Eine mächtige und streitlustige Gewerkschaft, den Staat als Miteigner, ein Produkt mit nur wenigen Anbietern auf einem globalen Markt, permanente Veränderungen der Unternehmensstruktur und hoher Druck bei der technologischen Modernisierung – André Walter, 58, kennt das alles, derzeit als Chef des zivilen Flugzeugbaus von Airbus in Deutschland und vom 1. Juli an als neuer Chef der Meyer Werft in Papenburg.

Am Freitag gab die Meyer Werft bekannt, dass Walter zur Mitte des kommenden Jahres auf Bernd Eikens als Vorsitzender der dreiköpfigen Geschäftsführung folgen wird. Zugleich berichteten Medien darüber, dass in Berlin am Montag ein neuer Großauftrag über vier Kreuzfahrtschiffe der Reederei MSC bekannt gegeben werden soll. Der Bund und das Land Niedersachsen halten derzeit je 40 Prozent an der Meyer Werft in Papenburg, die Familie Meyer 20 Prozent. Das Unternehmen Meyer Turku in Finnland gehört der Familie weiterhin komplett, ebenso auch viele Zulieferunternehmen der Meyer Werft.

„Mit Herrn Dr. André Walter gewinnt die Meyer Werft einen erfahrenen Manager, der die Weiterentwicklung des Unternehmens konsequent vorantreiben wird“, sagte Klaus Richter, der Aufsichtsratsvorsitzende der Meyer Werft. Der bisherige Werftchef Eikens habe die Leitung des Unternehmens „in einer schwierigen finanziellen Lage übernommen. Er hat mit großer Weitsicht den Restrukturierungsprozess eingeleitet und die Weichen für eine erfolgreiche Sanierung gestellt.“ Man freue sich darüber, Walter als einen Manager gewonnen zu haben, „der mit seiner Erfahrung diesen eingeschlagenen Weg weitergehen und die Werft weiter voranbringen wird. Dr. André Walter bringt eine ausgesprochene Expertise in der Unternehmensführung mit.“

Als Folge der Pandemie und wegen Fehleinschätzungen des Managements – auch der Familie selbst – stand die Meyer Werft im vergangenen Jahr vor der Insolvenz. Technologisch ist die Meyer Werft, die hauptsächlich Kreuzfahrtschiffe baut, eine der besten Werften der Welt – und das weitaus wichtigste Unternehmen des zivilen Schiffbaus in Deutschland. Ein veraltetes System der Schiffbaufinanzierung und mangelnde Sicherheiten brachte das Unternehmen aber beinahe zu Fall. Die Meyer Werft, 230 Jahre alt, hat rund 3200 Beschäftigte, neben etlichen anderen Schiffstypen lieferte das Unternehmen seit Mitte der 1980er-Jahre 61 Kreuzfahrtschiffe ab.

Die öffentliche Hand stieg bei der Meyer Werft und auch bei dessen Tochterunternehmen Neptun Werft in Rostock-Warnemünde ein, weil sie die Unternehmen als „systemrelevant“ betrachtet – künftig zum Beispiel auch für den Bau von Umspannwerken für Offshore-Windparks, von Tankern und für Kooperationen beim Bau von Marineschiffen. Der frühere Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nannte die Werft vor der Rettung ein „industrielles Kronjuwel“: „Die Meyer Werft ist ein Trumpf, den wir nicht aufgeben dürfen und den wir nicht aufgeben werden.“

Der „Spiegel“ berichtet, dass die Familie Meyer die Mehrheit an der Werft gern zeitnah zurückkaufen will, dass der Bund seine Anteile wieder veräußern möchte, das Land Niedersachsen aber nicht. Vor diesem Hintergrund muss der künftige Chef die Meyer Werft zukunftsfähig aufstellen und dafür sorgen, dass an der Ems weiterhin die modernsten Kreuzfahrtschiffe der Welt gebaut werden.

Walters Bestellung zum Werftchef erscheint dabei schlüssig. Der Bau von Flugzeugen und Kreuzfahrtschiffen ähnelt sich – es geht vor allem um die Integration komplexer Systeme, bei Kreuzfahrtschiffen speziell auch im Innenausbau. Eine von Robotern getragene Massenproduktion wie in der Automobilindustrie wird es auf den Werften für Flugzeuge und für Schiffe auch künftig nicht geben. „Wir brauchen sehr stark spezialisierte und angepasste Robotik für die Montage von Flugzeugrümpfen“, sagt Walter vor einiger Zeit WELT AM SONNTAG. „Standardlösungen zum Beispiel aus der Automobilbranche helfen uns hierbei nicht weiter. Wir entwickeln Systeme zur Automatisierung teils auch bei Airbus selbst.“ Solche sehr speziell angepassten Lösungen braucht auch der Schiffbau. Und der promovierte Maschinenbau-Ingenieur Walter muss dafür sorgen, dass sie in Papenburg zur Anwendung kommen. Großanlagen zum automatischen Stahlschnitt und zum Schweißen hat die Meyer Werft schon vor Jahren installiert.

Den Staat als Anteilseigner kennt Walter von Airbus ebenfalls. Deutschland und Frankreich halten je 10,8 Prozent, Spanien rund vier Prozent der Anteile an Airbus. Der zurzeit weltweit führende Hersteller von Passagierflugzeugen ist eines der komplexesten Unternehmen in Europa überhaupt.

In jahrzehntelanger Kärrnerarbeit hat Airbus den großen Rivalen Boeing aus den USA hinter sich gelassen und zudem die C-Serie kleinerer Passagierjets des Konkurrenten Bombardier in Kanada gekauft. Neben Boeing wird vor allem der Flugzeugbau aus China Airbus in den kommenden Jahren Konkurrenz machen – auch dadurch, dass die Chinesen das Geschäft von den Europäern erlernen. Im chinesischen Tianjin betreibt Airbus ein eigenes Werk für die Endmontage der A320-Modelle, um den nötigen Zugang zum chinesischen Markt zu erhalten.

Im Schiffbau ist das ähnlich: Die wichtigsten Anbieter für Kreuzfahrtschiffe weltweit sind neben der Meyer Werft heutzutage Fincantieri in Italien und Chantiers de l‘Atlantique in Frankreich – und künftig die Werftindustrie in China.

Walter ist seit 2022 Vorsitzender der Geschäftsführung der Airbus Aerostructures GmbH und der Airbus GmbH in Hamburg. Seine Karriere bei Airbus begann 2006, später leitete der begeisterte Läufer und Rennradfahrer unter anderem die Standorte Bremen und Hamburg. Bei Airbus erlebte Walter spektakuläre technologische Sprünge mit – vor allem die Fertigung des weltgrößten Passagierflugzeugs A380, das allerdings nur von 2005 bis 2021 gebaut wurde, auch in Hamburg. Ein genau gegenteiliges Konzept verfolgt Airbus heutzutage mit dem kleinen Langstreckenflugzeug A321XLR, das wesentlich bei Airbus in Hamburg entwickelt wurde und heutzutage auf der Werft in Finkenwerder produziert wird.

Mit der Gewerkschaft IG Metall führte Walter in den vergangenen Jahren harte Verhandlungen über die Neuorganisation der deutschen Werke, begleitet wurde dieser Prozess von Streiks. Airbus rückte die Fertigung von Rümpfen auch in seiner rechtlichen und unternehmerischen Struktur wieder ins Zentrum des Konzerns. „Auch die ArbeitnehmervertreterInnen im Aufsichtsrat heißen Dr. André Walter in seiner neuen Funktion herzlich willkommen“, sagt Heiko Messerschmidt, stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Meyer Werft. „Wir setzen weiterhin auf eine partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat, IG Metall und Unternehmensleitung. Bei Herrn Dr. Walter kennen wir diese bereits von Airbus und freuen uns, daran nun bei der Meyer Werft anknüpfen zu können.“

Messerschmidt, Leiter des Berliner Büros der IG Metall, kennt Walter aus seiner Zeit bei der IG Metall Küste in Hamburg gut. Der enge Draht zur Gewerkschaft dürfte dem künftigen Werftchef noch sehr nützlich sein. Die Neuaufstellung der Meyer Werft ist längst nicht abgeschlossen. Sie hat, im Gegenteil, gerade erst begonnen.

Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Er berichtet seit drei Jahrzehnten über den Schiffbau und auch über den Flugzeugbau.

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