Was in Deutschland noch wie Zukunftsmusik klingt, ist in Großbritannien längst Realität. Dort läuft der Museumsbesuch unter dem Dach des „Social Prescribing“ – also der Verschreibung sozialer oder kultureller Aktivitäten zur Gesundheitsförderung – als einem festen Baustein des staatlich finanzierten Gesundheitssystems NHS (National Health Service).

Die ersten Museumsrezepte, „Museums on Prescription“ genannt, starteten 2014 in einem dreijährigen, preisgekrönten Pilotprojekt. Zunächst war das Angebot für ältere, sozial isolierte Menschen verfügbar. Heute sind Kunst- und Museumsbesuche fest im Gesundheitssystem verankert. Die Wirkung ist messbar: 37 Prozent weniger Hausarztbesuche, 27 Prozent weniger Krankenhauseinweisungen. Die Zahlen stammen aus den 2023 erhobenen Daten der „Culture Health & Wellbeing Alliance“, ein landesweites Netzwerk kreativer Gesundheitsinitiativen.

Auf Großbritannien folgte Kanada. Seit 2018 verschreiben Ärztinnen und Ärzte in Montreal Besuche im Museum of Fine Arts. Pro Jahr kann jeder Arzt bis zu 50 Rezepte ausstellen, die von der Krankenkasse übernommen werden. Studien des dortigen AgeTeQ-Labors belegten: Wer auf Rezept ins Museum geht, zeigt messbar höhere Lebensqualität und psychisches Wohlbefinden.

Das Konzept fand schnell weitere Anhänger. In Brüssel begann 2021 ein ähnliches Programm: Gestartet mit fünf Museen und 33 Medizinern, sind heute mehr als zehn Museen und 18 medizinische Einrichtungen beteiligt. Die Kosten für den Eintritt in die Brüssler Museen übernimmt die Stadt.

In Frankreich wird die Idee landesweit umgesetzt – von Rennes in der Bretagne bis an die Côte d’Azur. In Nizza erlaubt ein „L’art c’est la santé“-Rezept („Kunst ist Gesundheit“) auch den Besuch des renommierten Matisse-Museums. Parallel erforschen zahlreiche Forschungsprojekte im ganzen Land, welchen Einfluss Kunstbesuche auf das Wohlbefinden haben.

Kunsthistorikerin Nathalie Bondil, Ex-Direktorin des Museum of Fine Arts und heute Leiterin des Institut du Monde Arabe in Paris, ist überzeugt: Im 21. Jahrhundert wird Kultur für unsere Gesundheit das, was Sport im 20. Jahrhundert war.

Museumstherapie in Deutschland

Im Radiosender „France Info“ erklärte sie: „Der Mensch ist biologisch darauf ausgelegt, von Schönheit berührt zu werden und dadurch Wohlbefinden zu empfinden.“ In Montreal setzte Bondil die Idee 2018 schließlich praktisch um.

Den Erfolg solcher Museumsbesuche beschreibt Dr. Catherine Hanak, leitende Psychiaterin an der Uniklinik Brugmann in Brüssel, anschaulich in der Wochenzeitung „Le Nouvel Obs“: „Wenn wir etwas Angenehmes tun, reagiert unser Gehirn wie bei einem kleinen Feuerwerk – Dopamin wird freigesetzt, und wir fühlen uns sofort wohl. Das passiert beim Sport, bei einem Spaziergang im Wald – und genauso, wenn uns ein Kunstwerk berührt.“

Auch in Deutschland zeigt die Forschung, dass Museumsbesuche Depressionen, Demenz und Einsamkeit lindern können – und das oft wirksamer und günstiger als Medikamente. Ein Bericht der TU Dresden empfahl daher die Besuche in die Regelversorgung aufzunehmen. Darin heißt es: „Eine Jahreskarte fürs Museum wirkt offenbar deutlich wirksamer als Medikamente – besonders bei der Linderung depressiver Symptome von Menschen mit Demenz.“

Gemeinsam mit der Charité erprobt das Bode-Museum das Projekt „Das heilende Museum“. Es will die Achtsamkeit vor Kunstwerken steigern. Dafür steht ein eigens dafür hergerichteter Raum zur Verfügung, in dem verschiedene Meditationstraditionen präsentiert werden. Wer teilnehmen möchte, kann die Übungen per Audioguide, Smartphone oder Website abrufen. Dabei fallen als Kosten Museumseintritt und ein Teilnehmerbeitrag an.

Schon 2019 wertete die Weltgesundheitsorganisation über 3000 Studien aus. Mit klarem Ergebnis: Kunst- und Kulturangebote stärken die psychische und physische Gesundheit. Sie würden helfen, Leiden zu verarbeiten und den Genesungsprozess zu fördern.

Darauf basiert die Museumstherapie. Anders als die bekanntere Kunsttherapie erfordert sie keine künstlerische Veranlagung. Wichtig ist nur die Bereitschaft, Kunst bewusst zu erleben, etwa nach dem Slow-Art-Prinzip, bei dem man sich Zeit für einzelne Werke nimmt. Neu ist die Erkenntnis, dass schon die reine Begegnung mit Kunst kann heilsam sein. Eigenes kreatives Schaffen braucht es dafür nicht.

Seit 2014 nehmen Initiativen in diese Richtung Fahrt auf. Die Museumstherapie erlebt laut Forscherin Leslie Labbé ihren Moment des Aufbruchs. Doch so verlockend die Idee klingt, bleibt eine Hürde: Im Gespräch mit „France Culture“ räumte Labbé ein, dass der medizinische Nutzen bisher nicht abschließend wissenschaftlich belegt sei.

Trotzdem machte sie deutlich, warum Museumsbesuche so wertvoll sein können: „Wer eine Krankheit behandelt, therapiert nicht nur die Symptome, sondern begleitet den Menschen als Ganzes – und dazu bietet ein Museum unzählige Ansatzpunkte, die sich therapeutisch nutzen lassen.“

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