Die Rheumatologin Eva Christina Schwaneck erläutert, wie Autoimmunerkrankungen irrtümlich den Knieknorpel attackieren – und wie innovative Therapien dagegen helfen können

Frau Dr. Schwaneck, Christian, der Patient, der dem stern seine Geschichte erzählt hat, leidet unter einer Autoimmunerkrankung: Schon in jungen Jahren hat sie eines seiner Knie angegriffen: Nach zehn Kilometern Laufen wurde es erstmals dick und unbeweglich, dann immer wieder. Lange behandelten Orthopäden es immer wieder erfolglos. Erst dann stellte sich heraus, dass es eine autoimmun verursachte Entzündung war. Und das sogar eher zufällig.
Dass das Problem nach einer starken Belastung entstanden ist – noch dazu einseitig – lenkt den Verdacht verständlicherweise erst einmal auf ein orthopädisches Problem. Und in aller Regel wird man dann auch erst einmal entsprechend behandelt werden. Oder man sagt sich: "Kommt von selbst, geht von selbst." Aber: wenn es das nicht tut oder wenn es wiederkehrt, würde ich bei so einem jungen Menschen nicht einfach unterstellen, dass dahinter tatsächlich ein bloßes orthopädisches Problem steckt. Und dann kommt es darauf an, dass sorgfältig diagnostiziert wird. Ich als Rheumatologin komme oft in diesem Moment ins Spiel – womit keineswegs gesagt ist, dass wir auch eine der rheumatischen Erkrankungen bei allen finden, die zu uns kommen. In vielen Fällen können wir eine solche Diagnose dann auch zuverlässig ausschließen.

Wie lässt es sich in einem Fall wie dem von Christian klären?
Ich würde eine Kernspintomografie empfehlen – und dann sehe ich, ob es etwa einen Meniskusriss gibt, den man operieren sollte. Wenn ich aber gar keinen sogenannten "Binnenschaden" im Kniegelenk finde und das Knie ist dennoch entzündet und dick, dann sind wir gefragt, die Rheumatologie. Denn die Quelle der Entzündung kann vielfältig sein. Es kann eine reaktive Arthritis nach einem Infekt vorliegen, eine rheumatoide Arthritis, bekannt als chronischer Gelenksrheumatismus, oder eben eine Psoriasis-Arthritis, die bei Christian nachgewiesen wurde und die auf die weit verbreitete Schuppenflechte zurückgeht.

stern-Dossier Wie das Knie ein Leben lang beweglich bleibt

Lange Zeit war weniger bekannt, dass eine so häufige Autoimmunerkrankung oft auch die Gelenke befällt. Viele Menschen sehen die Schuppenflechte aber selbst heute noch als reine Hautkrankheit an und bringen Sie nicht mit Gelenkproblemen in Verbindung.
Mehr noch – manche Patienten stören sich nicht einmal an wirklich auffälligen Hautbefunden, wie mir scheint. Ein Beispiel: ein Patient wurde kürzlich am Finger operiert – der war dick, er ließ ihn von einem Handchirurgen behandeln. Der Arzt fragte ihn ausdrücklich: "Haben Sie Schuppenflechte?" Der Patient hat es verneint, er wünschte sich die Operation und kann seither den Finger nicht mehr beugen. Einige Zeit später kam er zu mir. Und auch ich fragte ihn: "Haben Sie Schuppenflechte?" Und wieder war die Antwort ein klares Nein. Ich betrachte ihn also, gehe um ihn herum und sehe: Er hat eine handtellergroße Flechte im Nacken!

Er nahm das gar nicht wahr?
Offensichtlich nicht – und deshalb ist eine ausgiebige und vollständige ärztliche Untersuchung so entscheidend wichtig.

Dr. med. Eva Christina Schwaneck ist Fachärztin für Innere Medizin und Rheumatologie. Sie ist Geschäftsführerin am MVZ Rheumatologie und Autoimmunmedizin Hamburg © stern

Die Leidensgeschichte vieler Patientinnen und Patienten ist sehr lang, teils mit einer Odyssee durch Praxen verbunden. Die Termine hier im Rheumazentrum hingegen laufen offensichtlich sehr zügig und effizient. Das ist ein starker Kontrast, wie schafft man es, die große Zahl der Hilfesuchenden zu versorgen?
Wir schaffen tatsächlich alle zehn bis 15 Minuten einen Patienten bei gleichbleibender Qualität, weil wir uns gut organisiert haben. Wir haben viele interne Leitlinien, an die wir uns halten und obendrein umfangreiche eigene diagnostische Ressourcen im Laborbereich. Wenn es für Sie so offensichtlich zügig vorangeht, ist das vor allem ein Zeichen überlegener Organisation.

Was in einem Gelenk wie dem Knie wird vom Immunsystem angegriffen?
Die fehlgeleitete Abwehrreaktion bewirkt eine Entzündung der Gelenkinnenhaut. Sie schwillt an und schüttet Flüssigkeit aus, deswegen wurde das Knie im geschilderten Fall dick. Wenn die Entzündung unbehandelt ist, schreitet sie fort und kann quasi tumorartig den Knochen angreifen und den Knorpel zerstören. Dann folgt auf die Arthritis also die Gelenksentzündung eine sogenannte Sekundärarthrose, eine Arthrose geht ja generell auf den Verlust des Gelenkknorpels zurück.

Es gibt offenbar eine Vielzahl von Erkrankungen, die solche Entzündungen auslösen.
So ist es, und heute können wir die verschiedenen Formen der rheumatischen Erkrankungen mithilfe des Labors genauestens unterscheiden. Oft verraten sie sich bereits durch ihre typischen Muster. Für die Psoriasis-Arthritis haben wir das schon besprochen, die zeigt sich sehr oft nur einseitig, während die rheumatoide Arthritis hingegen in aller Regel beidseitig auftritt. Obendrein ist die Häufigkeit der Erkrankungen ungleich nach Geschlechtern verteilt. Insgesamt sind Autoimmunerkrankungen bei Frauen häufiger, und das gilt auch für die Rheumatoide Arthritis, aber der Morbus Bechterew zum Beispiel, bei dem sich die Gelenke der Wirbelsäule entzünden, ist ganz überwiegend eine Erkrankung jüngerer Männer. Insofern haben wir in der Rheumatologie schon einen guten diagnostischen Blick dafür, womit wir es zu tun haben dürften, aber durch die modernen labordiagnostischen Verfahren können wir den richtigen Befund ganz ausgezeichnet sichern und schließlich auch die Behandlung ganz präzise auswählen.

stern-Dossier Was soll ich essen, um meinen Gelenken Gutes zu tun?

stern-Dossier Was soll ich essen, um meinen Gelenken Gutes zu tun?

stern-Dossier Was soll ich essen, um meinen Gelenken Gutes zu tun?

Und entsprechend muss man diese Erkrankungen auch ganz unterschiedlich behandeln?
Ihr gemeinsames Symptom ist die Entzündung, und insofern behandelt man sie auch antientzündlich. Das ist oft auch geboten, wenn es sich nicht um eine Autoimmunerkrankung handelt, wie das bei der Gicht der Fall ist – denn da liegt eine Stoffwechselkrankheit zu Grunde: Harnsäure wird nicht ausreichend ausgeschieden, sie bildet in den betroffenen Gelenken Kristalle und das Immunsystem versucht, mit einer Entzündung diese Kristalle zu beseitigen. Hier würde man die akute Entzündung behandeln, langfristig aber die Stoffwechselerkrankung. Bei Autoimmunerkrankungen dagegen muss ich die fehlgeleitete Reaktion des Immunsystems bekämpfen. Tue ich das nicht, würde das Gelenk auf lange Sicht zerstört werden, einschließlich des Knorpels, und dann hätte die Arthritis eine sekundäre Arthrose verursacht.

Antientzündliche Medikamente machen so manchem Menschen Angst, weil sie das Immunsystem dämpfen – und die volkstümliche Idee scheint zu sein, dass es nie "stark" genug sein kann. Schon beim Thema Cortison kommt die Rede sehr schnell auf Nebenwirkungen.
Ja, auch bei den Standardmedikamenten in der Rheumatologie ist es so, zum Beispiel bei Methotrexat, "MTX". Aus dem Netz bringen die Patienten die Information mit, dass MTX auch in der Chemotherapie einiger Tumoren eingesetzt wird und haben deswegen Angst davor. In der Tumortherapie werden aber wesentlich höhere Dosierungen – Faktor 100 – eingesetzt. So wie MTX in unseren antientzündlichen und langfristigen Behandlungen dosiert wird, ist es sehr gut verträglich.

Was tun Sie, wenn eine antientzündliche Behandlung nicht anschlägt?
Patienten wie Mediziner müssen mit einiger Geduld auf die Ergebnisse schauen und nach einem Einstellungszeitraum abwägen, ob die individuell optimale Strategie gefunden ist. Aber ich sage allen immer wieder: Resignieren Sie nicht, wenn wir mehrmals ansetzen müssen. Ich als Ärztin kann heute sehr sicher sein, dass ich eine Behandlungsstrategie finden werde. Dabei spielt auch eine Rolle, dass es in unserem Feld wirklich eindrucksvolle Durchbrüche gegeben hat; wer glaubt, es gebe keine Fortschritte mehr in der Medizin, liegt sehr falsch.

Etwa?
Die Antikörpertherapien, die für ein ganzes Spektrum von Autoimmunkrankheiten eingeführt wurden, haben eine außerordentlich präzise Wirkung auf die jeweilige Erkrankung. In unserem Fall, bei Christian, kann man das deutlich sehen. Er braucht heute noch alle zwei Monate eine Injektion, die er selbst vornehmen kann. Damit ist seine Psoriasis unterdrückt, das Knie wird nicht weiter geschädigt. Nur viermal im Jahr kommt er in die Praxis, um zu prüfen, ob alles stabil ist.

Es heißt, diese Arzneimittel seien ungeheuer teuer.
Aber die Verbesserung für Erkrankte ist so bedeutend, dass in Deutschland klar entschieden wurde: Die Gesetzliche Krankenversicherung zahlt diese Therapie. In anderen Ländern ist das nicht in allen Fällen so, in Großbritannien etwa. Solche Fortschritte in der Rheumatologie bewirken ja, dass Menschen nicht mehr wegen ihrer massiven Symptome geradezu verstümmelt werden, dass ihre Knochen und Knorpel so zerstört sind, dass sie am Leben nicht mehr teilhaben können. Mich fasziniert dieser enorme Fortschritt sehr, salopp gesagt: Da kommen Patienten regelrecht hereingekrochen, die Gelenke eine echte Katastrophe – und Du verschreibst einen Antikörper, und es macht "puff!", und alles ist weg.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke