Zwei Sätze, die sich in das Gedächtnis von Cirstin L. eingebrannt haben: „Ihr Kind ist ansteckend. Und die Krankheit ist potenziell tödlich.“ Was ihr die Krankenschwester so kurz und knapp mitteilte, das wird L. wohl nie vergessen. Am Morgen hatte der Kinderarzt sie mit ihrer zweijährigen Tochter ins Krankenhaus überwiesen.

Nun stand sie in einem Isolationszimmer, in das man sie gerade an der Berliner Charité geschickt hatte, und hielt ihre kranke Tochter im Arm. Die Diagnose stand fest: EHEC-Bakterien wüteten im Körper der kleinen Leni, deren Nieren versagten. Der Zweijährigen stand ein wochenlanger Überlebenskampf bevor.

Das war vor 13 Jahren. Leni überlebt, doch ihr Fall ist ein Beispiel dafür, was empfindlichen Personen während eines EHEC-Ausbruchs drohen kann, wie derzeit etwa in Mecklenburg-Vorpommern. Dort hält das Infektionsgeschehen schon seit mehr als einem Monat an und lässt sich offensichtlich nicht eindämmen. Die Zahlen steigen. EHEC ist das mittlerweile bekannte Akronym für Enterohämorrhagische Escherichia coli – Darmbakterien, die sich durch Gifte, die sie absondern, von normalen Kolibakterien unterscheiden.

Großes Risiko besonders für kleine Kinder

Anders als die harmlosen Varianten, gefährden EHEC-Erreger den Menschen, stellen für Tiere jedoch keine Gefahr dar. Wiederkäuer wie Rinder, Schafe, Ziegen gelten als ihr Reservoir. Gelangen solche Darmbakterien in den menschlichen Körper, setzen sie verschiedene Gifte frei, sogenannte Shiga- oder Verotoxine, die im Darm über mehrere Tage hinweg eine schwere Magen-Darm-Entzündung auslösen.

Besonders gefährdet sind Kinder zwischen zwei und fünf Jahren. Ihr Immunsystem und die Organe sind noch nicht ausgereift, sodass das Risiko für ein Nierenversagen höher ist. 50 Prozent der Kinder erkranken infolge einer EHEC-Infektion schwer – und entwickeln ein hämolytisch-urämische Syndrom (HUS). Im Fall von Leni, die schon ein paar Tage krank gewesen war, fiel dies eines Morgens auf: mit einer blutigen Windel.

Blut in Urin und Stuhl, körperliche Schwäche sowie Blutarmut: Unter diesem HU-Syndrom leiden etwa zehn Prozent aller Infizierten. Geraten die bakteriellen Toxine über die verletzte Darmschleimhaut in den Blutkreislauf, zerstören sie rote Blutkörperchen und Blutplättchen, was dazu führt, das feine Gefäße in den Nieren verstopfen. Akutes Nierenversagen ist die Folge; der Körper kann bestimmte Stoffe nicht mehr loswerden und droht zu überwässern. Nur eine Dialyse kann dann eine Blutvergiftung verhindern – in Deutschland sterben drei Prozent der EHEC-Erkrankten an einem hämolytisch-urämischen Syndrom.

Lenis Eltern brachten ihre Tochter ins Krankenhaus, als die alarmierenden Symptome auftraten. Nach der EHEC-Diagnose rätselten sie, wo ihr Kind den Erreger aufgeschnappt haben könnte. Steckte er in der Tomatensoße zu den Nudeln, die sie Tage zuvor beim Italiener gegessen hatte? Haftete er an dem Bonbon, das Leni aufgehoben und sich in den Mund gesteckt hatte, nachdem es auf den Boden gefallen war?

Von den derzeit bundesweit gemeldeten 141 EHEC-Infektionen entfallen 106 allein auf Mecklenburg-Vorpommern, und von diesen sind 45 Fälle mittlerweile bestätigt. Das Landesamt für Gesundheit und Soziales spricht von einem Ausbruch und berichtet, dass 17 Menschen an dem hämolytisch-urämische Syndrom erkrankt sind (Stand: 23.09.2025).

Die Suche nach der Infektionsquelle läuft. Im August geriet zunächst eine Zwiebelmettwurst unter Verdacht. In einer am 11. August produzierten Charge wurden EHEC-Bakterien nachgewiesen, woraufhin ein Thüringer Fleischverarbeitungsbetrieb die potenziell betroffenen 500-Gramm-Packungen zurückrief. Allerdings ergaben weitere Labouruntersuchungen, dass es sich bei dem in der Wurst gefundenen Erreger nicht um denselben Typ handelt, der für das aktuelle Ausbruchsgeschehen verantwortlich ist.

„Und je länger wir diesen Bakterienstamm in Mecklenburg-Vorpommern haben, umso schwieriger wird es auch, beprobbare Lebensmittel aufzufinden oder sich zu erinnern, wann habe ich wo etwas gegessen“, erklärte die Gesundheitsministerin Stefanie Drese in Schwerin. Die Betroffenen seien ausführlich zu Aufenthaltsorten und verspeisten Lebensmitteln befragt worden.

Die Antworten abzugleichen, Parallelen festzustellen und daraus eine mögliche Infektionsquelle abzuleiten, gleiche einer Sisyphusaufgabe, sagte Drese. Anfang September war der für den Ausbruch in Mecklenburg-Vorpommern verantwortliche Bakterienstamm identifiziert worden, nach Angaben der Ministerin gilt dieser als besonders aggressiv, ist aber eher selten in Europa zu finden.

Der Bakterienstamm, der derzeit mit dem Ausbruch in Verbindung gebracht wird, wurde am 5. September vom Nationalen Referenzzentrum (NRZ) für Salmonellen und andere bakterielle Enteritis-Erreger am Berliner Robert-Koch-Institut identifiziert: Er wird zum seltenen Serovar O45:H2 gezählt. Unter den 10.633 im ersten Halbjahr analysierten Proben in Deutschland ließen sich diesem nur 13 Stämme zuordnen; in vier Fällen litten die Betroffenen an HUS.

Als Serovare oder auch Seroytypen werden verschiedene Untergruppen von Bakterien innerhalb einer Art bezeichnet. Sie unterscheiden sich in bestimmten Merkmalen ihrer Lipopolysaccharide, tragen also ein anderes „Oberflächenmuster“, auf das auch das menschliche Immunsystem unterschiedlich reagiert. Dementsprechend gibt es O-, H- sowie K-Antigene, und bislang sind mehr als 50 toxinproduzierende EHEC-Serotypen bekannt, O157 hat international die größte Bedeutung.

Zur weltweit größten EHEC-Epidemie, bisher, kam es im Jahr 2011 – in Deutschland. Verantwortlich waren damals Erreger des seltenen EHEC-Serotyps O104:H4. Von den schätzungsweise fast 5000 Infizierten (Referenzdefinition) in Deutschland litten damals knapp 3000 Patienten an akuter Gastroenteritis und 855 unter der schweren Folgeerkrankung HUS. Mindestens 53 Menschen starben.

Salat und Gemüse unter Verdacht

Aufmerksam wurde man auf das Geschehen im Mai 2011, als in Norddeutschland auffällig viele Menschen an schweren Durchfällen erkrankten, insbesondere junge Frauen. Das Robert Koch-Institut (RKI) informierte am 21. Mai das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) und das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) über die ungewöhnliche Häufung. Wenige Tage später wurde davor gewarnt, Blattsalate, Tomaten und Gurken roh zu verzehren.

Am Institut für Hygiene des Universitätsklinikums in Münster ist das HUS-Konsiliarlabor angesiedelt, dort trafen am 23. Mai 2011 die ersten Proben für die Analyse ein. Innerhalb von zwei Tagen konnte geklärt werden, um welchen Seroytp es sich handelt. Bald darauf standen Salatgurken aus Spanien unter Verdacht, Anfang Juni wurde die Aufmerksamkeit auf Sprossen gelenkt. Am Ende belaufen sich allein die Einnahmeausfälle in der Europäischen Union auf mehr als 800 Millionen Euro.

Die Aufklärung gelang dank detektivischem Spürsinn und mühevoller Fleißarbeit, so nahmen sich die Ermittler unter anderem die Warenströme vor. Ende Juni fanden sie schließlich eine Verbindung zwischen Fällen in Nordrhein-Westfalen und denen in einem französischen Kinderheim bei Bordeaux: Sprossen von Bockshornklee.

Die Spur der kontaminierten Samen ließ sich bis nach Ägypten zurückverfolgen. Am 26. Juli konnte das RKI diesen Ausbruch immerhin für beendet erklären.

Unabhängig davon treten EHEC-Infektionen aber immer mal wieder auf. Daten des Robert-Koch-Instituts zufolge wurden im Jahr 2024 ungewöhnlich viele Fälle erfasst: 4567 Fälle, zum Vergleich: 2022 waren es nur 1830. Zehn Jahre zuvor, 2014 und 2012, wurden dem RKI über die Gesundheitsämter und Landesstellen 2195 beziehungsweise 1532 Fälle gemeldet, Leni ist einer davon.

„Gemeinsame Quelle“

„Was wir aber gerade in Nord- und Ostdeutschland sehen, ist ein besonderer Keim, einer, der sehr selten in Deutschland vorkommt, der jedoch fast immer mit einem HUS vergesellschaftet ist“, sagt der Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin Dominik Müller. Er ist Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin und Oberarzt der Nephrologie an der Charité in Berlin und erklärt gegenüber WELT: „Das heißt, wenn er so selten vorkommt und die infizierten Kinder fast alle diesen Keim haben, dann muss es eine gemeinsame Quelle geben.“

Die Gesundheitsämter ermitteln deshalb die Serotypen der jeweiligen EHEC-Erreger. Trotzdem lasse sich der Ursprung nur schwer nachvollziehen, da die Krankheitssymptome erst nach sieben bis 14 Tagen erkennbar seien, sagt Müller und erklärt, wie sich Menschen meistens infizieren: Sind Lebensmittel durch tierische Fäkalien verunreinigt und werden roh oder nicht ausreichend erhitzt verzehrt, können EHEC-Bakterien mit der Nahrung in den Körper gelangen – und es treten einzelne Krankheitsfälle auf.

Sind ganze Lebensmittellieferungen betroffen, drohen größere Ausbrüche. Diesen könnte dann mit zusätzlichen hygienischen Maßnahmen vorgebeugt werden, wie die Hände und Küchenzubehör gründlich mit Seife zu waschen und sorgfältig abzutrocknen.

Dass die Behörden bereits von einem Ausbruch sprechen und damit Erinnerungen an die Infektionswelle von 2011 wecken, kritisiert Müller gegenüber WELT. Der Kinderarzt warnt davor, Panik zu schüren. Sonst würden Eltern mit ihren Kindern wegen jedem Bauchschmerzen eine Rettungsstelle aufsuchen, wie er es jetzt schon mehrfach an der Charité erlebte. Müller empfiehlt: „Zunächst Kinderarzt aufsuchen und in die Rettungsstelle, wenn Kinder andauerndes Erbrechen und Durchfall haben. Besonders wenn der Durchfall blutig ist.“

Denn durch Verdachtsfälle überfülle Notaufnahmen überlasten das Personal. Das Gesundheitssystem sei insgesamt belastet, Intensivkapazitäten seien besonders begrenzt. Mehrere Fälle pro Tag sind kaum zu bewältigen, mehrere Kinder mussten deshalb in andere Kliniken verlegt werden. Die Kinder seien dann fern des Wohnortes und die Versorgung und Betreuung durch die Eltern oft nicht vollständig gewährleistet. „Es sind nicht viele, aber das Einzelschicksal ist enorm“, sagt Müller, der auch die kleine Leni behandelt hat.

Medikamente – um die Nieren zu entlasten

Lange Zeiten im Krankenhaus würden Spuren hinterlassen. „Für Kinder ist das ein absolutes Trauma, weil sie nicht wissen, was mit ihnen passiert. Sie kommen gegen ihren Willen irgendwohin, wo sie unter Umständen unangenehme Prozesse über sich ergehen lassen müssen“, erläutert Müller. Es stünde sowohl für die Kinder als auch deren Eltern eine psychotherapeutische Unterstützung zur Verfügung.

Heute, 13 Jahre nach ihrer Infektion, spricht Leni mit WELT über ihre EHEC-Erkrankung. Noch immer muss die inzwischen 15-Jährige Medikamente nehmen, um die Nieren zu entlasten. Zweimal im Jahr unterzieht sie sich einer Routineuntersuchung, um die Nierenwerte zu kontrollieren. Davon abgesehen kann sie jedoch das Leben eines normalen Teenagers führen.

Obwohl sie damals erst zwei Jahre alt war, kann sie sich an die bange Zeit im Krankenhaus erinnern. Von der Dialyse-Maschine hing ihr Überleben ab, doch: „Es hat sehr weh getan, die großen Schläuche, wenn man da die ganze Zeit dranhängt, man kann sich nicht bewegen“, erzählt sie. „Man konnte mich nicht ansprechen, ich habe nur geweint oder geschrien.“ Dort, wo die Dialyseschläuche mit ihrem Körper verbunden waren, blieben Narben zurück.

Drei Narben am Bauch, eine größer als die beiden anderen. Eine Wunde habe sich damals entzündet, sagt Leni. Manchmal werde sie gefragt, ob das ein zweiter Bauchnabel sei. „Damit will ich mich nicht abfinden“, sagt sie. Die Narbe soll weg, so bald wie möglich.

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