Medizinische Studien stammen zum großen Teil aus westlichen Ländern – und sind damit nicht unbedingt auf den Rest der Welt übertragbar. Ein eindrückliches Beispiel dafür liefert jetzt eine aktuelle Untersuchung zum sogenannten Entzündungsaltern, in der Fachwelt als „Inflammaging“ bekannt. Damit sind altersbedingte, niedrigschwellige Dauerentzündungen gemeint, die nicht lokal oder auf ein Organ begrenzt sind.

Bislang nahm man an, diese Zunahme an entzündlichen Prozessen sei altersbedingt und trage zu Erkrankungen wie Alzheimer, Diabetes und anderen chronischen Krankheiten bei. Die aktuelle Studie bestätigt diese Vermutung für Menschen in Industrieländern – für Bewohner anderer Länder jedoch nicht unbedingt, berichtet die Fachzeitschrift „Nature Aging“.

Das Team um Maximilien Franck von der kanadischen Universität Sherbrooke und Alan Cohen von der Columbia Universität wertete Datensätze mit Gesundheitsinformationen von vier Personengruppen aus: je eine aus Italien und Singapur sowie zwei von eher traditionell lebenden Ethnien aus dem bolivianischen Amazonasgebiet und aus Malaysia.

Um Entzündungsmuster festzustellen, wurde analysiert, inwieweit 19 verschiedene Zytokine – also Botenstoffe des Immunsystems – im Blut vorhanden waren. Während diese Entzündungsmarker in den Gruppen aus Italien und Singapur in Zusammenhang mit dem Altern standen, wurde dies bei den beiden anderen Gruppen nicht in gleicher Weise nachgewiesen. In den indigenen Gruppen aus Bolivien und Malaysia, den Tsimane und den Orang Asli, hingen Entzündungsprozesse demnach weniger mit dem Alter als vielmehr mit akuten Infektionen zusammen.

Kaum Alterskrankheiten bei indigenen Völkern

In den beiden Gruppen, vor allem bei den Tsimane aus Bolivien, hatten viele Menschen Atemwegs- oder parasitäre Infektionen. Allerdings waren diese weder in höheren Altersgruppen stärker ausgeprägt noch gingen sie mit jenen chronischen Krankheiten einher, die in westlichen Industrienationen weitverbreitet sind. Im Gegenteil: Diabetes, Alzheimer und Herzleiden kamen demnach bei den indigenen Gruppen kaum vor.

„In industrialisierten Regionen sehen wir klare Zusammenhänge zwischen dem Entzündungsaltern und Krankheiten wie chronischem Leberversagen“, sagt Autor Cohen. „In Bevölkerungsgruppen mit hohen Infektionsraten scheinen Entzündungen eher auf Infektionskrankheiten als auf das Altern selbst zurückzugehen.“

Die Ergebnisse stellten infrage, ob Entzündungen generell ein Problem seien, sagt Cohen. „Es scheint eher, dass Entzündungen – und vielleicht auch andere Alterungsprozesse – sehr vom Kontext abhängig sind. Einerseits ist das herausfordernd, weil es keine universelle Antwort auf wissenschaftliche Fragen gibt. Andererseits ist es vielversprechend, denn es bedeutet, dass wir eingreifen und Dinge ändern können.“ Mögliche Einflüsse seien Umweltbedingungen, Ernährung oder Lebensstil.

Weckruf für die Gesundheitsforschung

Das Team sieht seine Resultate als Anstoß dafür, generell zu hinterfragen, ob sich Befunde aus der Gesundheitsforschung, die in Industrieländern gewonnen wurden, verallgemeinern lassen.

Die nicht an der Studie beteiligte Epidemiologin Chiara Herzog vom King's College London weist darauf hin, dass sich in den Gruppen aus Italien und Singapur mit zunehmendem Alter ein typisches Entzündungsprofil zeige, das mit chronischen Krankheiten im Alter in Verbindung stehe: „Das stärkt die Vermutung, dass bestimmte Lebensbedingungen in industrialisierten Gesellschaften diesen Prozess fördern.“ Es werde aber auch deutlich: „Was für diese Bevölkerungen gilt, lässt sich nicht automatisch auf alle Menschen weltweit übertragen.“

Der Epidemiologe Ahmad Aziz vom Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen in Bonn findet die Ergebnisse zwar „faszinierend“, ist aber nicht davon überzeugt, dass sie „ausreichend robust sind, um den Begriff des Inflammaging zu verwerfen“. Er kritisiert die verwendete Methodik und führt an, dass auch die unterschiedliche Verteilung von Alter, Geschlecht oder Umweltfaktoren mitverantwortlich für Unterschiede zwischen den Gruppen sein könnte.

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