Die Energiemultis gehören zu den Opfern der Handelsposse, die US-Präsident Donald Trump ausgelöst hatte. Eine Industrie, die weltweit kaum noch Handel treiben kann, drosselt die Produktion und ordert entsprechend weniger Öl und Gas.
Der Aktienkurs von Shell brach deshalb innerhalb der letzten fünf Tage um 20 Prozent ein. BP-Anteilsscheine verloren in Wochenfrist ein Viertel ihres Wertes. Der Absturz war sogar noch dramatischer als nach der Deepwater-Horizon-Katastrophe im Golf von Mexiko, als BP am 20. April 2010 für die größte Umweltkatastrophe der US-Geschichte verantwortlich gemacht wurde.
Trump hatte der US-Ölindustrie mit seinem Kampfruf „Drill, baby, drill“ zwar ein goldenes Zeitalter versprochen: Doch die Aussicht auf eine globale Rezession als Folge der Zollpolitik drückte auch die Aktienkurse von US-Ölmultis wie ExxonMobil tief in den Keller. Am Mittwoch betrug der Wertverfall bereits mehr als 16 Prozent.
In der Erwartung einer globalen wirtschaftlichen Abkühlung haben Öl- und Gashändler ihre Beschaffung drastisch zurückgefahren: Am europäischen Handelspunkt TTF sanken die Notierungen für Erdgas innerhalb weniger Tage von 42 auf unter 35 Euro pro Megawattstunde. Erdöl der Nordsee-Sorte Brent hatte vor einem Jahr noch bei 90 Euro pro Fass (Barrel) notiert, am Mittwoch durchbrach der Wert zeitweise die 60-Dollar-Marke nach unten.
Weil Gas und Öl meist in langfristigen Verträgen beschafft wird, ist dieser Preisverfall bei den Endverbrauchern noch nicht spürbar. Der ADAC drängt aber bereits ungeduldig auf Preisnachlass an der Tankstelle: „Von einem angemessenen Rückgang der Spritpreise kann noch keine Rede sein“, kritisierte der Automobilclub am Mittwoch: Der Preis für einen Liter Super E10 sei bislang nur um 1,4 Cent auf 1,689 Euro gesunken, beim Diesel werde nur 1,1 Cent weniger berechnet als vor Wochenfrist.
„Angesichts des dramatischen Einbruchs der Rohölnotierungen erwartet der ADAC, dass die Mineralölkonzerne den Preisvorteil durch die niedrigeren Ölpreise jetzt zügig an die Autofahrerinnen und Autofahrer weitergeben“, fordert der Club: Die Spritpreise sollten „um mehrere Cent sinken.“ Schließlich sei ja auch der Wechselkurs des Euro im Vergleich zum Dollar wieder gestiegen, heißt es in einer ADAC-Erklärung: „Damit verbilligt sich der Kauf von Rohöl zusätzlich – ein weiteres gewichtiges Argument für spürbar niedrigere Kraftstoffpreise.“
Für die deutsche Wirtschaft bedeuten die fallenden Energiepreise vorerst eine leichte Entlastung: Denn kein Land in Europa braucht mehr Erdgas – für die Wärmerzeugung in Haushalten, aber auch für die Chemie- und Stahlindustrie. Auch die Strompreise hängen indirekt vom Gaspreis ab. Die kurzfristige Strombeschaffung am sogenannten Day-Ahead-Markt der Energiebörse könnte nun infolge der fallenden Gaspreise rasch günstiger werden. Zumindest Industriebetriebe, die aufgrund von Auftragslage und Produktionsschwankungen kurzfristig Energie ordern, dürften diese Entlastung spüren.
„Dann laufen wir direkt auf eine weltweite Rezession zu“
Marktbeobachter sind sich jedoch einig, dass die preisliche Entlastung an der Energiefront die negativen Folgen eines möglichen globalen Handelskrieges für Deutschland oder Europa nicht auffangen kann. „Europa“, sagt David Fyve, Chefökonom des britischen Analysehauses Argus Media, „wird durch die Zölle hart getroffen.“ Lässt Trump noch mit sich reden – so wie es aktuell wieder scheint – werde das globale Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr vielleicht nur leicht, von prognostizierten drei auf 1,5 bis zwei Prozent zurückfallen, sagte Fyve. Bleibt Trump hart, „laufen wir direkt auf eine weltweite Rezession zu.“
Zumindest vorerst hat Trump vielen Ländern einen Aufschub von 90 Tagen gewährt. Am Mittwoch kündigte er in seinem Onlinedienst Truth Social eine entsprechende Zoll-„Pause“ für zahlreiche Länder, die mit seiner Regierung über eine Lösung verhandelten. Die Basiszölle in Höhe von zumindest zehn Prozent für die meisten Länder werden in dieser Zeit beibehalten. China ist von dieser Regelung explizit ausgenommen, hier erhöht die USA die Zölle auf insgesamt 125 Prozent.
China, das bereits vor Trumps neuer Ankündigung mit extrem hohen Zöllen von 104 Prozent belegt wurde, kündigte bereits an, Härte zu zeigen: Man werde im Handelskrieg „bis zum Ende kämpfen.“ Peking revanchierte sich bereits mit einem Zoll von 84 Prozent auf importierte US-Waren.
Bleiben die Zölle auf lange Sicht doch, bleibt den früheren Handelspartnern einstweilen nur die Hoffnung auf langfristig fallende Energiepreise. Paradoxerweise nährt sogar die Organisation Erdöl-exportierender Staaten (Opec) diese Hoffnung. Das Förderkartell hatte nach Verkündigung der US-Zölle in der vergangenen Woche erklärt, die Ölproduktion im Mai sogar weiter ausdehnen zu wollen – einem anzunehmenden Einbruch der globalen Nachfrage zum Trotz. Die rätselhafte Entscheidung hatte zum starken Verfall der Ölpreise um rund 30 Prozent innerhalb weniger Tage beigetragen.
Das Fluten eines einbrechenden Marktes mit Erdöl sei eine taktische Entscheidung der tonangebenden Opec-Staaten gewesen, glaubt Argus-Chefökonom Fyve. Denn eine Reihe von Kartellmitgliedern wie Irak, Kasachstan oder Russland habe sich nicht an die vereinbarten Förderquoten gehalten – und mehr Öl als vereinbart auf den Markt geworden – zum preislichen Nachteil der übrigen Kartellmitglieder.
Die überraschende Entscheidung der Opec, den Ölhahn aufzudrehen, sei „ein Warnschuss“, um unter den Kartellmitgliedern wieder Förderdisziplin herzustellen. „Die Botschaft sollte sein: Wenn ihr eure Produktion nicht besser kontrolliert, können wir jederzeit den Ölpreis kollabieren lassen.“ Nach diesem disziplinierenden Angebotsschock, glaubt Fyve, könnte die Opec bald die Kehrtwende einleiten und ihre Produktion entsprechend der einbrechenden Nachfrage zurückfahren. Dann wäre es mit dem superbilligen Öl bald wieder vorbei.
Die Prognosen seien extrem schwierig, sagt Neil Crosby, Öl-Analyst von Sparta Commodities: Die aktuellen Preisschwankungen beim Erdöl seien „nur von Schlagzeilen getrieben.“ Jede neue Äußerung von Trump oder von seinen Gegnern im Handelskrieg würden die Kurse ausschlagen lassen: „Die physische Ölnachfrage hat sich bislang jedoch nicht geändert.“
LNG-Kapazitäten in Europa steigen
„Alle Optionen stehen derzeit zur Debatte“, schreibt Crosby: „Es könnte zu massiven langfristigen Störungen des globalen Handels und Wachstums kommen, aber auch zu insgesamt niedrigeren globalen Zöllen, wenn die beteiligten Parteien auf einen Deal aus sind.“ Die Ölpreise würden „dieser Entwicklung vorerst folgen, sobald die Schlagzeilen eintreffen.“
„Bleiben die aktuellen Zölle bestehen (Aussage stammt von vor Trumps Verkündung einer 90-tägigen Pause, d.Red.), erscheint eine Verlangsamung des globalen BIP-Wachstums unvermeidlich“, glaubt Massimo Di Odoardo, Gasmarkt-Experte der Beratungsfirma Wood Mackenzie in den USA. Folge: „Die europäische Gasnachfrage würde ebenso wie die asiatische LNG-Nachfrage zurückgehen, was es der EU – und Deutschland – erleichtern würde, ausreichend LNG zu beschaffen, um für den kommenden Winter komfortablere Lagerbestände zu erreichen.“
In diesem Fall, glaubt Odoardo, würden „die europäischen Gaspreise in diesem Jahr weiter fallen und könnten im nächsten Jahr einbrechen, da der Markt bereit ist, eine Welle neuen LNG-Angebotswachstums zu absorbieren.“
Tatsächlich werden im kommenden Jahr absehbar weltweit weitere Exporthäfen für Flüssiggas (LNG) ihren Betrieb aufnehmen, was die internationalen Gaspreise bereits sinken lässt. „Es wird einfach viel mehr LNG auf dem Weltmarkt verfügbar sein“, sagt Andreas Schröder, Chef-Analyst beim Beratungshaus ICIS: „Die Terminmärkte preisen die Auswirkungen eines reichlichen LNG-Angebots in den späten 2020er-Jahren bereits heute ein“.
Billiges Gas könnte damit die schwere Last eines möglichen globalen Konjunktureinbruchs für Deutschland mittelfristig zumindest lindern. Doch eine sichere Prognose ist das nicht: Die Preisentwicklung auf den Energiemärkten hängt von zahlreichen Unwägbarkeiten ab. So hatte es die Europäische Union bislang nicht geschafft, gegen den Widerstand von Ungarn und der Slowakei ein Embargo gegen russische Gasimporte zu verhängen. Einigt sich die EU doch noch auf ein Embargo – oder zumindest auf höhere Einfuhrzölle auf russisches Gas - sind weitere Gaspreis-Kapriolen vorgezeichnet.
Das Gleiche gilt auch für einen wie auch immer verhandelten Friedensschluss zwischen Russland und der Ukraine. Gerüchten zufolge könnte die US-Regierung in einem „Deal“ auch die Inbetriebnahme der Ostsee-Pipeline Nord Stream zwischen Russland und Deutschland zulassen. Schließlich würde dann mehr LNG im Heimatmarkt USA verbleiben können und dort die Energiepreise niedrig halten. Ob Deutschland oder irgendein anderes europäisches Land allerdings bereit ist, sich noch einmal von russischen Pipeline-Lieferungen abhängig zu machen, steht auf einem anderen Blatt.
Daniel Wetzel ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet über Energiewirtschaft, Klimapolitik und Tourismuswirtschaft. Er wurde 2007 vom Verein Deutscher Ingenieure (VDI) mit dem Robert-Mayer-Preis ausgezeichnet und vom Energiewirtschaftlichen Institut an der Universität Köln 2009 mit dem Theodor-Wessels-Preis.
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