Wenn Antibiotika nicht mehr wirken, ist das mitunter ein lebensgefährliches Problem – und zwar eines, das sich in der Zukunft wohl noch weiter zuspitzen wird. Der demografische Wandel werde die Situation in den kommenden Jahren und Jahrzehnten deutlich verschärfen, wie eine Forschungsgruppe im Fachblatt „Plos Medicine“ erklärt.

Von Antibiotika-Resistenz sprechen Experten, wenn Patienten auf ein Antibiotikum nicht reagieren, das heißt, wenn die krank machenden Bakterien durch das Antibiotikum nicht vernichtet werden können. Besonders gefürchtet sind sogenannte Krankenhauskeime, die etwa Infektionen der Harnwege, des Magen-Darm-Trakts oder der Blutbahn verursachen.

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind im Jahr 2021 insgesamt 7,7 Millionen Menschen weltweit an einer bakteriellen Infektion gestorben – gut 1,1 Millionen waren demnach direkt auf Antibiotika-Resistenzen zurückzuführen. In einen im Oktober veröffentlichte WHO-Bericht sind knapp 23 Millionen Daten aus mehr als 100 Ländern eingeflossen. „Antibiotika-Resistenz ist weitverbreitet und bedroht die Zukunft der modernen Medizin“, warnte dazu Yvan Hutin, Direktor der zuständigen WHO-Abteilung.

Für Deutschland haben Forscher des Robert Koch-Instituts und der University of Washington versucht, das Ausmaß der Gesundheitskrise für das Jahr 2019 zu veranschaulichen – dies gilt als bislang umfassendste Schätzung zur Situation vor der Pandemie und wurde im vergangenen Sommer veröffentlicht. Etwa 45.700 Todesfälle Menschen seien in dem Jahr im Zusammenhang mit einer Infektion durch antibiotikaresistente Erreger gestorben, schätzen die Forscher.

In etlichen Fällen sei die jeweilige Infektion zwar als Todesursache gewertet worden, die Betroffenen wären aber mutmaßlich auch gestorben, wenn der Erreger keine Resistenz aufgewiesen hätte. Schätzungsweise 9600 der Todesfälle davon seien unmittelbar auf die Resistenz zurückzuführen. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz geht jedoch von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus.

Die Gruppe von der London School of Hygiene & Tropical Medicine hat für ihre nun veröffentlichte Studie den Blick in die Zukunft gerichtet und berechnet, wie sich die Inzidenzen bei Antibiotikaresistenzen gemäß bisheriger Trends im Zuge der überalternden Bevölkerung hierzulande und in anderen europäischen Ländern entwickeln werden.

Männer stärker betroffen als Frauen

Ihre Prognose: Die Infektionsraten mit acht gängigen untersuchten resistenten Keimen werden dramatisch zunehmen – vor allem in älteren Gruppen ab 74 Jahren, die absehbar in den nächsten Jahren wachsen werden. Männer werden demnach stärker betroffen sein als Frauen.

Die Forscher untersuchten für ihre Analyse 12 Millionen Blutproben aus 29 Ländern aus den Jahren 2010 bis 2019 auf bakterielle Infektionen hin und berechneten daraus Inzidenzraten für die einzelnen Keime und verschiedene Gruppen. Diese modellierten sie dann in die Zukunft, indem sie die Infektionsraten mit der erwarteten Bevölkerungsentwicklung bis 2050 kombinierten.

„Alter und Geschlecht werden bei Prognosen zur Antibiotika-Resistenz noch selten berücksichtigt, obwohl sie einen großen Einfluss darauf haben, wer am stärksten betroffen ist“, erklärt Studienautorin Gwenan Knight. „Die Kombination dieser Faktoren mit demografischen Trends und Infektionstrends hat deutlich gemacht, wie schwierig es sein wird, den stetigen Anstieg von Blutbahninfektionen in ganz Europa umzukehren.“

Zudem zeige die Studie, dass die künftige gesundheitliche Belastung durch Antibiotikaresistenzen auch geografisch nicht gleich verteilt sein wird. Große regionale Unterschiede hatte auch bereits der Überblicksbericht der WHO aufgezeigt: In Südostasien und im östlichen Mittelmeerraum seien schon eine von drei gemeldeten Infektionen gegen die untersuchten Antibiotika resistent, hieß es. Das Problem sei besonders in Ländern mit schwachen Gesundheitssystemen verbreitet.

Bei mehr als 40 Prozent der E. coli- und 55 Prozent der K. pneumoniae-Bakterien sind die gängigen Antibiotika laut WHO-Bericht nicht mehr wirksam. In afrikanischen Ländern seien es sogar manchmal mehr als 70 Prozent. Diese Bakterien könnten auch Sepsis und schließlich Organversagen auslösen. Derzeit gibt es der WHO zufolge dagegen noch andere Antibiotika, die aber teurer sind und in vielen ärmeren Ländern nicht zur Verfügung stehen.

Tim Eckmanns, Experte für Antibiotikaresistenzen am Robert Koch-Institut, wies in diesem Kontext darauf hin, dass man lange davon ausgegangen sei, dass Resistenzen besonders dort ausgeprägt seien, wo viele Antibiotika gegeben würden, also in wohlhabenden Industrieländern. Der WHO-Bericht zeige jedoch, dass die Resistenzraten in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen teils wesentlich höher lägen – etwa wegen fehlender Finanzierung, mangelnder Hygiene, zu wenig Diagnostik oder zu früh abgebrochener Antibiotikatherapien.

Andreas Peschel vom Deutschen Zentrum für Infektionsforschung erklärte, die meisten Antibiotika seien jahrzehntealte Entwicklungen, die generisch billig herstellbar seien. „Daher sind sie auch in Low-Income-Staaten verfügbar, allerdings oft weitgehend unkontrolliert. Je mehr sie falsch eingesetzt werden, desto mehr tragen sie zur Selektion resistenter Erreger bei.“

„Viele moderne Eingriffe wie große Operationen, Organtransplantationen, Knochenmarktransplantationen sind nur möglich, weil Antibiotika prophylaktisch den Patienten schützen. Diese Eingriffe werden bei zunehmender Resistenz immer gefährlicher“, so Experte Eckmanns. „Schwere Infektionen können nicht mehr behandelt werden. Es besteht die Gefahr, dass die Anzahl der Toten durch antibiotikaresistente Erreger auf fast zehn Millionen pro Jahr weltweit bis zum Jahr 2050 ansteigt.“

Die Epidemiologin Annemarie Käsbohrer vom Bundesinstitut für Risikobewertung betonte zudem: „Aufgrund der globalen Vernetzung werden Resistenz-Entwicklungen in anderen Regionen der Welt auch direkt Auswirkungen auf die Situation in Europa haben, mit all den negativen Auswirkungen für Mensch, Tier und Umwelt.“

Eigentlich hat sich die Weltgemeinschaft vorgenommen, die Todesfälle durch Antibiotikaresistenzen bis 2030 gegenüber 2019 um zehn Prozent zu reduzieren. Die Studienautoren aus London halten dies jedoch für kaum erreichbar: Selbst mit sehr ehrgeiziger Gesundheitspolitik sei eine solche Verringerung längst nicht bei allen Erreger-Antibiotika-Kombinationen möglich. Gemäß der erwarteten Prognosen sei wohl eher eine Stabilisierung auf aktuellem Niveau schon als Erfolg zu werten.

Die Bundesregierung setzt in ihrer Antibiotika-Resistenzstrategie eigenen Angaben nach auf eine Kombination aus Prävention, Monitoring, Forschung und internationaler Kooperation.

Patientenschützer plädieren dafür, nach dem Vorbild der Niederlande noch einen Schritt weiterzugehen und Patienten vor der Aufnahme in Krankenhäuser konsequent auf multiresistente Erreger zu testen. „Solche Tests braucht es auch regelmäßig auf den Stationen, da dort die Gefahr einer Ansteckung am größten ist“, betont der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. „Eine Kehrtwende ist notwendig. Solange kein negativer Befund vorliegt, ist zunächst von einer Infektion auszugehen und Betroffene entsprechend zu isolieren und zu behandeln.“

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