Es sei wohl ein „Irrtum“ gewesen, sagte US-Präsident Donald Trump am Montag zu dem russischen Raketenangriff auf die ukrainische Stadt Sumy, bei dem am Sonntag mindestens 34 Menschen getötet und mehr als 110 verletzt wurden. Die russische Armee hatte eine Iskander-M-Rakete auf das Stadtzentrum abgefeuert und eine zweite hinterhergeschickt, nachdem Helfer vor Ort eingetroffen waren.
Auf seiner Plattform Truth Social machte Trump am Montag dann erneut seinem Vorgänger Joe Biden und Wolodymyr Selenskyj für den Krieg verantwortlich. Sie hätten einen „furchtbaren Job“ gemacht, so Trump.
Beide Äußerungen machen wenig Hoffnung, dass die USA ihre für die Ukraine essenziellen Militärhilfen wieder aufnehmen. Im Gegenteil, die Lieferungen werden offenbar komplett eingestellt, wie eine aktuelle Auswertung des IfW Kiel zeigt.
„Seit dem Amtsantritt von Donald Trump am 20. Januar 2025 ist die US-Hilfe ins Stocken geraten“, beobachten die Ökonomen, die regelmäßig den international anerkannten „Ukraine Support Tracker“ berechnen, eine umfassende Aufstellung aller messbaren Hilfen, teils im Verhältnis zu anderen Wirtschaftsdaten.
„Es ist keine neue militärische, finanzielle oder humanitäre Hilfe zu beobachten, seit die USA ihr letztes Hilfspaket – noch unter der Biden-Administration – am 9. Januar angekündigt haben“, so die IfW-Ökonomen. „Es umfasste Militärhilfen im Wert von 480 Millionen Euro und enthielt Flugabwehrraketen, Luft-Boden-Raketen sowie Ausrüstungen für F-16-Kampfjets.“ Einen derart langen Stillstand habe es zuletzt im Januar 2024 gegeben, als ein politisches Patt im US-Kongress ein neues Hilfspaket blockierte.
Die Staaten Europas hätten dagegen ihre Unterstützung vergrößert und inzwischen 23 Milliarden Euro mehr Hilfen als die USA in die Ukraine geschickt. Im Januar und Februar habe Großbritannien 360 Millionen Euro zugesagt, Deutschland 450 Millionen Euro, Norwegen 610 Millionen Euro, Dänemark 690 Millionen Euro und Schweden sogar 1,1 Milliarden Euro.
Die jüngsten Entscheidungen der Ukraine-Kontaktgruppe im sogenannten Ramstein-Format, die sich am vergangenen Freitag in Brüssel getroffen hatte, sind darin noch gar nicht berücksichtigt. Demnach ist Deutschland in diesem Jahr der stärkste Unterstützer und stellt vier Milliarden Euro an bilateralen Hilfen zur Verfügung, hinzu kommen noch jene drei Milliarden Euro, die der Bundestag im März freigegeben hatte.
„Russland sollte sich keiner Illusion hingeben“
Weitere Verpflichtungsermächtigungen bis 2029 sind vorgesehen, in Höhe von 8,25 Milliarden Dollar. Verteidigungsminister Boris Pistorius gab sich optimistisch, trotz nachlassender US-Hilfen: „Russland sollte sich keiner Illusion hingeben, die Ukraine wird stärker“, sagte er laut einem Beitrag der FAZ.
In diesem Jahr sollen unter anderem vier weitere Luftverteidigungssysteme des Typs Iris-T mit 300 Lenkflugkörpern geliefert werden, außerdem 15 Kampfpanzer vom Typ Leopard 1A5, 25 Marder-Schützenpanzer, 300 Aufklärungsdrohnen, 100 Bodenüberwachungsradare, 14 Artilleriesysteme und 100.000 Schuss Artilleriemunition.
Großbritannien hat 5,2 Milliarden Euro als Hilfen in Planung, vorgesehen etwa für Radarsysteme, Panzerabwehrminen und Drohnen. Die Niederlande haben zwei Milliarden Euro für dieses Jahr bereitgelegt, weitere Staaten versprachen zusätzliche dreistellige Millionensummen.
Die Ökonomen des IfW Kiel müssen ihre Rechnung, die lediglich bis Ende Februar reicht, also noch einmal aktualisieren. Fest steht bisher: „Insgesamt hat Europa seit Kriegsbeginn 138 Milliarden Euro an Hilfen zugewiesen und damit 23 Milliarden Euro mehr als die Vereinigten Staaten.“ Bei den Militärhilfen lagen die USA Ende Februar demzufolge bei 65 Milliarden Euro und damit „nur noch eine Milliarde Euro mehr Europa“. Dieser Abstand dürfte mit dem Treffen der Ramstein-Gruppe verschwunden sein.
Auffällig ist weiterhin, dass kleinere Staaten im Norden und Osten Europas gemessen an ihrer Wirtschaftsleistung besonders viel leisten. Estland und Dänemark, Litauen, Lettland, Finnland und Schweden haben bisher mehr als ein Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts an Ukraine-Hilfen bereitgestellt. Deutschland liegt in diesem Ranking mit 0,44 Prozent auf Platz 16.
„Große Volkswirtschaften wie Deutschland, Frankreich oder Spanien müssen ihrer Schlüsselrolle künftig besser gerecht werden“, sagt Christoph Trebesch, Leiter des Ukraine Support Trackers am IfW Kiel. „Wenn die ‚Big Five‘ der europäischen Länder nur annähernd so viel täten wie die skandinavischen oder baltischen Staaten, könnte Europa die US-Defizite weitgehend ausgleichen, vor allem bei den finanziellen Hilfen“, so Trebesch weiter.
Inwieweit allein die Militärhilfen aus Europa die Ukraine in ihrem Verteidigungskampf gegen Russland auf Dauer unterstützen können, ist fraglich. Der Optimismus des deutschen Verteidigungsministers sollte nicht über zwei Tatsachen hinwegtäuschen: Gegen den russischen Raketenterror helfen vor allem Patriot-Luftabwehrsysteme. Doch ob diese auch mit dazu passenden Raketen in ausreichender Zahl aus den USA noch kommen werden, ist fraglich. Zweitens fehlen weiterhin Waffen und Ausrüstung im Gefechtsfeld sowie weitreichende Waffen.
Ukraine-Präsident Selenskyj machte Anfang der Woche deshalb von sich aus den Vorschlag, zehn Patriot-Systeme für 15 Milliarden Dollar in den USA zu kaufen. Der von der Trump-Administration erhobene Vorwurf, die Ukraine würde den USA unnötige Kosten aufbürden, war schon vorher eine Fehlbehauptung, angesichts der globalpolitischen Größenordnung des Krieges und den milliardenschweren Zusatzaufträgen für die US-Militärindustrie. Nach diesem Angebot aus Kiew indes wäre der Vorwurf vollends hinfällig.
Doch auch auf dieses Angebot reagierte Trump auf seine Art: „Selenskyj möchte immer Raketen kaufen“, sagte der US-Präsident am Dienstag, „aber wenn man einen Krieg anfängt, sollte man sich auch sicher sein, ihn zu gewinnen, oder? Man sollte keinen Krieg gegen jemanden anfangen, der 20 Mal größer ist und dann darauf hoffen, dass die Leute einem ein paar Raketen geben.“
Michael Fabricius beschäftigt sich schon seit einigen Jahrzehnten mit Immobilienthemen. Für WELT verfolgt er zudem regelmäßig die Entwicklungen beim Ukraine Support Tracker.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke