Soldaten in Uniform laufen über den Campus, auf den man nur kommt, wenn man die Sicherheitskontrolle am Schlagbaum passiert hat. Die Helmut-Schmidt-Universität (HSU) im Hamburger Stadtteil Horn liegt im militärischen Sicherheitsbereich einer Kaserne. Und auch sonst ist bei der Universität der Bundeswehr manches anderes als an einer „zivilen“ Hochschule – vor allem auch das grundsätzlich klare Bekenntnis zur Rüstungsforschung. HSU-Präsident Professor Klaus Beckmann, 60, sagte WELT, wie die Universität mit den ethischen Fragen bei der Aufrüstung umgeht und wer ihre wichtigen Kooperationspartner im Norden sind.
WELT: Herr Professor Beckmann, erwartet die öffentliche Hand, dass die Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr grundsätzlich Rüstungsforschung betreibt – oder genießen Sie dieselbe Freiheit bei Forschung und Lehre wie jede andere deutsche Hochschule auch?
Klaus Beckmann: Wir unterliegen im Grunde den gleichen Regularien wie alle anderen Universitäten. Wir bieten vollakkreditierte Studiengänge an, wir sind wettbewerblich orientiert in der Forschung, wir sind offen und transparent, also im Grunde wie eine ganz normale Universität. Als unser Dienstherr erwartet die Bundeswehr natürlich, dass wir uns spätestens seit der Zeitenwende stärker einbringen. Im Jahre 2020 wurde das Programm dtec.bw – Zentrum für Digitalisierungs- und Technologieforschung der Bundeswehr – aufgelegt. Allein im Rahmen dessen bekommen die beiden Universitäten der Bundeswehr in Hamburg und in München zwischen 2020 und 2026 insgesamt 700 Millionen Euro zur Durchführung sicherheitsrelevanter Forschungsprojekte.
WELT: Können Sie diese Summe in ein Verhältnis setzen?
Beckmann: Vergleichen Sie diese 350 Millionen für die Helmut-Schmidt-Universität mit rund 130 bis 140 Millionen Euro öffentlichen Fördermitteln über einen Zeitraum von vier Jahren für eine Exzellenzuniversität wie die Universität Hamburg. Schon daran sieht man, dass wir einen erheblichen Schub erhalten haben, speziell bei der sogenannten Dual-Use-Forschung, bei Projekten also, die sich militärisch wie auch zivil ausrichten lassen. Wir haben immer schon Grundlagenforschung mit Dual-Use-Charakter betrieben. Die dezidierte, anwendungsorientierte Rüstungsforschung liegt allerdings vorwiegend bei den wehrtechnischen Dienststellen der Bundeswehr, und bei außeruniversitären Forschungseinrichtungen.
WELT: Mit welchen Konsequenzen müsste ein Professor hier an der Helmut-Schmidt-Universität rechnen, wenn er sagt, ich möchte mich nicht an offensichtlich rüstungsrelevanter Forschung beteiligen?
Beckmann: Ich habe Professoren, die durchaus nicht an solchen Projekten interessiert sind, und ich habe auch Kolleginnen und Kollegen, die die Bundeswehr aus einem sehr kritischen Winkel beleuchten. Das ist die Freiheit von Forschung und Lehre, die unser Grundgesetz garantiert.
WELT: Hätten Sie bei den sogenannten Dual-Use-Projekten gern mehr und engere Kooperationen mit den „zivilen“ Hochschulen in Hamburg?
Beckmann: Als Universität sind wir grundsätzlich immer offen für Kooperationen. Wir kümmern uns aktiv darum, indem sich die HSU in der Landeshochschulkonferenz einbringt, in der wir mit Hochschulen und Universitäten in Studium, Lehre und Forschung zusammenarbeiten. Je stärker es bei der Grundlagenforschung um Rüstungsprojekte geht, desto mehr spielen natürlich Aspekte wie Vertraulichkeit und Sicherheit der Daten eine Rolle. Es geht dann eben auch darum, dass Ergebnisse teilweise nicht veröffentlicht werden. Und das ist dem üblichen Modus operandi einer Universität in gewisser Weise schon entgegengesetzt, weil der Erfolg von Hochschulen ja auch auf der Veröffentlichung ihrer Forschungsergebnisse basiert.
WELT: Das hat letztlich auch Einfluss auf das Personal hier an der Universität?
Beckmann: Es gibt die sogenannten Staaten mit besonderem Sicherheitsrisiko, von Russland über China bis zum Iran und anderen Staaten. Wir können an der HSU wissenschaftliche Mitarbeiter aus diesen Ländern nicht für Projekte einsetzen. Eine Reihe von Dingen kann man als Universität der Bundeswehr nur eingeschränkt oder gar nicht tun, gerade dann, wenn es um sicherheitsrelevante Themen geht.
WELT: Die Technische Universität Hamburg wirbt geradezu damit, dass an ihrem Campus möglichst Menschen aus allen Staaten studieren können.
Beckmann: Ich habe gar nichts dagegen, und auch wir bemühen uns um das größtmögliche Maß an Offenheit. Aber bei der Arbeit an einzelnen Projekten ist dann irgendwann mal eine Grenze erreicht, und es ist schwierig, wenn auf dem Campus im Labor 1 sicherheitsrelevante Dinge stattfinden und im Labor 2 nicht, und überall laufen dieselben Personen herum. Vor dem Hintergrund muss man einfach eine Lösung finden. Wir sind durch unsere spezielle Rolle als Universität der Bundeswehr sowohl besser in der Lage als auch gehalten, solche Maßregeln zu ergreifen.
WELT: Es gibt aber bei der Forschung und Lehre viele Schnittstellen zwischen der Helmut-Schmidt-Universität und den anderen Hamburger Hochschulen, speziell auch mit der Technischen Universität Hamburg.
Beckmann: Ja, das fängt schon damit an, dass wir die Patentverwertung gemeinsam betreiben. Und es setzt sich über die Zusammenarbeit zwischen Professuren fort. Außerdem studieren an der TU Hamburg auch Soldatinnen und Soldaten, nämlich Schifffahrtstechnik, weil wir dieses Fach nicht haben. Es gibt also eine ganze Reihe von Kooperationen. Dabei geht es aber überwiegend um Ansätze zur Grundlagenforschung, bei denen der „Dual Use“ bestimmter Produkte oder Technologien nicht klar absehbar ist. Je konkreter das wiederum wird, desto schwieriger gestalten sich Kooperationen zwischen uns und anderen Hochschulen.
WELT: Sie betreiben eine Gratwanderung zwischen Kooperation und Abgrenzung. Ist das heutzutage komplizierter als vor dem Beginn des Ukrainekrieges
Beckmann: Uns ist vielleicht mehr als anderen Hochschulen klar, dass wir einem Sicherheitsrisiko unterliegen, weil wir eben auch Informationen haben, die andere nicht haben.
WELT: Mit welchen externen Kooperationspartnern arbeitet die Helmut-Schmidt-Universität besonders eng zusammen?
Beckmann: Mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) haben wir einen Kooperationsvertrag. Mit den Fraunhofer Instituten arbeiten wir sporadisch zusammen. Im Rahmen von dtec.bw kooperieren wir natürlich mit unserer Schwesteruniversität in München und auch mit wehrtechnischen Forschungseinrichtungen und mit der Industrie. Dahinter treten die Kooperationen mit anderen Universitäten in ihrer Bedeutung für uns eher zurück.
WELT: Wie führen Sie hier an der Universität die Debatte um „Zivilklauseln“?
Beckmann: Wir haben keine Zivilklausel. Wenn wir sie uns geben wollten, dann müsste das der Akademische Senat beschließen, und es müsste in die Rahmenbestimmung geschrieben werden. Die Rahmenbestimmungen sind aber ein Erlass des Bundesministeriums für Verteidigung, deshalb wird es keine Zivilklausel geben. Das wäre ja auch systemfremd. Es gibt seitens der Studierenden auch keine Debatte darüber, weil das ja zu 90 Prozent Soldatinnen und Soldaten sind. Allerdings gibt es in wissenschaftsethischen Fragen eine sehr lebendige Debatte unter unseren Professorinnen und Professoren. Da geht es beispielsweise um die Frage ethischer Grenzen bei der Nutzung von Künstlicher Intelligenz. Was geschieht, wenn die KI ethische Entscheidungen von sich aus trifft? Unser Kollege Professor Gerhard Schreiber, der den Lehrstuhl für evangelische Theologie innehat, ist in Deutschland auf diesem Themenfeld einer der führenden Wissenschaftler.
WELT: Die wachsende Präsenz von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz in der Rüstungswirtschaft verändert auch die Anforderungen an die rüstungsorientiere Forschung.
Beckmann: Im Zweiten Weltkrieg zum Beispiel waren Fahrzeugbewegungen am Tage wegen der Luftüberlegenheit der Alliierten für die Deutschen oft nicht möglich. Was heißt das heutzutage zum Beispiel mit Blick auf die wachsende Bedeutung von Drohnen im Ukrainekrieg? Ist das im Kriegsgeschehen nur ein gradueller oder bereits ein systemischer Unterschied? Auch auf solche Fragen suchen wir Antworten mit wissenschaftlichen Mitteln. Hinzu kommt die extreme Beschleunigung der technologischen und taktischen Entwicklung, die wir in der Ukraine sehen. Wenn die Produktlebenszyklen von Systemen tatsächlich nur noch in Wochen oder wenigen Monaten ausgedrückt werden, haben wir auch ganz neue Anforderungen etwa für die Ausbildung des Führungspersonals. Eine Antwort darauf ist die sogenannte Software-Based Defense, eine Plattform, die man mithilfe spezieller Software sehr schnell an neue Herausforderungen anpassen kann.
WELT: Rechnen Sie damit, dass die Bundeswehrhochschulen in den kommenden Jahren noch einmal finanziell stärker ausgestattet werden könnten?
Beckmann: Ja, wir könnten stärker ausgestattet werden. Im Augenblick rechne ich aber nicht damit. Unsere Ressourcen sind bereits sehr großzügig. Wir haben hier 135 Professuren und 1300 Mitarbeiter insgesamt für 2500 Studierende. Das ist schon ein unglaubliches Verhältnis. Diese Lehrkapazitäten brauchen wir allerdings auch für unser extrem kurzes und intensives Studium, das alle zum Master führen soll. In den kommenden drei Jahren werden wir weniger Studierende haben. Das hat militärische Gründe und liegt auch an der Umstellung der gymnasialen Ausbildung. Wenn sich aber der politische Wille manifestiert, dass wir die Bundeswehr tatsächlich aufwachsen lassen auf die vom Generalinspekteur genannten 260.000 aktiven Soldaten, dann wird natürlich auch die Zahl der Studierenden an den Bundeswehruniversitäten steigen. Daraus ergibt sich dann ab einer gewissen Grenze auch wieder ein zusätzlicher Bedarf an Wissenschaftlern.
WELT: Um die Bundeswehrhochschule in München herum ist in den vergangenen Jahren ein starkes Netzwerk von und für Rüstungsunternehmen entstanden, darunter Quantum, Helsing und viele Startup-Unternehmen. Kann in Hamburg etwas Vergleichbares entstehen?
Beckmann: Der Freistaat Bayern hat eine jahrzehntelange Tradition in der Industrie- und Forschungsförderung. Man hat dort sehr früh erkannt, dass man das kombinieren muss und hat auch überhaupt gar keine Scheu, alle Kräfte an einer Stelle zu konzentrieren. Wir Hamburger sind da ein Stück weit hinterher. Schon lange vor der sicherheitspolitischen Entwicklung war das so, und da müssen wir nachholen. Ich sehe dafür aber auch ein Potenzial in Hamburg und darüber hinaus im gesamten norddeutschen Raum bis hin ins Baltikum. Wir haben in Hamburg sehr gute Hochschulen, einschließlich der Exzellenz-Uni, der Universität Hamburg. Wir haben das DESY und demnächst auch noch mehr Präsenz des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Die Führungsakademie der Bundeswehr nicht zu vergessen, was die Anwendung von militärischen Fragen angeht, und auch das Bundeswehrkrankenhaus. Und wir hier an der Helmut-Schmidt-Universität sind auch gar nicht so schlecht, wenn ich mal ehrlich bin. Wir sollten unser Licht hier im Norden nicht unter den Scheffel stellen.
WELT: Hinzu kommt in Norddeutschland eine ausgeprägte Rüstungswirtschaft, von TKMS und NVL beim Bau von Marineschiffen bis hin zu Airbus Defence and Space.
Beckmann: Das ist richtig. Die Süddeutschen spielen auf der Klaviatur nur besser, das ist meine Erfahrung auch als Vorsitzender eines Universitätsrats einer Bayerischen Universität im Ehrenamt. Die können das sehr gut in Bayern. Frau Fegebank als früherer Wissenschaftssenatorin haben wir einiges zu verdanken. Trotzdem sind wir noch nicht am Ziel. Deshalb bemühen sich jetzt die Präsidentinnen der Universitäten und auch die Behörde darum, dass wir da weiterkommen. Wir möchten als Helmut-Schmidt-Universität gern enger in den Hamburger wissenschaftlichen Kontext integriert werden. Natürlich kümmert sich der Senat vordringlich um die Universitäten, für die die Hansestadt finanzielle Verantwortung trägt. Das heißt aber auch: Wir erbringen einen Beitrag für die akademische Gemeinschaft in Hamburg, und wir kosten die Stadt nichts.
WELT: Wie will die Helmut-Schmidt-Universität ihr Profil weiterentwickeln?
Beckmann: Wir haben 2023 eine Strategie und 2025 ein Forschungsprofil entwickelt. Das hat vier Elemente. Das ist zum einen die Künstliche Intelligenz, dazu zählen auch die autonomen Systeme. Dann haben wir das Thema nachhaltige Energie. Wir stärken außerdem unsere Forschung über die demokratische Resilienz, mit Blick auf die nicht-militärischen Anforderungen einer Gesamtverteidigung. Und schließlich das, was wir OPAL nennen, das steht für Organisation, Personal, Arbeit und Leadership. Das sind die Kernthemen, von denen wir glauben, dass unsere Arbeit der Bundeswehr hilft.
Der promovierte und habilitierte Volkswirtschaftler Klaus Beckmann, 60, ist seit 2018 Präsident der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg, an der er bereits seit 2006 lehrt. Der gebürtige Solinger diente Mitte der 1980er-Jahre als Wehrpflichtiger bei der Panzertruppe der Bundeswehr und ist Oberst der Reserve. Vor seiner Tätigkeit in Hamburg arbeitete er an Andrássy-Universität in Budapest und an der Universität Passau.
Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Er berichtet seit mehr als drei Jahrzehnten über die Rüstungswirtschaft und auch über die Bundeswehr.
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