Als Louis Adolf Friedrich Hempelmann im Jahr 1932 in der Innenstadt von Lage-Lippe ein kleines Schlossereigeschäft eröffnete, da waren Reparatur und Verkauf von Fahrrädern nur ein Zubrot. Heute führt Enkelsohn Tobias in einem ausgedehnten Flachbau am Ortsausgang mehr als dreitausend Fahrräder aller Formen, Farben und Größen im Angebot. Fahrrad Hempelmann ist eine Institution in Ostwestfalen-Lippe. Die einstige Nebeneinkunft ist zu einem Riesengeschäft geworden. Allerdings zuletzt zu einem schwierigen.
„Wir haben ein massives Überangebot im Markt, hohe Lagerbestände, Kampfpreise“, berichtet der Inhaber. Das Auf und Ab der Nachfrage während und nach der Corona-Pandemie hat einen gewaltigen Überbestand an Fahrrädern produziert. Händler schlagen die Ware mit Rabatten von 20, 30 Prozent und mehr los. Entsprechend gering bis nicht vorhanden sei die Marge, sagt Hempelmann und kommt dann zum neuralgischen Punkt: „Wenn dann noch immer höhere Leasing-Provisionen dazu kommen, dann bleibt für mich einfach nichts mehr übrig.“
Händler Hempelmann ist einer von vielen Stimmen in der Branche, die man zuletzt immer offener klagen hört über eine Finanzdienstleistung, die zuvor lange als eine Art Heilsbringer der Fahrradindustrie gefeiert wurde: das Dienstrad-Leasing. Seit 2012 können Arbeitgeber in Deutschland ihren Mitarbeitern analog zum Dienstwagenprivileg statt eines Autos auch ein Fahrrad steuerbefreit zur Verfügung stellen. Das Rad sollte der bessere Dienstwagen sein – sozialer, umweltfreundlicher, gesünder. Was daraus wurde, ist aber nicht zuletzt: ein gewaltiges Business.
2,1 Millionen Diensträder sind heute laut Zahlen des Branchenverbandes „Zukunft Fahrrad“ auf deutschen Straßen und Wegen unterwegs. Eine überschaubare Zahl von Bikeleasing-Anbietern setzt über drei Milliarden Euro im Jahr um. Die Wachstumsraten von 30 Prozent und mehr lagen über viele Jahre weit höher als in irgendeinem anderen Leasing-Geschäft. Aus einer nach Weltverbesserung klingenden Idee ist eine gigantische Geldmaschine entstanden, an der viele andere lange Zeit gut mitverdient haben: Banken, Versicherungen und auch die Fahrradindustrie.
Die Bike-Leasing-Anbieter hatten in diesem System lange eine komfortable Mittelposition inne. Der Fahrradhandel zahlt an sie für den Zugang zu Kunden, die in Aussicht auf Steuerersparnis gerne zu den ganz teuren Bikes greifen. Rund 3500 Euro beträgt der Durchschnittspreis von Diensträdern im Gegensatz zu 1800 Euro bei Normalzahlern. Auch Versicherungen zahlen, weil mit jedem Leasingvertrag, ob man will oder nicht, auch ein Service- und Versicherungspaket einher kommt. Und selbst die eigentliche Finanzierung übernehmen mitunter externe Banken, die ihrerseits für die Vermittlung des Geschäfts zahlen. Sie nehmen das eigentliche Produkt – das Fahrrad – oftmals nie in die Hand.
„Trotzdem können Leasing-Anbieter mit einem einzigen 3000-Euro-Bike mehrere hundert Euro einnehmen, wenn sie von allen drei Seiten Provision kassieren“, sagt Daniel Hrkac vom Branchendienst Velobiz.
Fünf Prozent weniger neue Diensträder
Doch nun scheint diese Maschine ins Stocken zu geraten. Im vergangenen Jahr verzeichnete die Bikeleasing-Branche erstmals leicht rückläufige Umsätze. Die Zahl der neu geleasten Diensträder sank um fünf Prozent. Vor einer Woche musste ausgerechnet Branchenprimus Jobrad seine Mitarbeiter über Stellenstreichungen informieren. Jede fünfte der 850 Stellen soll gestrichen werden.
Bikeleasing-Marktführer Jobrad – Marktanteil 45 Prozent – ist das Unternehmen von Ulrich Prediger, dem Vater des deutschen Bikeleasings. Der Volkswirt hatte, obwohl privat angeblich eher Autonarr, mit viel Lobbyarbeit das Recht durchgeboxt, statt eines Dienstwagens für den Arbeitsweg in Freiburg ein Dienstrad absetzen zu können.
Der Einsatz lohnte sich, nicht zuletzt für Prediger selbst. Der Gründer sitzt heute im Aufsichtsrat seines Unternehmens, das seinen Umsatz allein von 2021 bis 2024 fast verdoppelt hat auf 1,4 Milliarden Euro. Das Geld floss zwischenzeitlich so reichlich, dass man sich sogar ein Trikotsponsoring beim Fußball-Erstligisten FC Freiburg leistete.
Diese Euphorie ist verflogen. Ein Jobrad-Sprecher will sich zur Zukunft des Trikotsponsorings nicht mehr äußern und verweist auch hinsichtlich der übrigen Geschäftsentwicklung auf ein vorgefasstes Statement. „Die JobRad GmbH befindet sich angesichts der gesamtwirtschaftlichen Lage und der Konsolidierung in der Fahrradwirtschaft nicht mehr in einer Wachstumsphase“, heißt es da.
Nach dieser Darstellung lägen die Ursachen der Dienstradkrise vor allem im Außen. Neben der Corona-Zyklik im Fahrradhandel drücken demnach aufs Leasinggeschäft zusätzlich die vielen schlechten Nachrichten aus anderen Branchen des Wirtschaftsstandorts. Wie etwa von Bosch, einem Jobrad-Kunden, der 13.000 Stellen streichen will. Es ist leicht nachvollziehbar, dass Menschen, die um ihren Job bangen müssen, nicht schnell noch einen dreijährigen Leasingvertrag über ihren Noch-Arbeitgeber abschließen.
Allerdings scheint der Bikeleasing-Boom auch aus Gründen an seine Grenzen zu kommen, die in der Branche und ihrem Geschäftsmodell liegen. In den fetten Jahren soll man, so ist in der Branche zu hören, gerade bei Jobrad nicht allzu sehr auf die Kosteneffizienz geachtet und viel Personal aufgebaut haben. Doch das Vertriebspotenzial stößt nun an Grenzen. Die großen und mittleren Unternehmen sind weitgehend abgegrast – mit kleinen und Kleinstunternehmen lassen sich keine großen Wachstumssprünge mehr machen.
Zugleich drängen immer mehr Wettbewerber in das Geschäft, um das sich heute rund 25 Anbieter balgen. „Wir bewegen uns heute nicht mehr in einem Wachstumsmarkt, sondern in einem Verteilungsmarkt“, sagt ein Jobrad-Sprecher. Es gilt in der Branche als sicher, dass bald die ersten Dienstrad-Anbieter aufgeben oder von größeren geschluckt werden.
Die angespannte Lage führt dazu, dass viele Leasing-Anbieter ihre anfangs vor allem auf Wachstum und Neuabschlüsse ausgerichteten Geschäftsmodelle mit Lockangeboten zu günstigen Konditionen nun umstellen und versuchen, mehr am einzelnen Rad zu verdienen. Die Auswirkungen werden zunehmend spürbar, vor allem in der Fahrradbranche.
„Wir sind mit Bike-Leasing nicht mehr uneingeschränkt happy“, sagt Thorsten Heckrath-Rose, Geschäftsführer des Fahrradherstellers Rose-Bikes. Sein Unternehmen habe durchaus vom Leasing-Geschäft profitiert, sagt er. Denn anders als das Wort Dienstrad suggeriert, greifen die Nutzer eher selten zu einfachen City-Bikes für die Fahrt zur Arbeit. Leasing-Kunden bedienten sich in allen Produktkategorien, sagt Heckrath-Rose, bei teuren Carbon-Rennrädern und E-Gravelbikes. Selbst Downhill-Mountainbikes werden als steuervergünstigtes Dienstrad angeschafft. Rund ein Drittel aller Räder, die Rose verkauft, seien mittlerweile geleast, sagt der Chef.
Die große Abhängigkeit vom Leasing-Geschäft wird für den Direktversender zunehmend zu einem Problem. „Wir beobachten in letzter Zeit bei Leasing-Anbietern die Tendenz, die Provisionen deutlich nach oben zu fahren“, sagt Heckrath-Rose.
„Dadurch wird immer mehr Marge aus der Fahrradbranche abgezogen.“ Früher wurde das hingenommen. Doch nach einer über mehrere Fahrradsaisons laufenden Rabattschlacht bedroht der Mittelabfluss in die Finanzbranche Unternehmen zunehmend in ihrer Existenz. In Großbritannien geht der Fahrradhandel bereits offen gegen die „Cycle to Work“-Branche vor, die, so die Händlerklage, „das Lebensblut aus den Geschäften saugt“.
Nun bekommen Jobrad und Co. auch in Deutschland zunehmend Gegenwind. Denn zu den Provisionen kommt für sie noch viel Beratungsaufwand und Papierkram, um die komplexen und von Anbieter zu Anbieter variierenden Vertragswerke zu durchblicken. „Ich kenne mehrere Händler, die eigens für das Bike-Leasing einen Bankkaufmann eingestellt haben“, sagt Hans-Peter Obermark vom Verband des Deutschen Zweiradhandels.
Zu allem Überfluss beginnen die Dienstrad-Anbieter, dem Fahrradhandel im eigenen Revier Konkurrenz zu machen. Auch dies hängt mit einer Veränderung des Geschäftsmodells zusammen. Der große Unterschied zwischen Dienstwagen und Dienstrad war bislang, dass die geleasten Autos in aller Regel nach drei Jahren abgegeben und durch ein neues, wiederum geleastes ersetzt werden. Beim Bike-Leasing hingegen übernehmen die allermeisten Nutzer das Fahrrad nach Vertragsende zu einem unterstellten Restwert und fahren damit noch zehn oder 15 Jahre fröhlich durch die Gegend. Als Dienstrad-Kunden fallen sie damit auf Jahre aus.
Dem versuchen Leasing-Anbieter nun mit einem Strategiewechsel zu begegnen. Statt wie bisher die alten Räder möglichst schnell loszuwerden, gehen sie zunehmend dazu über, die Übernahme nach Vertragsende durch höhere Prozentsätze zu verteuern. So will man Dienstrad-Kunden zu Nachfolge-Leasings bewegen. Die abgelegten Räder vermarktet man nun lieber selbst, über Kooperationen mit Verkaufsplattformen für wieder aufbereitete Räder. Und gräbt damit Herstellern und Handel auch noch mit billigen Gebrauchträdern den Markt ab.
Händler Hempelmann hat auf das Dienstrad-Problem mittlerweile seine eigene Antwort gefunden. Er erhebt auf Leasing-Räder nun einfach einen Aufschlag. Gerade hat er zum Beispiel einen großen Posten E-Bikes der Marke Kettler hereinbekommen. Statt ursprünglich 4199 kosten sie nur noch 1999 Euro. Für Leasing-Kunden gilt hingegen ein Sonderpreis: 2100 Euro.
Dieser Artikel wurde für das Wirtschaftskompetenzzentrum von WELT und „Business Insider Deutschland“ geschrieben.
Steffen Fründt ist Wirtschaftskorrespondent der WELT-Gruppe und berichtet über Luftfahrtbranche, Tourismus sowie Fahrrad- und Sportindustrie.
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