist bei diesem Verfahren sehr niedrig.

WELT: Kann jeder diese Früherkennung wahrnehmen?

Vogel-Claussen: Es ist das erste risikoadaptierte Screening bei Menschen ab 50 Jahren in Deutschland. Das heißt, bestimmte Risikokriterien müssen erfüllt sein. Die Teilnehmer müssen mindestens 25 Jahre lang geraucht und entweder noch immer aktiv rauchen oder vor weniger als zehn Jahren aufgehört haben. Der Umfang ihres Tabakkonsums muss mindestens 15 Packungsjahre ergeben, ein Packungsjahr sind 20 Zigaretten pro Tag über ein Jahr. In dieser Risikogruppe finden Mediziner in Deutschland etwa 60 Prozent der Lungenkrebsfälle.

WELT: Wie könnte Lungenkrebs noch besser diagnostiziert werden?

Vogel-Claussen: In unserer Studie haben wir die Risikogruppe passgenauer definiert und dafür den sogenannten PLCOm2012-Score angewendet. Wenn wir mehr Faktoren berücksichtigen als nur das Alter und die Rauchhistorie eines Menschen, entdecken wir gut 20 Prozent mehr Lungenkrebsfälle. Beim PLCOm2012-Score werden insgesamt elf Parameter abgefragt. Dazu zählen Lungenkrebsvorerkrankungen in der Familie, vergangene eigene Krebserkrankungen, sowie Bildungsstatus und Gewicht. Je mehr solcher Faktoren auf die Menschen zutrafen, desto häufiger wurde Krebs bei den mehr als 5000 Probanden gefunden.

WELT: Müssen Sie dann auch mehr Menschen untersuchen?

Vogel-Claussen: Wenn wir den PLCOm2012-Score mit unserem definierten Schwellenwert zugrunde legen, müssen wir zwar etwa sechs Prozent mehr Personen screenen, finden aber deutlich mehr Lungenkrebsfälle. Das macht das Screening effizienter, wir müssen weniger CT-Untersuchungen durchführen, um einen Fall von Lungenkrebs zu diagnostizieren.

WELT: Wie sind Sie konkret vorgegangen?

Vogel-Claussen: Wir haben den PLCOm2012-Score mit den für das Screening geplanten NELSON-Einschlusskriterien – dabei werden ausschließlich Alter und Rauchhistorie berücksichtigt – verglichen. Alle Menschen, denen anhand einer der beiden Scores ein hohes Lungenkrebsrisiko attestiert wurde, erhielten im Abstand von einem Jahr zweimal eine Untersuchung mittels Niedrigdosis-CT. Die Auswertung der CT-Bilder erfolgte mit Künstlicher Intelligenz, wie dies auch in der Früherkennungsmaßnahme auch in Deutschland implementieren werden. Ein Radiologe mit KI ist nachweislich verlässlicher als ein Radiologe allein.

WELT: Und was haben Sie herausgefunden?

Vogel-Claussen: Das Ergebnis: Insgesamt wurden 111 Lungenkrebsfälle in etwa 5000 Teilnehmern entdeckt, die durch den PLCOm2012-Score und/oder die NELSON-Kriterien eingeschlossen wurden. Bei gut 4200 aktiven oder ehemaligen Raucherinnen und Rauchern, die nach dem PLCOm2012-Score gescreent wurden, haben wir in 108 Fällen Lungenkrebs gefunden. Das sind 19,4 Prozent mehr als in der NELSON-Vergleichsgruppe von knapp 3900 Menschen, in der nur 85 Krebsfälle auffielen.

WELT: Inwiefern profitieren davon vor allem Frauen?

Vogel-Claussen: Der breitere PLCOm2012-Score hat sowohl bei Männern als auch bei Frauen eine höhere Trefferquote als NELSON. In der Studie haben wir signifikant mehr Lungenkrebs bei Frauen festgestellt als bei Männern: Während 2,6 Prozent der Frauen die Diagnose erhielten, waren es bei den Männern 1,8 Prozent. Zudem waren die krebskranken Frauen jünger, die errechnete Lebenserwartung war bei ihnen fast doppelt so hoch. Statistisch rauchten die Frauen zwar nicht so viel wie die Männer, erfüllten aber mehr Risikofaktoren.

WELT: Konnten Sie weitere Unterschiede zwischen Frauen und Männern feststellen?

Vogel-Claussen: Die Frauen in unserer Studie hatten ein niedrigeres Gehalt als die Männer und auch ein niedrigeres Bildungsniveau. In Deutschland ist Anteil an Rauchern bei Menschen mit geringerem sozioökonomischem Status höher. Rauchen ist für etwa 85 Prozent der Lungentumore verantwortlich.

WELT: Welche Mängel sehen Sie beim neuen Screening in Deutschland noch?

Vogel-Claussen: Es handelt sich lediglich um eine Maßnahme, aber kein zentrales Programm. Ein Problem ist: Die Hochrisikogruppen werden nicht gezielt zur Untersuchung eingeladen. Den Krankenkassen fehlen diese Daten zum Raucherstatus ohnehin. In anderen Ländern wie England oder Kroatien, wo solche Gesundheitsinformationen zur Verfügung stehen, werden Betroffene angesprochen. Mit dem neuen Screening werden wir daher von den schätzungsweise 5,5 Millionen Hochrisikopersonen in Deutschland nur gerade mal zehn Prozent erreichen.

WELT: Wie könnte man das ändern?

Vogel-Claussen: Schon bei der Vorsorgeuntersuchung beim Hausarzt, auch bekannt als Check-up ab 35 Jahren, könnte der Raucherstatus erhoben und den Krankenkassen gemeldet werden. So könnten die Krankenkassen ihre Versicherten gezielt ansprechen und auf die Früherkennungsmaßnahme mit Niedrigdosis-CT im Alter von 50 bis 75 Jahren hinweisen und erinnern.

WELT: Was müsste noch mitgedacht werden?

Vogel-Claussen: Rauchen ist eine Sucht. Teil eines erfolgreichen Gesundheitsprogramms muss daher eine Rauchentwöhnung sein. Wichtig ist auch die Prävention in jungen Jahren. Eines ist klar: Würden Jugendliche gar nicht erst anfangen zu rauchen, bräuchten wir Früherkennungsprogramme für Lungenkrebs nicht.

WELT: Müsste rauchen unattraktiver werden für junge Menschen, wie es andere Länder versuchen?

Vogel-Claussen: Auf jeden Fall. Einerseits kann das durch den Preis gesteuert werden, andererseits durch Gesetze. Zigaretten und Tabak könnten also teuer oder die Altersgrenze für den Kauf hochgesetzt werden. Etwa England verfolgt das Ziel rauchfrei zu werden, indem das legale Einstiegsalter stetig erhöht wird.

WELT: Sind die Praxen und Kliniken in Deutschland bereit, um im Frühjahr mit dem Screening zu beginnen?

Vogel-Claussen: In den vergangenen Monaten haben wir flächendeckend knapp 1500 Radiologen geschult. Hausärzte, Arbeitsmediziner und Internisten weisen die Teilnehmer zu uns Radiologen weiter. Auch sie werden entsprechend geschult. In den Kliniken und in den niedergelassenen radiologischen Praxen stehen genügend der modernen Niedrigdosis-CTs zur Verfügung. Die nationale Maßnahme zur Früherkennung von Lungenkrebstumoren ist ein Schritt in die richtige Richtung, deshalb ist es wichtig, dass wir bald anfangen.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke