Wenn Wyn Evans im Ystwyth Valley in Wales morgens auf der Wiese aus seinem Jeep steigt, rennen ihm seine 300 Schafe und Osterlämmer entgegen. Die Zuneigung gilt weniger ihm als den blauen Säcken, die er mit sich führt. Diese enthalten Kraftfutter, das die Tiere lieben – und das Wyn immer öfters zum Rechnen bringt.

Das Futter habe vor dem Brexit etwa 220 Pfund pro Tonne gekostet. Mittlerweile bezahle er 368 Pfund. Die Betriebskosten seien deutlich gestiegen. Die Europäische Union sei aber immer noch der wichtigste Absatzmarkt für walisisches Lammfleisch.
Das Lammfleisch ist heute exklusiver
«Die administrativen Hürden an der Grenze sind viel grösser geworden, seit wir nicht mehr in der EU sind. Das erhöht die Import- und Exportkosten und die Preise.» Seit das Vereinigte Königreich nicht mehr Teil der Europäischen Union sei, müssten beispielsweise für jedes Schaf veterinärmedizinische Atteste in mehrfacher Ausführung vorgelegt werden. Das sei nicht nur aufwendig, sondern auch teuer.
«Trotzdem wissen die Konsumentinnen und Konsumenten auf dem europäischen Festland unser walisisches Lammfleisch immer noch zu schätzen.» Und zwar so sehr, dass die Verkaufspreise trotz aller Widrigkeiten seit dem Brexit sogar gestiegen seien. Vor dem Brexit habe er für ein Schaf auf dem europäischen Festland rund 60 Pfund erhalten. «Im Moment liegen die Preise bei 100 Pfund.»
Diese auf den ersten Blick leicht widersprüchliche Tatsache erklärt Wyn so: Weil die Produktionskosten gestiegen seien, gebe es in Wales mittlerweile weniger Schafe. Das Angebot sei damit kleiner, die Nachfrage aber immer noch gleich, deshalb seien die Erlöse grösser als vor dem Brexit.
«Deshalb sind wir Schafbauern immer noch hier. Ich bin zwar gegen den Brexit gewesen, aber es wurde weniger schlimm als ich gedacht hatte.» Man müsse vorwärts schauen. Es bringe nichts, der Vergangenheit nachzutrauern, erklärt der Schafsbauer auf der Rückfahrt im Landrover.
Dazu bleibt auch gar keine Zeit. Im Autoradio kündigt sich in den BBC-Mittagsnachrichten unheilvoll die Zukunft an. Am Tag zuvor hat Donald Trump im Rosengarten des Weissen Hauses die Wiedergeburt Amerikas verkündet. Und in Wales zwischen blühenden Osterglocken realisiert Wyn, dass dies für ihn und seinen Betrieb alles andere als rosig werden könnte.
Es droht ein Freihandelsabkommen
Dies sei nur der Anfang, meint Wyn, während sich seine Hände am Steuer verkrampfen. Die Charme-Offensive der Briten hat nichts gebracht. Sie werden mit den gleichen Tarifen bestraft wie die Pinguine in der Antarktis und die Bewohner des Kongos – nämlich zehn Prozent.
Um die neuen Zölle abzuwenden, sei Premierminister Keir Starmer allenfalls gewillt, mit den USA ein Freihandelsabkommen zu unterzeichnen. US-Vizepräsident J.D. Vance hat in diesen Tagen ein solches bilaterales Abkommen zwischen London und Washington ausdrücklich begrüsst.
Doch genau vor einem solchen Freihandelsabkommen fürchten sich die britischen Landwirte. Denn das könnte bedeuten, dass künftig amerikanische Farmer den britischen Markt mit billigem Fleisch überschwemmen dürften. Dies müsse Starmer mit allen Mitteln verhindern, sonst könnten die walisischen Schafbauern nicht mehr mithalten.

Wyn Evans fürchtet zudem, dass mit einem Freihandelsabkommen automatisch die Lebensmittelvorschriften an diejenigen der USA angepasst würden. Und diese sind bekanntlich viel weniger streng als jene im Vereinigten Königreich und der Europäischen Union. Dies wiederum könnte die Handelsbeziehungen zwischen Brüssel und London belasten.
«Jetzt muss Keir Starmer Rückgrat zeigen und Trump klar und deutlich sagen: ‹Genug ist genug.› Die Botschaft muss lauten: ‹Dieses Verhalten akzeptieren wir nicht, wir haben keine Angst vor Tyrannen und laden solche auch nicht zum Tee beim König ein.›» Immerhin sei Starmer mal Staatsanwalt gewesen. Er sollte eigentlich wissen, wie man mit solchen Leuten spreche. Denn wenn Starmer einknicke, dann opfere er weit mehr als Lämmer.
Teil der walisischen Kultur
Was Bauer Evans damit meint, erklärt er einige Kilometer südlich: Wyn öffnet in der walisischen Hügellandschaft in einer Weissdorn-Hecke ein kleines Gittertor. Der Zugang zu einem Friedhof mit einigen Dutzend windschiefen Grabsteinen aus schwarzem Schiefer. «Meine Familie und meine Vorfahren leben seit 500 Jahren in dieser Hügellandschaft.»
Alle Leute würden zurzeit von der Börse und der Autoindustrie reden. Wenn auf der Welt ein Handelskrieg tobe, würden jedoch nicht nur Aktienkurse fallen, sondern es könnte sich bald auch der Alltag hier im Istwyth Valley sehr verändern, vermutet Evans.
Er wechselt in seine Muttersprache Walisisch. «Meine Vorfahren, die hier begraben sind, waren Hirten, Poeten und Barden.» Sie hätten die Landschaft über mehr als zehn Generationen hinweg geprägt und zur Kultur von diesem Teil der Welt beigetragen. «Dieses Erbe müssen wir bewahren. Wenn wir wegziehen müssten, weil wir unsere Schafe nicht mehr verkaufen können, wäre das für mich, aber ebenso für Wales, ein trauriger Tag.»
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke