Sie lehrt und forscht im Trump-Land: im tiefen Süden, Birmingham, Alabama. Tina Kempin Reuter ist Schweizerin mit US-Pass und lebt mit ihrer Familie schon lange in den USA. Fast zwei Drittel haben in ihrem Bundesstaat Donald Trump gewählt. Was sie jetzt an der Universität erlebe, hätte sie noch vor sechs Monaten nicht für möglich gehalten. «Ich weiss wirklich nicht, ob ich meine Forschung und meine Lehre langfristig hier in Amerika noch machen darf», sagt sie.
Seit Trumps Amtsantritt bestimmten nicht mehr die Universitäten, worüber gelehrt und geforscht werden solle, sondern die politische Ideologie. So seien zum Beispiel Gelder für Forschungen über die Wirkung von Impfungen oder zur Gesundheit von Minderheiten umgehend gestoppt worden.
Ideologie statt freier Forschung
Die Auswirkungen der neuen Politik sind bereits konkret spürbar. Auf dem Weg zu ihrem Büro trifft sie Doktorandinnen und Doktoranden, die für ihre bereits geleistete Arbeit nicht mehr bezahlt werden oder die ein E-Mail bekamen, ihr Stipendium ende per sofort. Und dies nur, weil sie auf einem Fachgebiet arbeiteten, das der neuen Regierung nicht passe.
Das sei alles so schnell gekommen. Wenn sie das nicht selbst erlebt hätte, würde sie es wohl auch nicht glauben. Karrieren in gewissen Bereichen, die noch im Januar Optionen gewesen seien, seien jetzt unmöglich. «Es gibt junge Leute, die nicht mehr die Möglichkeit haben, ihren Karriereweg, auf den sie so hart hingearbeitet haben, weiterzumachen, und die völlig verzweifelt sind.»
Dazu komme, dass ausländische Studierende sich teilweise kaum noch aus ihrem Wohnheim trauten, aus Angst davor, unterwegs aus irgendeinem Grund verhaftet und abgeschoben zu werden. So habe sie sich beispielsweise informieren müssen, aus welchen Gründen Verhaftungen im studentischen Wohnheim auf dem Campus zulässig wären. «Den Wandel von der Demokratie hin zu einer Autokratie erleben wir wie aus dem Lehrbuch», sagt sie. Es sei ein Feldzug gegen die Elite und gegen die Universitäten, um diese einzuschüchtern und auf Kurs zu bringen.
Und das in einem Land, das der Welt immer die Demokratie vorgelebt habe. «Das ist belastend und beängstigend», so Kempin Reuter. Die Direktiven der neuen Regierung, irgendwelche Einschränkungen, seien Schlag auf Schlag gekommen. Oft habe die Universität erst herausfinden müssen, was diese überhaupt konkret bedeuteten. «Meine Arbeit fühlt sich an, als wäre ich auf einem Grat in den Bergen, auf einem Weg, der immer schmaler wird.»
Angst vor Rache der Regierung
Es brauche Mut, sich zu äussern, denn die Angst vor Racheakten der Regierung sei gross. Viele würden vermehrt telefonieren, statt Mails zu schreiben, aus Angst, etwas Falsches schriftlich festzuhalten. «Es ist wieder wie 1994, als man noch keine Mails schrieb.» Doch sie könne nicht schweigen, wenn Menschenrechte auch in den USA verletzt würden, wenn zum Beispiel Studentinnen trotz gültigem Visum verhaftet würden, nur weil sie protestiert und ihre Meinung gesagt hätten.
Sorgen macht der Professorin auch die Gewaltbereitschaft. Der Sturm aufs Kapitol, aber auch Studien hätten diese gezeigt: Für einen Grossteil der amerikanischen Gesellschaft sei Gewalt ein legitimes Mittel, um andere zu überzeugen. Wegziehen ist für sie im Moment kein Thema. Sie will vor Ort Widerstand leisten.
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