Zwischen den Weinbergen im Valle de Casablanca fährt Milenko Valenzuela in einem schwarzen Geländewagen die Sandwege entlang. Das Anbaugebiet in Chile liegt knapp 80 Kilometer von der Hauptstadt Santiago entfernt in Richtung Küste. Reben reihen sich aneinander auf den grünbewachsenen Hügeln mit gelben Blumen auf dem Gut „Casas del Bosque“, auf Deutsch: Häuser des Waldes.

Auf den insgesamt 134 Hektar Land werden Sauvignon Blanc, Chardonnay, Pinot Noir, Syrah, Riesling, Cabernet Franc und Malbec angebaut. Bei der nächsten Steigung brummt der Motor von Valenzuelas Wagen auf, die Fahrbahn ist schlammig. „Keine Chance“, sagt der Betriebsleiter des Weinguts und setzt das Auto zurück. Er richtet seine blau verspiegelte Sonnenbrille, drückt den Knopf für Allrad und brettert mit Schwung über den Hügel.

Während der neue Jahrgang in Deutschland schon im Keller liegt, geht es in Chile gerade erst los – jetzt ist auf der Südhalbkugel Frühling. Valenzuela ist für die Produktion im Weinkeller zuständig, für das Abfüllen der Flaschen, den Versand und die Logistik. Knapp 13.000 Liter Wein fahren in der Fabrikhalle unter seinem Büro täglich über das Förderband, im Schnitt macht das 1000 Kisten mit je zwölf Flaschen. Und der 43-jährige Agrarwissenschaftler verantwortet auf dem Weingut die Landwirtschaft. Wie viele andere Weinbauern im Land hat er in den vergangenen Jahren auf den Feldern einiges umgestellt, um sich den veränderten Bedingungen durch den Klimawandel anzupassen. Nicht nur in Chile, auch in Deutschland kämpfen Winzer mit steigenden Temperaturen und Trockenheit.

Etwa 12.000 Kilometer entfernt von den Hügeln des Valle de Casablanca steht Manfred Stoll in seinem Labor in der Hochschule Geisenheim im Rheingau und untersucht die Gefahren des Klimawandels für den Wein. Stoll ist Leiter des Instituts für allgemeinen und ökologischen Weinbau und sieht vor allem die höheren Temperaturen als Risiko, dadurch verschieben sich die Reifezeiten nach vorn. „Da die Gradzahl auf dem Thermometer steigt, treiben die Reben früher aus – teilweise schon Mitte April im Rheingau“, sagt Stoll. Das mache pro Jahrzehnt ungefähr 2,8 Tage aus.

Die Forscher vergleichen die Lese mit Referenzzeiträumen ab 1961, um solche Veränderungen feststellen zu können. Zu dieser Jahreszeit könne es noch zu Spätfrösten kommen, sobald die Temperaturen unter null Grad fallen. „Die jungen Blätter und Triebe sterben dann ab, sie erfrieren“, so Stoll.

In Chiles küstennahen Gebieten wie dem Casablanca-Tal schwanken die Temperaturen zwischen Tag und Nacht ähnlich stark. „Polarfröste, die früher nur alle fünf oder sechs Jahre auftraten, haben wir jetzt jedes Jahr“, sagt Valenzuela. Extremwetter in Form von Starkregen oder Hagel wie in Deutschland kommt hier selten vor. Wasserknappheit ist in Chiles nördlichen Weinregionen die größte Herausforderung, in Casablanca herrscht Dürre. Durch das Tal fließt kein Fluss, Brunnen sind die einzige Wasserquelle, nur steht das Grundwasser derzeit niedrig.

Valenzuela hält vor einem der rechteckigen Tanks, der aussieht wie ein Schwimmbecken im Boden, so groß wie ein Tennisplatz und bis zum Rand gefüllt mit Wasser. Auf dem Weingut mussten sie bereits Anbaufläche reduzieren und mehrere solcher Wassertanks anlegen, um im Winter Wasser zu speichern, damit die Pflanzen im Sommer bewässert werden können. Die neuen Bewässerungssysteme sind eine Maßnahme der Winzer im Kampf gegen den Klimawandel.

Um die Felder gezielt mit genügend Feuchtigkeit zu versorgen, nutzt Valenzuela eine App. Er zieht sein Handy aus der Tasche, und auf dem Bildschirm erscheinen bunte Kurven. „Hier habe ich das ganze Weingut im Blick“, sagt er. Die eigene Wetterstation misst 18 Grad, auch Luftfeuchtigkeit und Sonneneinstrahlung werden auf dem Handy angezeigt. Valenzuela kann zudem sehen, wie viel Feuchtigkeit gerade im Boden ist und auch wie viel es in den vergangenen Monaten war. „Im Frühjahr soll die Pflanze mit ihren Wurzeln so viel Wasser wie möglich aufnehmen. Danach reduziere ich die Bewässerung, um effizienter mit den Reserven umzugehen“, erklärt der Agrarwissenschaftler.

Die benötigte Menge rechnet er anhand der Wasserbilanz aus, berücksichtigt dafür die historischen Daten und aktuelle Messungen. Je nach Jahr werden auf dem Weingut etwa 2700 bis 3300 Kubikmeter Wasser pro Hektar verbraucht.

Noch vor zehn Jahren waren die Böden des Weinguts durch traditionelle Landwirtschaft völlig ausgelaugt, erinnert sich Valenzuela zurück und zeigt auf die Felder um das Wasserbecken. Als das Weingut vor fünf Jahren auf biologische Bewirtschaftung und regenerative Landwirtschaft umgestellt hat, hat er Hafer gesät, um die organische Substanz aufzubauen. Die Reben sollten wieder Nährstoffe aus dem Grund ziehen. So ist eine bunte Mischung aus Gräsern, Blumen und Klee gewachsen, die bei der Wasserspeicherung hilft.

Ausgelaugte Böden neu bepflanzen

„Schon ein Prozent organische Substanz bedeutet eine große Menge Wasser, die der Boden halten kann“, erklärt Valenzuela. „Ein großer Teil unserer Strategie besteht darin, dass unsere Böden selbst als Wasserspeicher dienen, wenn weniger Wasser für die Weinberge zur Verfügung steht.“

Die Trauben haben aufgrund von Trockenheit nicht nur zu wenig Wasser, sie reifen durch die Wärme auch schneller – und das bringt ein weiteres Problem für deutsche und chilenische Weinbauern mit sich. „Früher war die Reihenfolge klar: erst Chardonnay, dann Pinot, Sauvignon und später Syrah. Heute reift alles durcheinander, an einem Tag Sauvignon, am nächsten Pinot, dann Syrah, und wieder Sauvignon“, klagt der Chilene. Die Abläufe in der Weinkellerei werden dadurch deutlich komplizierter und weniger planbar.

„Riesling tritt in Deutschland teilweise schon Ende Juli bis Anfang August in die Reifephase, und damit beginnt die Einlagerung von Zucker“, sagt auch der Biologe Stoll. Die Trauben erlangen eine frühere und höhere Zuckerkonzentration. Mit der Folge: Mehr Zucker im Most führt zu mehr Alkohol. Das wollen die Winzer unbedingt vermeiden, weil es den Geschmack des Weins verändert und zu Problemen beim Verkauf und Export führt.

Eine frühere Ernte verringert zwar den Zuckergehalt der Trauben und damit auch den Alkoholgehalt. Allerdings kostet eine zu frühe Lese den Wein Aroma, die Säure ist möglicherweise nicht ausgereift, und der Tropfen wirkt unbalanciert. Deshalb forschen Wissenschaftler an Hilfsmitteln, den Alkoholgehalt anderweitig zu steuern. An der Universität Santiago entwickelt ein Team um Claudio Martínez, Direktor des Zentrums für Lebensmittelwissenschaften und -technologie, besondere Hefestämme der Art Saccharomyces cerevisiae, die bei der Gärung zum Einsatz kommen.

„Wir arbeiten gewissermaßen gegen die Natur, indem wir Hefen züchten, die weniger Alkohol erzeugen“, erklärt der Genetiker zwischen Fläschchen, Kühlschränken und Maschinen in den Laborräumen auf dem Campus.

Dafür kreuzen sie zwei Hefen unter dem Mikroskop und erzeugen Nachkommen mit den gewünschten Eigenschaften – wie bei Pflanzen und Tieren bekannt. Das Verfahren ist frei von Gentechnik. Im Labor hat die Gruppe durch die Zugabe der Hefe bereits erreicht, dass ein Wein statt bis zu 18 Prozent nur noch 15 Prozent hatte. „Unser Vorschlag ist einfach: Man tauscht die Hefe gegen eine verbesserte aus, ohne die Weinproduktion zu verändern“, sagt Martínez. Damit die Hefe in Zukunft auch zum Einsatz kommen kann, testet die Gruppe die gezüchteten Stämme gerade unter Bedingungen, die vergleichbar mit denen in einem echten Weinberg sind.

Zurück auf dem Gut „Casas del Bosque“ in Casablanca stoppt Valenzuela diesmal neben einem Feld, auf dem zwei Dutzend Schafe und Lämmer grasen. Als er aus dem heruntergelassenen Fenster pfeift, heben einige der Tiere den Kopf. Insgesamt hat sein Betrieb 80 Schafe, 150 Kühe und 40 Pferde, auch Futterpflanzen für sie werden hier angebaut.

Nach Ernte der Trauben fressen sie das Gras zwischen den Reben und düngen gleichzeitig den Boden, bis die ersten Triebe erneut sprießen. Dass die Tiere auf dem Weinberg laufen, sei auf seinem Mist gewachsen, erzählt Valenzuela und grinst. Er habe die Eigentümer davon überzeugt, dass die Tiere dem Anbau nutzen. „Das ist auch billiger, als einen Traktor durch das Feld zu schicken“, betont er und fährt weiter.

Nach nur einigen Metern bremst Valenzuela abrupt ab. Auf dem Weg entdeckt er Reste von Pappe. Er sammelt das zerfledderte Stück Karton auf und wirft es auf die Ladefläche seines Wagens. „Die Menschen lassen immer so viel Müll rumliegen“, nuschelt er genervt. Für den Wassermangel und die schlechten Böden hat der Chilene Lösungen gefunden, doch der Klimawandel ist nicht die einzige Sorge der Winzer. Das Geschäft mit dem Wein läuft schlecht, der Konsum ist zuletzt stark zurückgegangen – nicht nur in Chile oder Deutschland.

Im Jahr 2024 erreichte der weltweite Weinkonsum den niedrigsten Stand seit 1961, ein historischer Tiefpunkt. Laut der Internationalen Organisation für Rebe und Wein sind die Käufe im Vergleich zum Vorjahr um 3,3 Prozent auf 214,2 Millionen Hektoliter geschrumpft. Als Ursachen werden die sinkende Nachfrage in Schlüsselmärkten wie den USA und die steigenden Preise genannt. Viele Menschen hätten zudem ihren Lebensstil geändert, leben gesünder. Valenzuela sagt: „Die jungen Leute trinken ja kaum noch.“

Der Text ist im Rahmen des Lateinamerika-Stipendiums „Internationale Journalistenprogramme“ entstanden.

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